Die Grippesaison ist in vollem Gange. Mit Impfung und Virostatika haben Ärzte zwei Waffen gegen die Viren in der Hand – eine weitere könnte bald dazukommen.
Alle Jahre wieder kommt die Grippesaison. Um gegen die Erkrankung vorzubeugen oder sie zu behandeln, kennen wir medikamentös bisher zwei Wege: die Impfung und Virostatika. Neben diesen auf Antikörperbildung zielenden, beziehungsweise gegen die Virusvermehrung gerichteten Optionen, haben Forscher nun einen dritten Weg untersucht. Im Mittelpunkt stand dabei die Rolle von Membranrezeptoren im respiratorischen Trakt. Diese Option wurde bereits im Rahmen der SARS-CoV-2 Pandemie untersucht und es wurde ein potenzieller Zusammenhang zwischen ACE 2 und dem Krankheitsverlauf von COVID-19 diskutiert.
Dieser dritte Weg – also über körpereigene Substanzen – könnte die Übertragung der Grippe verhindern. Dabei ist das Ziel nicht das Virus, sondern der Wirt.
In einer präklinischen tierexperimentellen Studie haben sich Wissenschaftler der New York University School of Medicine mit der Rolle der Sialinsäuren in den Nasengängen von Mäusen beschäftigt. Sialinsäuren sind Zucker, die die Schleimhautoberflächen des Körpers bedecken und an vielen verschiedenen Funktionen beteiligt sind. Krankheitserreger wie Viren und Bakterien nutzen Sialinsäuren als Vektor, um die Schleimbarriere zu überwinden – sie kidnappen quasi die Säuren, um die Zellen zu infizieren.
Vor allem zwei Arten von Sialinsäuren – Alpha 2,3 SA und Alpha 2,6 SA – kleiden die Atemwege aus und sind damit relevant für Mikroben, die über Nase und Mund eindringen.
Um zu verhindern, dass das Grippevirus Sialinsäuren nutzt, um in die Atemwege einzutreten, verwendete das Forscherteam das Enzym Neuraminidase, das unter normalen Bedingungen Sialinsäuren aus den Atemwegen spaltet. Im Falle einer Grippeinfektion, wenn Viruspartikel an Sialinsäuren gebunden sind, können Neuraminidasen diese mit dem gleichen Mechanismus ausscheiden.
Die Strategie besteht darin, alle wesentlichen Komponenten auszulöschen, die das Virus braucht, um in die Zelle einzudringen. Um dieses Konzept auf die Probe zu stellen, wurden in der Studie Mäusebabys mit Influenza infiziert und ihnen anschließend Neuraminidasen verabreicht.
Warum Mäusebabys und nicht erwachsene Tiere? Sialinsäure-Rezeptoren scheinen bei Säuglingen in größerer Menge vorhanden zu sein als bei Erwachsenen. Dieser Gedanke hat sich auch in der neuen Studie bestätigt. Die Übertragung von infizierten und mit Neuraminidase behandelten Babymäusen auf nicht infizierte Mäuse wurde vollständig blockiert, wenn die Behandlung innerhalb von zwei Stunden nach der Infektion verabreicht wurde. 24 Stunden nach Verabreichung der Neuraminidase lag die Hemmungsrate bei etwa 87 % und sank auf etwa 29 %, wenn sie 72 Stunden später gegeben wurde.
Die Autoren schlussfolgern in ihrer Publikation, dass die Entfernung der Sialinsäure mit Neuraminidase in zeitabhängiger Weise die Virusübertragung reduziert und innerhalb von 24 bis 48 Stunden am effektivsten ist.
So attraktiv das Konzept erscheinen mag, bis zur klinischen Anwendung wird es wohl noch eine Weile dauern. Da Sialinsäuren für die Zellfunktion von Bedeutung sind, ist es wichtig, dass jede Behandlung nur vorübergehend ist. Gleichzeitig muss sie lange genug bioverfügbar sein, sodass die Virus-Übertragung tatsächlich für einen relevanten Zeitraum gehemmt wird. Auch die Anfälligkeit für Folgeinfektionen, zum Beispiel einer bakteriellen Pneumonie, ist in weiteren Studien zu untersuchen.
Immerhin deuten die Ergebnisse auf einen Weg zur Kontrolle der Grippe hin, der nicht nur die Übertragung zwischen infizierten und nicht infizierten Wirten verhindert – ein potenzieller Nachteil von Grippeimpfstoffen –, sondern auch das Problem der Resistenz gegen antivirale Medikamente umgehen kann. Denn die Strategie zielt nicht auf die viralen Proteine ab, die sich saisonal ändern können, sondern auf Substanzen im Wirt.
Bildquelle: Iván Díaz, unsplash