Dauerrezepte sollen allen Beteiligten die Arbeit erleichtern – doch Ausnahmen bestätigen die Regel. Wenn Patienten das System ausnutzen oder Kassen uns Apos als Bösewichte darstellen, wird’s schonmal brenzlig. Wie ich in der Schweiz damit umgehe.
Ja, das ist so eine Sache mit der Wirtschaftlichkeit. Im KVG (Kranken-versicherungsgesetz des Bundes) steht ein eher schwammiges: „Die Leistungen […] müssen wirksam, zweckmäßig und wirtschaftlich sein.“ Das gilt nicht nur für die Zulassung von Medikamenten, sondern auch für die Übernahme durch die Kasse – und dementsprechend für die Abgabe in der Apotheke.
Ein gutes Beispiel, bei dem die Wirtschaftlichkeit gesteigert werden soll, sind Dauerrezepte, anhand derer wir wiederholt über Monate bis hin zu einem Jahr verschriebene Medikamente abgegeben können. Grundsätzlich eine gute Sache, da es Arztbesuche (und damit auch Kosten) reduziert – und wir in der Apotheke bei der Abgabe die korrekte und regelmäßige Einnahme unterstützen (und kontrollieren, falls nötig) können und die Therapie niederschwellig überprüfen sowie bei Änderungen beraten. Das funktioniert grundsätzlich gut bis sehr gut, bedingt aber trotzdem einer gewissen Eigenverantwortung des Patienten für seine Gesundheit. Und dann gibt es die, die das (aus verschiedenen Gründen) ausnutzen. In der letzten Zeit waren die Mehrbezüge überwiegend aus Spar-Gründen.
Hier kommen drei Begegnungen zu dem Thema aus den letzten Wochen.
Die Pharmaassistentin bringt mir zur Kontrolle diverse Medikamentenpackungen. Darunter 2 Packungen zu 90 Tabletten eines Blutdruckmedikamentes, Dosierung „Abends 1 Tablette einnehmen“. Ein Bedarf für 6 Monate also.
Sie fragt mich: „Sie möchte grad 2 Packungen davon, kann ich ihr das geben?“Ich schaue mir das an – sie hatte es schon? (Ja), das Dauerrezept ist gültig bis August (also über die Dauer der Abgabe heraus).
„Okay, aber sag ihr, dass die Krankenkasse Abgaben über eine 3-Monats-Dauer nicht sehr schätzt und dass eine Rückgabe der Medikamente – zum Beispiel, wenn sich etwas ändert – nicht mehr möglich ist.“ Das lasse ich (aus Gründen) bei großen Bezügen immer mitteilen.
Die PA bringt der Patientin ihre Medikamente … und kommt mit einer Packung eines anderen Dauer-Medikamentes zu mir zurück.
„Ich habe ihr das gesagt, was du gesagt hast. Sie hat mir dieses Medikament gegeben. Sie braucht es nicht mehr und lässt fragen, ob wir es zurücknehmen?“
Abgabedatum war August. Auch eine 3-Monatspackung. Unangebrochen. Die PA und ich schauen uns nur an. Sie kennt meine Antwort.
„Nur zum Entsorgen.“
Dann war da dieser Mann mit einer Reklamation. Er kommt mit einem Abrechnungsbeleg der Krankenkasse zu uns in die Apotheke: „Die Kasse sagt, dass Sie einen Fehler gemacht und zu viel abgerechnet haben.“ Am Krankenkassenschein hängt ein Kassenzettel von uns mit einer Geldrückgabe von 53.90 Franken, auf dem Kassenschein steht ein Preis von 58 Franken.
Ich schaue mir in der Patientenhistorie an, was da passiert ist. Der Patient war im Juli letzten Jahres bei uns und ich selber habe ihm eine (Groß-)Packung eines Blutdruckmedikamentes verkauft, ohne Rezept. Laut Notiz dazu hatte er das Medikament bei uns schon, aber sein alter Arzt stellte keine Dauerrezepte aus, wir haben dafür schon einmal eine Abgabe im Ausnahmefall gemacht und er sucht aktuell einen neuen Arzt, der ihm ein neues Rezept ausstellt. Das hat dann im September wohl geklappt – er ist mit einem neuen Rezept vom Arzt gekommen und wollte, dass wir das damals bezahlte Medikament der Krankenkasse abrechnen. Deshalb die Geldrückgabe und der neue Abrechnungsschein der Krankenkasse. Die Preisdifferenz liegt daran, dass wir bei Selbstzahlern nur eine der beiden Pauschalen des Medikamentes verrechnen, da sie uns ja praktisch einen Teil der Arbeit (Abrechnung mit der Kasse) abnehmen. Da wir das (auf seinen Wunsch) aber danach bei der Kasse abrechnen sollten, kam die Pauschale da halt wieder drauf. Eigentlich weiß die Krankenkasse das – aber es ist natürlich einfacher, dem Patienten zu sagen, dass wir da „bescheißen“. Hrrumpf. Wenigstens war der Patient ruhig und einsichtig.
Der letzte Fall braucht etwas Vor-Erklärung. Der Patient ist bei der Krankenkasse Assura versichert, bei der man die Medikamente in der Apotheke erstmal selber bezahlen muss und sie (nach Erreichen der Franchise) einschickt. Die Assura hat eine Ausnahmeregelung dafür, die sie vor ein paar Jahren eingeführt haben: Liegt die Abgabe über einem Preis von 200 Franken (vom selben Arzt verschriebene Medikamente), dürfen wir das in der Apotheke doch direkt der Kasse abrechnen. Das hilft oft sozial schwächeren Patienten dieser Versicherung, die das Geld so quasi nicht „vorstrecken“ müssen. Wenn man geschickt ist und die Sachen gesammelt bezieht, ist das eine echte Erleichterung.
Auftritt Herr Flokid. Herr Flokid gehört zur sozial schwachen Schicht, ist von Medikamenten (und von anderem) abhängig und eben bei der Assura versichert. Zudem spricht er wenig deutsch. Ende letzten Jahres hatte ich die ganze Woche mit ihm zu tun, weil er offenbar nicht nur die Franchise ausnutzen wollte, sondern noch so viel wie möglich über das Rezept beziehen wollte. Am Ende habe ich ihm die Abgabe verweigert und ihm vorgerechnet, für wie lange er schon Medikamente bezogen hat. Das wollte er nicht verstehen – ich behaupte mal, dass das nicht nur ein Sprachproblem ist. Er hat dann ein neues Dauerrezept besorgt – und ich habe ihm noch einmal erklärt, dass das nichts daran ändert, dass er schon alle Medikamente bezogen hat, die er bis April erhalten kann und er jetzt keine mehr beziehen kann. „Nein, auch im Dezember nicht von den Beruhigungsmitteln.“ Da hat er die fraktionierte Abgabe für den Monat ebenfalls schon bezogen – und kann erst Anfang Januar wieder beziehen. Er war am 2. Januar wieder da.
Ich verstehe das ja – alle drei Beispiele. Aber ich stehe da zwischen Patienten und Krankenkasse. Da wird es immer Diskussionen geben.
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