Geflüchtete Menschen lassen sich auf Kosten der Deutschen die Zähne neu machen – so lautete zumindest der Vorwurf des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Aber stimmt das wirklich? Ein Faktencheck.
„Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Mit dieser Aussage erregte CDU-Vorsitzender Friedrich Merz im Herbst letzten Jahres massives Aufsehen. Einige seiner Kollegen warfen ihm Populismus vor, aber was ist wirklich dran? Damit haben sich Forscher nun in dem bevölkerungsbezogenen Survey RESPOND beschäftigt – und überraschende Ergebnisse geliefert. Die Studie wurde im Journal of Health Monitoring des RKI veröffentlicht.
Dass man in Deutschland mitunter lange auf Facharzttermine warten muss, ist wirklich kein Geheimnis. Aber ist es berechtigt, diese Wartezeiten auf die Inanspruchnahme der Leistungen durch ausländische Personen zu schieben? Die Prävalenz der Deutschen, die mindestens einmal im Jahr zum Zahnarzt gehen, liegt bei 82,2 %. Bisher gab es noch keine verlässlichen Vergleichswerte, wie oft geflüchtete Personen Zahnärzte aufsuchen. Deswegen untersuchten Forscher in einer bevölkerungsbezogenen Querschnittstudie in drei repräsentativen, zufallsbasierten Stichproben geflüchteter Menschen die Inanspruchnahme gesundheitlicher Versorgung – inklusive zahnmedizinischer Leistungen. Als geflüchtete Menschen galten dabei Menschen, die in Deutschland beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Antrag auf Asyl gestellt haben – unabhängig vom Ausgang des Gesuchs.
„Der Indikator lag für 68,8 % (594) der insgesamt 863 befragten geflüchteten Menschen vor. Insgesamt gaben 38,2 % an, in den vergangenen 12 Monaten zahnmedizinische Leistungen in Anspruch genommen zu haben, wohingegen 41,4 % noch nie entsprechende Leistungen in Deutschland genutzt haben“, so die Studienautoren. Und das, obwohl internationale und deutsche Studien konsistent auf einen schlechten Zustand der Mundgesundheit bei geflüchteten Menschen hinweisen. Bei den Geschlechtern fand man keine signifikanten Unterschiede in der Inanspruchnahme zahnmedizinischer Leistungen, allerdings besuchte die Altersgruppe der über 30-Jährigen am häufigsten einen Zahnarzt. Außerdem stand eine kürzere Aufenthaltsdauer mit weniger Besuchen in Verbindung. Die Forscher betonen allerdings: „Für eine tiefergehende Analyse etwaiger Unterschiede in der Prävalenz wären größere Stichproben notwendig gewesen, was die hier vorliegende Auswertung einschränkt.“
Ein direkter Vergleich mit der Allgemeinbevölkerung gestaltet sich jedoch schwierig. „Gründe hierfür sind zum einen der unterschiedliche Wortlaut der jeweils verwendeten Fragen zur Erfassung der Inanspruchnahme. In der Allgemeinbevölkerung erfolgt dies unspezifischer und schließt auch Kieferorthopädinnen und -orthopäden und andere Spezialistinnen und Spezialisten ein“, so die Studienautoren. Vergleicht man die Daten der aktuellen Studie zu geflüchteten Menschen mit den bestmöglichen Vergleichsdaten, zeigt sich dennoch, dass geflüchtete Menschen deutlich weniger zahnärztliche Behandlungen in Anspruch nehmen als die Gesamtbevölkerung.
An Merz Aussage sind also so einige Punkte, an denen man gut und gerne rütteln kann. Vor allem, da im Asylbewerberleistungsgesetz festgehalten ist, dass „Zahnbehandlungen nur dann durchgeführt werden dürfen, wenn es unaufschiebbare medizinische Gründe dafür gibt“. Alle weiteren Leistungen müssen während eines laufenden Asylverfahrens explizit bei der zuständigen Behörde beantragt und nach deren Ermessen stattgegeben werden. In genau diesem Vorgehen sieht Studienautorin Dr. Nora Gottlieb einen Widerspruch zu den Grundsätzen der Nicht-Diskriminierung, Gleichstellung und Menschenwürde. Während der Allgemeinbevölkerung geraten wird, halbjährlich den Zahnarzt aufzusuchen, können Asylbewerber diese Empfehlung nicht in Anspruch nehmen.
„Im Hinblick darauf, dass die verfügbaren Studien bei Geflüchteten auf einen hohen oder höheren Versorgungsbedarf im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hinweisen, scheint die Versorgung nicht bedarfsgerecht zu sein“, so Gottlieb in einer Pressemeldung der Universität Bielefeld. Diese Herangehensweise würde im weiteren Verlauf die Gefahr für Folgeerkrankungen – nicht nur an den Zähnen, auch an anderen Organsystemen – deutlich erhöhen.
Die heutige Datenlage kann das eingangs erwähnte Zitat des CDU-Vorsitzenden also nicht bestätigen. Obwohl die aktuelle Datenlage noch mangelhaft ist, deutet die Studie darauf hin, dass sogar eher das Gegenteil der Fall ist. Allerdings waren die Stichproben klein, sehr heterogen und nur aus zwei Bundesländern gezogen. Zudem ist der Ausgang des Asylantrags der Teilnehmer nicht mit in die Erhebung eingeflossen – das wäre allerdings wichtig, um zu erschließen, wie viele Behandelte auch weiterhin im deutschen Gesundheitssystem verweilen und wie viele eventuell von diesen Erstversorgungen profitieren und danach wieder das Land verlassen.
Es braucht also – wie so oft – mehr vergleichbare Studien, um die Sachlage kompetent einordnen zu können, etwa indem gleiche Behandlungen in deren Anzahl miteinander verglichen werden. Außerdem müsste der eigentliche Bedarf an Zahnbehandlungen von geflüchteten Menschen erhoben, da dieser häufig über denen der Allgemeinbevölkerung liegt, und in Relation gesetzt werden. All das könnte in Zukunft zu einer klareren Datenlagen sowie zu einer faktenbasierten Diskussion in Bezug auf Migration und Gesundheit führen.
Bildquelle: Hana Lopez, Unsplash