Apo-Kunden sind sauer, weil ihre Stammrezeptur plötzlich nicht mehr 20 Euro, sondern 80 Euro kostet. Der Grund dafür: Die Hilfstaxe wurde gekündigt. Wie geht es jetzt weiter?
Die Apotheken erleben derzeit nicht nur mit dem E-Rezept turbulente Zeiten. Seit der Deutsche Apothekerverband (DAV) die Hilfstaxe zum 31. Dezember 2023 fristgerecht gekündigt hat, wurde die Berechnung der Rezepturen gleichermaßen mühsam – aber auch deutlich befriedigender im Ergebnis.
Wie es dazu kam: Die Einkaufspreise für Rezeptursubstanzen haben längst die in der Hilfstaxe festgelegten Listenpreise überholt. Die Kündigung sollte eine Anpassung ermöglichen, doch zwischen DAV und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) konnte keine Einigung erzielt werden. Das Resultat: Ein „vertragsloser Zustand” seit dem 1. Januar 2024, der die Preisbildung für Rezepturen nach den Regeln der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) vorsieht.
Die Hilfstaxe legte ursprünglich Festzuschläge von 90 % auf Rezepturbestandteile und 100 % auf unverarbeitete Substanzen fest. Mit der Kündigung orientiert sich die Preisbildung nun am tatsächlichen Einkaufspreis der Apotheke. Doch bereits hier beginnt die Unsicherheit. Die Empfehlungen der Apothekenverbände sehen vor, die gesamte Packung abzurechnen, nicht nur die tatsächlich verarbeiteten Mengen. Dies basiert auf dem Wortlaut der AMPreisV, der den „Einkaufspreis der üblichen Abpackung” als maßgebend nennt.
Die GKV hat eine andere Sichtweise: Sie vertritt die Meinung, dass die in der Packung verbleibende Restmenge aufbewahrt und für weitere Rezepturen genutzt werden sollte. Abgerechnet werden dürfe nur der wirklich verarbeitete Anteil.
Diese Uneinigkeit führt zu einem Preisdilemma und zwingt die Apotheken zur Entscheidung – ob sie den Empfehlungen ihres Verbandes folgen und ein mögliches Retaxationsrisiko in Kauf nehmen oder weiterhin nur Teilmengen abrechnen. Klar ist: Ein Retaxrisiko besteht natürlich. Klar ist aber auch, dass man es den Kassen damit sehr einfach machen würde und für sie weiterhin keine Notwendigkeit besteht, sich mit dem DAV zu einigen. Es wäre sicher sinnvoll, wenn Apothekeninhaber in diesen Zeiten Geschlossenheit zeigen und das Risiko eingehen – samt der Erhebung von Einsprüchen, sollte eine Retaxation von den Krankenkassen kommen.
Angesichts dieser Unsicherheiten bei der Abrechnung der Rezepturen und der Angst vor Retaxen kam aus der Apothekerschaft der Vorschlag, Verschreibungen von Rezepturen vorerst wie Privatrezepte zu behandeln. Dies würde bedeuten, dass auch die gesetzlich versicherten Kunden zunächst Selbstzahler wären und das Rezept später bei ihrer Krankenkasse zur Erstattung einreichen könnten. Der DAV machte jedoch sofort klar, dass dies nicht zulässig ist. Die Apotheken bleiben verpflichtet, gesetzlich versicherte Personen nach dem Sachleistungsprinzip zu versorgen, wie es im Sozialgesetzbuch (SGB V § 2) festgelegt ist.
Zur Sicherheit sollten Apotheken also ab dem 1. Januar 2024 ihre individuellen Einkaufspreise für Rezeptursubstanzen, Gefäße und verarbeitete Fertigarzneimittel sorgfältig dokumentieren, denn bei einer Retax könnten die Krankenkassen die Vorlage von Einkaufsnachweisen fordern. Die Unsicherheit über die Dauer des vertragslosen Zustands bleibt so lange bestehen, bis eine neue Hilfstaxe ausgehandelt wird und die Apothekenmitarbeiter stehen damit vor der Herausforderung, alle Preise für ihre hergestellten Rezepturen auf Basis der tatsächlichen Einkaufspreise neu zu berechnen. Zusätzlich zu den Unsicherheiten, die sich im Zusammenhang mit dem E-Rezept ergeben haben, ein großer Brocken, der da von den Inhabern verdaut werden muss.
Die Hilfstaxenkündigung hat also nicht nur Auswirkungen auf die Preisbildung, sondern auch auf den täglichen Ablauf in den Apotheken, denn die Unklarheiten bei der Preisbildung und Abrechnungsmenge sorgen nicht nur für Kopfzerbrechen bei Apothekenmitarbeitern. Sie führen auch zu unangenehmen Diskussionen mit den Kunden. Die Kunden stehen vor zusätzlichen Unsicherheiten, denn die Erklärung zur neuen Preisbildung wird häufig zum zentralen Punkt im Beratungsgespräch.
Die möglichen Mehrkosten, die aufgrund der veränderten Abrechnungsmethoden entstehen können, sorgen für Verwirrung und Unzufriedenheit. Es ist oft nicht einfach zu erklären, dass die 5 Euro Zuzahlung plötzlich auf 10 Euro angewachsen ist, da die Rezepturen mit dem Jahreswechsel auf einmal zum Teil um das Fünffache teurer geworden sind.
Privatpatienten sind umso irritierter, wenn ihre Stammrezeptur auf einmal nicht mehr 20 Euro, sondern 80 Euro kostet. Und hier tut sich die nächste Frage auf: Wie wird mit den Privaten verfahren? Berechnet man diese Rezepte künftig nach alter Manier oder gilt auch für diese Patientengruppe die neue Berechnung? Auch hier ziehen nicht alle Apothekeninhaber am gleichen Strang. Und so kommt es zu teilweise erheblichen Preisdifferenzen. All diese Unsicherheiten über den Umgang mit Privatpatienten, über den Ausgang der Verhandlungen und die potenziellen Retaxationsrisiken, die wie ein Damoklesschwert über den PTA und Apothekern schweben, belasten nicht nur den Geldbeutel der Apotheken, sondern auch das Arbeitsklima.
In dieser Zeit des Umbruchs ist die Fortbildung der Apothekenteams und der Austausch mit den umliegenden Mitbewerbern entscheidend. Die Mitarbeiter müssen nicht nur mit den technologischen Veränderungen durch die Einführung von E-Rezepten Schritt halten, sondern auch die neuen Abrechnungsmethoden und -grundlagen verstehen. Zudem erspart man sich viel Ärger mit der Kundschaft, wenn nicht vier von fünf Apotheken in einer Stadt unterschiedliche Preise verlangen. Der DAV und die Apothekerverbände sind gefordert, Schulungen und Informationen bereitzustellen, um die Apothekenteams auf die neuen Gegebenheiten vorzubereiten.
Die Apothekenwelt befindet sich derzeit auf vielen Gebieten in einem Ausnahmezustand, während DAV und GKV-Spitzenverband nach wie vor um eine Einigung ringen. Die Hoffnung auf baldige Nachrichten der Verbände, die Licht ins Dunkel bringen, bleibt bestehen. Bis dahin müssen Apotheker mit den Unsicherheiten leben und ihre Prozesse den neuen Gegebenheiten anpassen. Zwischen Verhandlungen, Unsicherheiten und täglichen Herausforderungen bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiterentwickelt und welche Lösungen gefunden werden können, um die Interessen der Apotheken, der Krankenkassen und vor allem der Patienten zu wahren.
Bildquelle: Andre Taissin, unsplash