Erneut hat die EU ihre Entscheidung über Glyphosat vertagt. Ob es tatsächlich zu mehr Krebserkrankungen führt, ist bei Wissenschaftlern umstritten. In der medialen Diskussion werden auch die Begriffe „Risiko“ und „Gefahr“ des Breitbandherbizids durcheinander geworfen.
Am 15. Dezember endet die Zulassung von Glyphosat als Breitbandherbizid. Experten aus 28 EU-Ländern konnten sich bisher im zuständigen Expertengremium nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen. Selbst der Vorschlag, die erforderliche Lizenz nur um fünf statt um zehn Jahre zu verlängern, fand keine Mehrheit. Inhaltlich geht es um Fragen zur Karzinogenität und zur Gentoxizität bei Konsumenten. Deutschland enthielt sich wie schon bei früheren Abstimmungen. Zu groß sind die unterschiedlichen Sichtweisen der Parteien.
In der Wissenschaft ist die Bewertung von Glyphosat umstritten. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (International Agency for Research on Cancer, IARC) analysierte mehrere Studien und kam zu folgender Bewertung:
Wie die IARC berichtet, hätten mehrere Fall-Kontroll-Studien aus den USA, aus Kanada und Schweden ein erhöhtes Risiko gezeigt, durch die chronische Exposition an Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) zu erkranken. Eine frühere Auswertung der Agrargesundheitsstudie (AHS) fand hier keine Assoziation, was sich auch durch kürzlich veröffentlichte Analysen nicht geändert hat. Daniel Dietrich © Uni Konstanz „Tatsächlich weist eine Metaanalyse der epidemiologischen Daten – meist Fall-Kontroll-Studien – auf einen denkbaren Zusammenhang zwischen Glyphosat und NHL hin“, sagt Professor Dr. Daniel Dietrich. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Fachbereich Biologie, an der Universität Konstanz. „Es fehlt jedoch die biologische Plausibilität, das heißt, ein biologischer Mechanismus, welcher eine Glyphosat-Exposition mit der Entstehung von NHL erklären kann, und vor allem, bei welcher Dauer und Konzentration der Exposition dies nicht mehr stattfindet.“ Weitere von der IARC zitierte Studien, die allerdings methodische Mängel hatten, legten Zusammenhänge zwischen der Chemikalie und Multiplen Myelomen nahe. Bei ihrer Literaturrecherche fanden die Forscher keine Hinweise auf maligne Erkrankungen in Gehirn, Speiseröhre, Magen oder Prostata beziehungsweise auf Weichteilsarkome. Fütterungsexperimente mit Mäusen oder Ratten zeigten vor allem bei männlichen Tieren erhöhte Krebsrisiken. Dazu gehörten u.a. Adenome, Hämangiosarkome sowie Karzinome der Nierentubuli. Medienvertreter hatten der IARC beim Erstellen ihrer Dokumente Industrienähe vorgeworfen, was die Behörde jedoch bestreitet. „Die IARC möchte nochmals betonen, dass die Entwürfe der Monographien ihrer Natur nach beratend und vertraulich sind“, heißt es in einer Stellungnahme.
Auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Authority, EFSA) führte ein Peer Review-Verfahren mit Glyphosat durch. Experten kamen zu dem Schluss, dass Glyphosat wahrscheinlich nicht genotoxisch sei oder eine karzinogene Gefahr für den Menschen darstelle. Die Substanz wird „nicht als krebserzeugend im Sinne der EU-Verordnung für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von chemischen Stoffen“ bewertet. Insbesondere waren sich alle Experten der Mitgliedstaaten einig, dass weder die epidemiologischen Daten noch die Daten aus Tierversuchen eine Kausalität zwischen der Glyphosat-Exposition und der Entwicklung von Krebs beim Menschen zeigten. Daraus folgerten Experten, nichts spreche gegen eine Verlängerung der Zulassung. Externe Wissenschaftler kritisierten die Entscheidung aufgrund ihrer Methodik scharf. Andreas Hensel © BfR Hier geriet das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in die Schusslinie. Die Behörde hat Input zum „Renewal Assessment Report – Glyphosate“ der EFSA geliefert. Sie kam zum Ergebnis, Glyphosat sei bei bestimmungesgemäßem Gebrauch weder kanzerogen noch mutagen, teratogen oder neurotoxisch. Ein Teil der untersuchten Publikationen kam von Glyphosat-Herstellern. Darunter befanden sich auch nicht zugängliche Industrie-Veröffentlichungen. Laut EU-Recht müssen die Antragsteller alle ihre zugängliche Studien einreichen. Deshalb schrieb die taz: „Amt schreibt bei Monsanto ab“. Derartige Vorwürfe bezeichnet BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel als „erneuten Versuch, die Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Institutionen zu diskreditieren, die mit der Bewertung gesundheitlicher Risiken bei Pflanzenschutzmittelwirkstoffen wie Glyphosat beauftragt sind. Hensel weiter: „Die im gesetzlichen Bewertungsverfahren eingereichten Dossiers sind Zusammenstellungen bereits vorliegender Studien und stellen deshalb selbst keine wissenschaftliche Originalarbeit dar.“
Auch die Europäische Chemikalienagentur (European Chemicals Agency, ECHA) veröffentlichte eine Klassifikation. Toxikologen halten beim Menschen vor allem den akuten Kontakt für kritisch. Glyphosat verursache schwere Augenschäden, schreiben Toxikologen. Ansonsten gebe es keine Hinweise die Substanz als kanzerogen, mutagen oder als reproduktionstoxisch einzustufen. Jan Hengstler © IfADo „Diese Schlussfolgerung ist wissenschaftlich fundiert“, kommentiert Professor Dr. Jan Hengstler. Er ist Leiter des Forschungsbereichs Toxikologie / Systemtoxikologie, Leibniz-Institut für Arbeitsforschung (IfADo) an der TU Dortmund. „Sowohl die verfügbaren Langzeitstudien an Ratten und Mäusen als auch epidemiologische Daten rechtfertigen nicht die Schlussfolgerung, dass Glyphosat karzinogen oder mutagen ist. Unter den derzeitigen Nutzungsbedingungen von Glyphosat besteht für Menschen kein erhöhtes Krebsrisiko.“
Weltweit hochkarätige Institutionen kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen. Wer nur an Interessenskonflikte und an Industriegelder denkt, übersieht einen weiteren Aspekt. „Es ist festzuhalten, dass die Beurteilung durch die EFSA, das BfR und die IARC sich nicht grundsätzlich unterscheiden“, erklärt Dietrich. „Während die IARC die Gefahr von Glyphosat einschätzt, schätzten die EFSA und auch das BfR auch das Risiko ein, und beide kommen zum dem Schluss, dass bei den derzeitigen Expositionen kein Risiko bezüglich Krebsentstehung besteht.“ Beide Begriffe werden umgangssprachlich gern vermischt.
Johann G. Zaller © BOKU Dietrich: „Also ist es wichtig festzuhalten, dass beim derzeitigen korrekten und sinnvollen Einsatz von Glyphosat kein erhöhtes Krebsrisiko besteht.“ Allerdings fehlen Wissenschaftlern derzeit plausible Erklärungen, warum es in oben genannten tierexperimentellen Studien zu derart deutlichen Effekten kommt. Dies gilt als größter Unsicherheitsfaktor bei der Bewertung. Professor Dr. Johann G. Zaller vom Institut für Zoologie, Universität für Bodenkultur Wien, spricht sogar von „erdrückenden Befunden“ im Tierexperiment. Sein Fazit: „Die EU hat sich zum Vorsorgeprinzip bekannt, das bedeutet, dass bei alleinigem Verdacht von schweren gesundheitlichen Auswirkungen ein Stoff vom Markt genommen werden muss.“
Glyphosat © Yikrazuul, Wipikedia / CC0 In der Politik sehen das einige Parteien anders: „Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand spricht nichts dafür, den Pflanzenschutzwirkstoff Glyphosat zu verbieten“, erklärt Thomas Mahlberg (CDU) im Namen der Union. „Alle in Deutschland beteiligten Behörden sowie die EFSA empfehlen grundsätzlich eine erneute Genehmigung des Wirkstoffs.“ Wer diese fachliche Expertise missachte, verlasse den Boden der Tatsachen und disqualifiziere sich selbst. „Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln muss auf wissenschaftlicher und nicht politischer Grundlage erfolgen“, so Mahlbergs Forderung. Als Koalitionspartner der früheren Bundesregierung teilen Sozialdemokraten diese Sichtweise nicht. „Glyphosat halten wir bei dem aktuellen Verhandlungsstand für nicht zulassungsfähig“, so Wilhelm Priesmeier (SPD). Er will die Anwendung langfristig ganz auslaufen lassen: eine Sichtweise, die auch von den Grünen getragen wird. Die FDP widerspricht. Volker Wissing erklärt dazu: „Bei Diskussionen über bestimmte Wirkstoffe zählen für uns Freie Demokraten nicht Stimmungen, sondern nachvollziehbare wissenschaftliche Fakten und nicht zuletzt die Stellungnahmen des Bundesinstitutes für Risikobewertung. Insofern sehen wir aktuell keine Veranlassung, die Zulassung von Glyphosat in Frage zu stellen.“
Angesichts der Problematik kommen auch die Europäische Kommission große Herausforderungen zu. Bis zum 22. November wird ein Vermittlungsausschuss mit hochrangigen Politikern tagen. Auch hier müssten 55 Prozent der Mitglieder zustimmen, die wiederum 65 Prozent aller Bürger repräsentieren. Kommt es erneut zum Patt, kann die Kommission selbst eine Entscheidung fällen. In Zeiten des Brexit und der EU-Verdrossenheit versuchen alle Beteiligten, derart brachiale Vorgehensweisen zu verhindern.