Forscher entwickelten jetzt einen künstlichen Transkriptionsfaktor, der dazu in der Lage ist, Zellen unterschiedlicher Tierarten mit hoher Effizienz zu reprogrammieren. Aber wozu das Ganze?
Nach der Entdeckung der Reprogrammierung von Körperzellen mithilfe von Transkriptionsfaktoren im Jahr 2006 konnten bislang nur für wenige Tierarten induzierte pluripotente Stammzelllinien (iPS) produziert werden. Darüber hinaus sind die erzeugten iPS-Zellen von sehr unterschiedlicher Qualität und haben unterschiedliches Entwicklungspotenzial, was ihre Verwendung für regenerative Therapien einschränkt. Bis heute konnten Forscher das Rätsel nicht lösen, was die Qualität ausmacht: warum einige Linien sich problemlos in jedes beliebige Körpergewebe differenzieren oder sogar ein lebendes Tier hervorbringen können, während andere iPS-Zellen versagen.
Eine Erklärung war, dass Oct4 wichtige DNA-Markierungen und die Expression von Genen verändert. Einem internationalen Wissenschaftlerteam um Hans Schöler und Sergiy Velychko vom Max-Planck-Institut (MPI) für molekulare Biomedizin in Münster ist es nun gelungen, einen Reprogrammierungsfaktor – Super-Sox – zu konstruieren.
Wie die Abteilung von Hans Schöler im Jahr 2019 am MPI für molekulare Biomedizin in Münster mit Mäusezellen zeigen konnte, ist Oct4 für den von Shinya Yamanaka beschriebenen Prozess essentiell. Die Bildung von Oct4 ist jedoch mit einer Reihe von Problemen verbunden. Um diese zu überwinden, entwickelte das Forscherteam von Hans Schöler ein System, mit dem sie auf Oct4 verzichten können. Dieser Verzicht verringerte zwar die Effizienz, erhöhte aber die Qualität der so gewonnenen iPS-Zellen erheblich. Trotz zahlreicher Versuche gelang es aber nicht, mit diesem Verfahren menschliche Zellen in iPS-Zellen zu verwandeln, die eine ähnlich hohe Qualität aufweisen wie die von Mäusen.
„Es stellte sich dann die Frage, ob eine hohe Qualität überhaupt mit einer hohen Umwandlungseffizienz vereinbar ist“, sagt Hans Schöler, inzwischen emeritierter Direktor am MPI in Münster. „Oct4 allein ist wie ein wilder Hund, der falsche Gene anschaltet“, erläutert Schöler. „Wenn wir Oct4 an die kurze Leine nehmen können, könnten wir dieses Dilemma wahrscheinlich lösen.“
Bekannt ist, dass Oct4 und Sox2 als Dimer an DNA binden und zusammen die Pluripotenz induzieren und aufrechterhalten. Aber Sox2 kooperiert im ,herkömmlichen‘ Gen-Cocktail nicht stark genug mit Oct4. Das führt dazu, dass bei Affen und Nutztieren überhaupt keine iPS-Zellen erzeugt werden können bzw. bei Mäusen und Menschen nur minderwertige iPS-Zellen entstehen. Sox17 bindet dagegen viel stärker an Oct4 als Sox2, es macht die Zellen aber nicht pluripotent und ist daher für die Reprogrammierung ungeeignet.
Die Forscher haben daraufhin eine künstliche Sox-Variante hergestellt, die für die Bindung an Oct4 entscheidende Elemente von Sox17 in Sox2 enthält. „Ich habe Dutzende von chimären Sox2-Sox17-Faktoren hergestellt und getestet“, sagt Sergiy Velychko. Als Postdoktorand am MPI in Münster war er die treibende Kraft der Studie und ist somit Hauptansprechpartner, jetzt forscht er an der Harvard University (USA). „Dabei habe ich entdeckt, dass der Austausch einer einzigen Aminosäure die Dimerisierung, zwischen Sox2 und Oct4 verstärkt. Diese chimäre Sox2-Sox17 Variante nennen wir daher Super-Sox.“ Oct4 kann durch Super-Sox nur noch in begrenztem Umfang allein an die DNA binden. „Dies verhindert, dass zum Beispiel Gene, die die Reprogrammierung stören, angeschaltet werden“, führt Schöler fort.
Modell vom Super-Sox (blau)/Oct4 (gelb) Dimer an einem regulatorischen Bereich des Oct4-Gens in der DNA (grau). Credit: Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin
„Durch die Reprogrammierung mit Super-Sox können wir Oct4 also an die kurze Leine nehmen und so mit einer hohen Umwandlungseffizienz hochwertige iPS-Zellen herstellen“, sagt Schöler. Wie er weiter ausführt: „Einer der Vorteile dieses Systems ist, dass Methoden eingesetzt werden können, bei denen die DNA der Zelle nicht verändert wird, z. B. durch die Verwendung von RNA zur Reprogrammierung. Damit steht ein perfekt geeignetes Ausgangsmaterial für die Transplantation zur Verfügung. Außerdem wird der Bedarf an menschlichen embryonalen Stammzellen reduziert, was wiederum zu einer Verringerung der ethischen Bedenken führen sollte.“
Ein weiterer großer Vorteil ist, dass dieses System auf Körperzellen einer Vielzahl von Säugetieren angewendet werden kann. Neben menschlichen und Mäusezellen wurden im Rahmen der aktuellen Studie in Cell Stem Cell auch Zellen von Schweinen, Rindern und Affen in iPS-Zellen umprogrammiert. „Die zentrale Rolle des Sox2/Oct4-Dimers bei der Pluripotenz scheint in allen Säugetieren konserviert zu sein. Super-Sox war besonders nützlich für die Reprogrammierung resistenter somatischer Zelltypen, wie z. B. Hautzellen von älteren Patienten“, sagt Velychko.
„Ein solch hervorragendes Reprogrammierungssystem bietet ein breites Spektrum von möglichen Anwendungen von gesellschaftlicher Bedeutung: So könnte beispielsweise Blut von Nabelschnur-Banken zu iPS-Zellen reprogrammiert werden, wie dies bereits in Japan mit dem ursprünglichen Cocktail geschieht“, sagt Schöler. Eine Art klinisches Stammzellarchiv menschlicher iPS-Zellen wäre ein äußerst hilfreiches Depot für die Verwendung von Zellen zur Transplantation. Zum einen ist die DNA des Nabelschnurblutes von sehr hoher Qualität, zum anderen wäre die Abstoßungsreaktion des Körpers deutlich geringer. „Ein solches Stammzellarchiv aufzubauen ist zwar ein großer Aufwand, wäre aber eine großartige europäische Initiative. Ich könnte mir vorstellen, dass nicht nur iPS-Zellen, sondern vor allem daraus gewonnene Körperstammzellen zentral gelagert und von dort an die anfordernden Kliniken verschickt werden“, so Schöler.
Zudem könnten hochwertige iPS-Zellen von Tieren gewonnen werden, die vom Aussterben bedroht sind, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zum Erhalt der jeweiligen Tierart zu verwenden. „Dies wäre eine Art Stammzellen-Arche-Noah“, erläutert Schöler und fügt hinzu: „Viele Fragen sind in diesem Zusammenhang noch offen und es bedarf einer guten interdisziplinären Zusammenarbeit, um die durch diese Arbeit geschaffenen Möglichkeiten effektiv und sicher in die Praxis überführen zu können.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin. Die Originalpublikation haben wir euch hier verlinkt.
Bildquelle: Katelyn Perry, Unsplash