Bislang war unklar, wie das Abwehrsystem verhindert, dass Viren nicht einfach eine molekulare Tarnkappe aufsetzen, um sich der Erkennung zu entziehen. Forscher fanden nun heraus, dass unser immunsensorisches System Viren in eine molekulare Zange nimmt.
Seit längerem ist bekannt, dass RIG-I-like Rezeptoren (RLRs) bei der Detektion von RNA-Viren eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind so etwas wie die Feuermelder des Immunsystems: Wenn RNA von Viren an diese Rezeptoren bindet, wird eine Signalkette in Gang gesetzt. Sie mündet in die Produktion von Substanzen, die die Viren schließlich bekämpfen. Bei der Vervielfältigung von viraler RNA entsteht zwangsläufig eine aus drei Phosphaten bestehende, sogenannte Triphosphatgruppe, an einem Ende der neu gebildeten RNA. „Vor wenigen Jahren konnten wir als erste zeigen, dass es diese Triphosphatgruppe ist, über die RIG-I neugebildete virale RNA erkennt. Bislang glaubte man, dass Viren sich dieser Erkennung über einfache molekulare Täuschungsmanöver entziehen können“, sagt Prof. Gunther Hartmann vom Universitätsklinikum Bonn.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Immunbiologischen Labor des London Research Institutes in England untersuchten die Wissenschaftler um Dr. Martin Schlee und Prof. Dr. Gunther Hartmann am Bonner Universitätsklinikum die Immunerkennung von Reoviren. Zu dieser Familie gehören unter anderem Rotaviren, Verursacher von schweren Durchfallerkrankungen, an denen jährlich weltweit mehr als eine Million Kinder sterben. Die Immunerkennung von Reoviren war bislang unklar, da deren RNA über keine Triphosphatgruppe verfügt. Nun entdeckten die Forscher, dass überraschenderweise eine RNA-Struktur mit zwei Phosphaten am Ende des RNA-Doppelstrangs bei Reoviren ebenso den Alarmmechanismus des Abwehrsystems in Gang setzt.
„Dieser Befund hat eine weit über Reoviren hinausreichende Bedeutung für die Erkennung von RNA-Viren: Es ist für ein Virus vergleichsweise einfach, das Triphosphat nach seiner zwangsläufigen Entstehung molekular zu verändern“, sagt Dr. Schlee. Der erste Schritt ist dabei in der Regel die Abspaltung des äußersten Phosphats der Triphosphatgruppe, die zum Diphosphat führt. Erst dann können Viren eine molekulare Tarnkappe aufsetzen. Über die zusätzliche RIG-I-vermittelte hochspezialisierte Immunerkennung des Diphosphats ist dem Virus jede Form der molekularen Tarnung extrem erschwert. RIG-I nimmt Viren damit von zwei Seiten in eine molekulare Zange, und engt damit die Entstehung von weiteren krankmachenden Viren stark ein. „Ohne die Untersuchung von Reoviren wären wir nicht auf diesen allgemeingültigen Mechanismus der Viruserkennung gekommen“, sagt Prof. Hartmann. Die Vertreter der Familie der Reoviren tragen nämlich als Besonderheit eine solche Diphosphatgruppe in ihrer viralen RNA. Daher kann ein gesunder Organismus diese Viren auch erkennen und diese Erkrankungen innerhalb weniger Tage eindämmen. Mangelernährte Kinder können diese Reserven jedoch nicht aufbringen und sind lebensgefährlich bedroht. Originalpublikation: Antiviral immunity via RIG-I-mediated recognition of RNA bearing 5’diphosphates Delphine Goubau et al.; Nature, doi: 10.1038/nature13590; 2014