Karl Lauterbach wagt, wovor seine Amtsvorgänger lange zurückschreckten: Er will homöopathische Behandlungen als Kassenleistung streichen – und bringt damit die Gemüter zum Kochen.
Bislang hat sich die Politik – trotz anhaltender Diskussionen – schwergetan, eine klare Stellung zu homöopathischen Arzneimitteln zu beziehen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will dem nun ein Ende setzen. Er plant homöopathische Behandlungen als mögliche Leistung der gesetzlichen Kassen zu streichen. Die Nachricht spaltet die Ärzteschaft in wenig überraschende Lager: Während die deutschen Homöopathie-Ärzte das Vorhaben stoppen wollen, zeigt sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erfreut.
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„Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes erbringt“, sagte Lauterbach am Donnerstag (11. Januar 2024) bei einem Pressegespräch in Berlin. Deshalb solle eine solche Leistung auch nicht von den Kassen bezahlt werden. „Das können wir uns nicht leisten.“
Lauterbach verschickte ein Empfehlungspapier an andere Ministerien, in dem dargelegt wird, an welchen Stellen bei den finanziell angeschlagenen gesetzlichen Krankenversicherungen gespart werden kann, berichtete der Spiegel am Mittwochabend (10. Januar 2024). Auch dem ARD-Hauptstadtstudio liegt das Schreiben vor.
„Wir werden das in Kürze gesetzlich umsetzen“, versprach Lauterbach. In welchem Gesetzesvorhaben die Streichung genau abgewickelt werden soll, dazu gibt es bisher noch keine Informationen.
In dem Empfehlungspapier heißt es: „Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden.“ Und weiter: „Aus diesem Grund werden wir die Möglichkeit der Krankenkassen, in der Satzung auch homöopathische und anthroposophische Leistungen vorzusehen, streichen und damit unnötige Ausgaben der Krankenkassen vermeiden.“
Den Krankenkassen soll es aber möglich sein, interessierten Patienten private Zusatzversicherungsverträge zu diesen Leistungen anzubieten.
Die geplante Streichung von homöopathischen Behandlungen auf Kassenkosten sorgt – neben einigem Lob aus der Ärzteschaft – für heftige Kritik. So stellen sich deutsche Homöopathie-Ärzte vehement gegen das Vorhaben.
„Das geht in die völlig falsche Richtung“, erklärte Dr. Michaela Geiger, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) aus Neckarsulm gegenüber den DocCheck News. „Die freiwillige Kassenleistung ist wichtig, denn nur so erhalten Patientinnen und Patienten die ärztliche Homöopathie auf ‚Chipkarte‘“. Zusatzversicherungen hingegen würden Geld kosten, das könnten sich nicht alle Patienten leisten. „Homöopathie aber ist versorgungsrelevant“, so Geiger. Es gebe viele qualitativ hochwertige Studien, die der Homöopathie eine medizinische Wirksamkeit bescheinigen.
Lauterbach richte damit ihrer Meinung nach einen großen Schaden in der Versorgung an. „Es würde eine therapeutische Monokultur in den Praxen entstehen“, erklärte Geiger. Die Leidtragenden wären die Patienten. „Wir erleben täglich in der Praxis, dass die Therapievielfalt medizinisch sinnvoll ist. Homöopathie wird von uns begleitend zur konventionellen Medizin eingesetzt.“ Viele Patienten kämen ganz gezielt wegen der Homöopathie in unsere Arztpraxen, vor allem auch bei chronischen Erkrankungen.
Kritik kommt auch aus den Reihen der CDU, die dem Bundesgesundheitsminister eine Art Ablenkungsmanöver unterstellt. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Union, sprach von einer „Nebelkerze“, die von Untätigkeit ablenken solle. Der Minister verliere sich im „Klein-Klein“, statt echte Reformen anzupacken. Durch diese Maßnahme werde nur wenig Geld gespart, argumentiert Sorge.
Die Reaktion der gesetzlichen Kassen ist bislang eher zurückhaltend: „Was die Finanzwirkung angeht, handelt es sich mehr um eine symbolische Geste als um eine Maßnahme mit einem tatsächlichen Effekt“, so Verbandssprecher Florian Lanz.
Lauterbach hält dagegen: Nach seinen Angaben könnten 20 bis 50 Millionen Euro pro Jahr eingespart werden. Hingegen spricht der GKV-Spitzenverband von rund 22 Millionen Euro für homöopathische und anthroposophische Arzneimittel nach den zuletzt veröffentlichten Zahlen aus dem Jahr 2021.
Der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha kritisierte, die Debatte sei angesichts der geringen Einsparmöglichkeiten unangemessen. Viele Menschen würden der Homöopathie vertrauen, weil sie damit offensichtlich gute Erfahrungen machen würden. „Hingegen sind die Kosten der Kassen für diese Leistungen marginal“, äußerte sich Lucha gegenüber dem Tagesspiegel. Es könnten maximal zehn Millionen Euro dadurch eingespart werden. Die Finanzierungslücke beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) betrage dagegen für das laufende Jahr hingegegen 3,2 Milliarden Euro.
Es gehe hier „nicht ums Geld, sondern um das Prinzip“, vermeldete der Bundesgesundheitsminister. Es könne keine vernünftige Politik geben, die die Wissenschaft ignoriert – im Bereich der Homöopathie wäre das bisher aber der Fall. Solche Behandlungen müssten also entweder selber bezahlt oder über Zusatzversicherungen abgedeckt werden.
Die KBV stellt sich hinter die Pläne des Ministers: „Es ist richtig, Homöopathie als Kassenleistung abzuschaffen“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen gegenüber der Rheinischen Post. „Während jede neue Leistung, die in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden soll, zu Recht einen umfangreichen Nutzennachweis durchlaufen muss, hat manche Krankenkasse gerne homöopathische Verfahren und Mittel, für die es keine ausreichenden Studienlagen gibt, im Sinne des Versichertenmarketings angeboten.“
Bildquelle: James Trenda, Unsplash