Ein Viertel aller stark Übergewichtigen bleibt trotz der überflüssigen Pfunde auch langfristig gesund. Wissenschaftler konnten in einer Studie nun zeigen, warum die Körperfülle keine negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit hat.
Vor etwa einem Jahr hat die American Medical Association (AMA) Adipositas als Krankheit eingestuft. Doch macht übermäßige Körperfülle tatsächlich immer krank? Weltweit gelten mehr als zwei Milliarden Menschen als adipös - und drei von vier Betroffene entwickeln in der Tat Folgeerkrankungen wie beispielsweise einen Diabetes Typ 2. Doch ein Viertel aller stark Übergewichtigen bleibt trotz der überflüssigen Pfunde auch langfristig gesund. Woran liegt das?
Ein internationales Wissenschaftlerteam konnte nun zeigen, was bei kranken Übergewichtige anders ist als bei gesunden. Dazu untersuchten sie Gewebeproben fettleibiger Menschen und fanden einen entscheidenden Unterschied: Adipöse Menschen, die geringe Konzentrationen des Enzyms HO-1 aufweisen, entwickeln sehr selten Folgeerkrankungen, während solche mit hohen Werten sehr oft davon betroffen sind. „Der Zusammenhang zwischen HO-1-Werten und dem Gesundheitszustand der Patienten war überwältigend. Weder Gewicht, Fettanteil oder die Menge an ungesundem Bauchfett waren aussagekräftiger“, erklärt Harald Esterbauer von der Medizinischen Universität Wien. „Das deutet sehr stark darauf hin, dass HO-1 direkt an der Schnittstelle zwischen Übergewicht und Folgeerkrankungen wirkt.“
Auch bei Mäusen konnten die Wissenschaftler dieses Phänomen beobachten. „Daher eignet sich die Maus in diesem speziellen Fall auch sehr gut, die Rolle von HO-1 zu studieren“, erklärt Esterbauer. Um zu prüfen, in welchen Geweben das Vorkommen von HO-1 für Übergewichtige gesundheitsrelevant ist, schalteten die Forscher bei Mäusen das Enzym gezielt und nur in einzelnen Zelltypen und Geweben aus – mit eindeutigem Ergebnis: In Muskel- und Fettzellen sowie in Insulin-bildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse scheint das Vorkommen von HO-1 keine Rolle zu spielen. „Wenn wir es aber ganz selektiv in der Leber oder in den Fresszellen des Immunsystems ausschalten, wirkt sich das enorm auf das Erkrankungsrisiko aus. Ohne HO-1 in diesen Zellen blieben die Mäuse gesund und entwickeln keine Insulinresistenz, selbst wenn sie mit sehr fettreichem Futter ernährt wurden“, so J. Andrew Pospisilik vom Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. Zudem war die Stoffwechselaktivität der Mitochondrien in Zellen ohne HO-1 deutlich gesteigert.
Für die Forscher ist HO-1 ein höchst interessantes Ziel für diagnostische und therapeutische Ansätze. Denn das Enzym scheint nicht nur eine Voraussetzung für die Entstehung von Folgeerkrankungen bei Übergewicht zu sein. Umgekehrt reicht HO-1 ohne weitere Faktoren offenbar auch aus, um krank zu werden. Außerdem ist HO-1 bereits in einem sehr frühen Stadium Adipositas-bedingter Erkrankungen wie beispielsweise einer Insulin-Resistenz aktiv. Pospisilik resümiert: „Das macht das Molekül medizinisch so interessant, denn je früher man das Erkrankungsrisiko von Übergewichtigen kennt, desto erfolgreicher kann man die Folgeerkrankungen behandeln.“ So ließen sich schwere, nicht rückgängig zu machende Schäden möglicherweise verhindern.
Eine Neuentdeckung ist HO-1 allerdings nicht gerade, denn zu dem Enzym gibt es bisher schon etwa 8.000 Studien. Die jetzige scheint dennoch besonders beachtenswert zu sein: „Unsere Ergebnisse widerlegen ein zentrales Dogma der HO-1-Forschung. HO-1 fördert chronische Entzündungen und ist nicht wie bislang vermutet entzündungshemmend“, sagt Pospisilik. „Solche chronischen Entzündungen sind zentrale Risikofaktoren für Diabetes.“ Aber auch bei Parkinson und Alzheimer könnte das Enzym eine entscheidende Rolle spielen, denn beide Erkrankungen gehen mit einer gestörten Funktion der Mitochondrien und Entzündungen einher. Bei Patienten mit diesen Erkrankungen wird HO-1 in den Nervenzellen sehr stark aktiviert. Die Wissenschaftler konnten außerdem zeigen, wie HO-1 zu Diabetes führt: Das Enzym fördert eine Insulin-Resistenz, die Vorstufe eines Diabetes Typ-2, indem es über Zwischenschritte die Insulin-Rezeptoren auf der Zelle verändert.
Esterbauer denkt dabei an einen einfachen Bluttest, mit dem eine große Anzahl von Menschen relativ unkompliziert auf ihren HO-1-Status hin untersucht werden könnte. „Wenn man bedenkt, dass hierzulande vermutlich mehr als 20 Prozent der Patienten mit Insulinresistenz und Typ 2 Diabetes bisher unerkannt bleiben, ist das ein besonders wichtiger Punkt“, so Esterbauer. Eine Therapie wäre mit spezifischen Hemmstoffen für das Enzym denkbar. Für therapeutische Hemmstoffe von HO-1 gibt es bereits wichtige Anhaltspunkte. Doch zunächst müssen die Wissenschaftler noch besser verstehen, ob HO-1 alleine wirkt oder möglicherweise an andere Proteine bindet und als Adapterprotein wirkt. Erste Ergebnisse erwarten die Forscher in zwei bis drei Jahren. Eine therapeutische Zulassung könnte innerhalb von zehn Jahren folgen.