Neues aus Onko, Neuro und Infektio: Wir haben für euch einen Blick in die wichtigsten Studien geworfen. Was euch 2024 erwartet, lest ihr in unserem Überblick.
Jahr für Jahr untersuchen Wissenschaftler eine kaum überblickbare Zahl an Wirkstoffen und diagnostischen Verfahren. In Nature Medicine stellen Experten aus unterschiedlichen Fachbereichen die Highlights des Jahres zusammen.
Wenig überraschend gehört die Onkologie zu den Schwerpunkten. Fast drei Viertel aller Lungenkrebs-Fälle werden erst im Stadium 3 oder 4, diagnostiziert. Wie lässt sich die Situation verbessern? In einer randomisiert-kontrollierten Studie untersuchen Wissenschaftler, ob künstliche Intelligenz (KI) die Auswertung von Röntgenaufnahmen des Brustkorbs präzisieren könnte. „Unsere Hypothese, die auf früheren Forschungsarbeiten beruht, ist, dass wir Lungenkrebs früher erkennen und die Zeit bis zur Diagnose um bis zu 50 Prozent verkürzen können“, berichtet die Forschergruppe.
Bei CT-Screenings ist die Lage klar: Mehrere Studien haben gezeigt, dass die Lungenkrebsvorsorge per CT die Sterblichkeit senken kann. Doch wie oft machen Untersuchungen bei Patienten ohne Auffälligkeiten Sinn? Das soll mit der Studie 4-IN THE LUNG RUN geklärt werden. Wissenschaftler vergleichen dabei, ob ein Screening alle zwei Jahre ebenso wirksam wie jährliche Untersuchungen ist, um Todesfälle durch Lungenkrebs zu verhindern. Eingeschlossen werden 26.000 Personen aus sechs europäischen Ländern.
Von der Diagnostik zur Therapie: Checkpoint-Inhibitoren gehören zu den spitzen Speeren im Köcher der Onkologie. Beim Melanom muss die Wirksamkeit neoadjuvanter Checkpoint-Inhibitoren im Vergleich zum derzeitigen Standard der adjuvanten Therapie aber noch untersucht werden.
Dieses Ziel verfolgen Ärzte mit der NADINA-Studie, einer offenen, zweiarmigen, randomisierten Phase-3-Studie, an der 420 Patienten mit Melanom im Stadium III oder mit unbekanntem Primärtumor teilnehmen. Der aktuelle Standard bei resezierbaren Melanomen im Stadium III ist die adjuvante Anti-PD-1-Therapie. Sie verbessert zwar das rezidivfreie Überleben. Aber ein beträchtlicher Anteil der Patienten erleidet in den Jahren nach der Lymphknotendissektion ein Rezidiv. Außerdem wurden beim Gesamtüberleben bislang keine Vorteile beobachtet.
Ziel der NADINA-Studie ist, die Wirksamkeit von neoadjuvantem Ipilimumab plus Nivolumab mit der Wirksamkeit von adjuvantem Nivolumab beim Melanom im Stadium III zu vergleichen. Patienten werden nach dem Zufallsprinzip einer neoadjuvanten oder adjuvanten Therapie zugewiesen. Im experimentellen Arm erhalten sie zwei Zyklen mit 80 mg Ipilimumab plus 240 mg Nivolumab und werden nach Woche 6 einer therapeutischen Lymphknotendissektion unterzogen. Bei pathologischem Teilansprechen oder Nichtansprechen folgt auf die Operation eine adjuvante Behandlung mit Nivolumab (11 Zyklen) oder eine adjuvante Behandlung mit Dabrafenib plus Trametinib (46 Wochen lang).
Patienten im Kontrollarm erhalten zu Beginn eine therapeutische Lymphknotendissektion, gefolgt von 12 Zyklen mit 480 mg Nivolumab. Der primäre Endpunkt ist das ereignisfreie Überleben.
Neben Melanomen stehen auch Mammakarzinome auf der wissenschaftlichen Agenda. Hirnmetastasen sind ein großes Problem bei fortgeschrittenem Brustkrebs, von dem etwa die Hälfte der HER2-positiven Patientinnen betroffen ist. Mit DESTINY-Breast12, einer offenen, multizentrischen, internationalen Studie, wollen Forscher die Wirksamkeit und Sicherheit von Trastuzumab-Deruxtecan untersuchen. Hier handelt es sich um ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat, das auf HER2 abzielt. Zur intrakraniellen Aktivität gibt es bislang kaum Daten.
Eingeschlossen werden Teilnehmerinnen mit oder ohne Hirnmetastasen. Sie waren zuvor wegen fortgeschrittenem, metastasierendem, HER2-positivem Brustkrebs behandelt worden, der unter früheren Anti-HER2-Therapien fortgeschritten war, hatten aber nicht mehr als zwei Therapien erhalten.
Auch das Thema HIV-Infektionen lässt Wissenschaftler nicht los. Ziel einer neuen Phase-1-Studie ist, die Sicherheit, Reaktogenität und Immunogenität von VIR-1388, einem Impfstoff zur Vorbeugung einer Infektion mit HI-Viren, zu untersuchen. Die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Multicenterstudie umfasst Erwachsene im Alter von 18 bis 55 Jahren bei gutem Gesundheitszustand und ohne HIV. Sie erhalten eine von drei Dosisstufen von VIR-1388 oder Placebo. VIR-1388 ist ein Cytomegalovirus-Vektorimpfstoff (CMV).
Die Studie umfasst zwei Teile: Teil A ist als Einführungsphase konzipiert, in der eine kleine Anzahl von Personen im nicht gebärfähigen Alter, die seropositiv für den CMV-Vektor sind, aufgenommen werden. In Teil B wollen Forscher möglichst unterschiedliche Teilnehmer einschließen, die seropositiv für CMV sind. Dazu gehören auch Personen im gebärfähigen Alter mit Empfängnisverhütung. Geplant ist auch eine optionale Langzeit-Follow-up-Studie.
Bei der Impfstoffforschung bereitet Malaria ebenfalls viel Kopfzerbrechen. Nur bei außergewöhnlich hoher Antikörperreaktion schützt das Vakzin. 40 Impfstoffe sind in klinischen Studien getestet worden, aber nur zwei von ihnen haben sich als wirksam erwiesen: RTS,S und R21. Nur wie effektiv sind sie langfristig?
Um für mehr Evidenz zu sorgen, läuft eine randomisierte, kontrollierte Phase-3-Studie mit dem R21/Matrix-M-Impfstoff bei afrikanischen Kindern. Sie umfasst sowohl altersabhängige als auch saisonale Standardimpfungen bei Kindern im Alter von 5 bis 36 Monaten. In jeder Gruppe wurde 12 Monate nach der dritten Dosis eine Auffrischungsdosis desselben Impfstoffs verabreicht. Die erste Nachbeobachtung erfolgt zwei Jahre nach der dritten Dosis, die erste Analyse nach 12 Monaten. 2.400 Teilnehmer sind für die Standardimpfung in Malaria-endemischen Gebieten in Burkina Faso, Kenia und Tansania vorgesehen. Weitere 2.400 Teilnehmer werden für die saisonale Impfung in Burkina Faso und Mali rekrutiert.
Herausforderungen warten auch in der Neurologie. Für die meisten klinischen Studien zu Parkinson werden Patienten rekrutiert, deren Krankheit bereits weit fortgeschritten ist. Einen neuen Ansatz verfolgen Wissenschaftler mit der STEM-PD-Studie. Sie wollen dopaminerge Neuronen aus menschlichen embryonalen Stammzellen in die Gehirne von Parkinson-Patienten transplantieren. Eingeschlossen werden Personen im Alter von 50–75 Jahren mit mittelschwerer Parkinson-Krankheit, aber nicht mit schweren Formen.
Was tut sich in der Intensiv- und Notfallmedizin? Ärzte haben zwar Risikoscores und Triage-Systeme für die Stratifizierung von Patienten in der Notaufnahme entwickelt. Oft wurden solche Tools in Beobachtungskohorten validiert, aber nie hinsichtlich ihrer tatsächlichen klinischen Auswirkungen.
Diese Lücken soll RISKINDEX schließen: ein Score, der ein KI-Modell zur Vorhersage der 31-Tage-Sterblichkeit verwendet. Er wurde in vier niederländischen Krankenhäusern mit Daten von 266.327 Patienten evaluiert. Bei der Triage von Patienten schnitt der RISKINDEX besser ab als Fachärzte für Innere Medizin, doch etliche Fragen sind offen. Mit der prospektiven, randomisierten, offenen Pilotstudie MARS-ED planen die Entwickler, unter anderem die diagnostische Genauigkeit und die klinischen Auswirkungen zu eruieren.
Noch ein Blick auf die Psychologie. Kinder, die aufgrund von Missbrauch und Vernachlässigung in Pflegefamilien leben, haben ein hohes Risiko für Suizid. Sie leiden oft an psychischen und körperlichen Erkrankungen. Gefragt sind neue Ansätze zur Intervention.
Mit der Best Services Trial untersuchen Forscher die Wirksamkeit und Kosteneffizienz des New Orleans Intervention Model for Infant Mental Health im Vergleich zum klassischen Ansatz mit Sozialarbeitern. Im Zentrum des Modells steht die Analyse von Beziehungen zu den leiblichen Eltern, zu Pflegeeltern und zu weiteren Personen im Umfeld des Kindes. Die Studie schließt Kinder im Alter von null bis fünf Jahren, die in Pflegefamilien leben, ein. „Sollte sich dieses Modell als vorteilhaft erweisen, könnte es die Art und Weise, wie solche Kinder unterstützt werden, […] weltweit radikal verändern“, schreibt die Studienleitung.
Auch die Versorgung von Frauen mit Schwangerschaftsdepression bleibt eine Herausforderung – in vielen Ländern fehlen Fachkräfte. Hier setzen Wissenschaftler auf eine neue App. Sie ermöglicht es, Frauen ohne vorherige Erfahrung in der Gesundheitsversorgung, im zweiten oder dritten Schwangerschaftsdrittel, die an schweren Depressionen leiden, eine auf kognitiver Therapie basierende Intervention anzubieten. Die Studie vergleicht die App mit der Standardversion des Thinking-Healthy-Programms, eines Programms für nicht-ärztliche Mitarbeiter im ländlichen Pakistan.
Nicht zuletzt hoffen Experten auf neue Möglichkeiten zur Behandlung der heterozygoten familiären Hypercholesterinämie. Etwa einer von 300 Menschen wird mit der Stoffwechselerkrankung geboren, was sie zu einem der häufigsten Leiden genetischer Ursache macht. Typisch sind Mutationen im PCSK9-Gen. Es kodiert für ein Protein, welches Rezeptoren für das Low-Density-Lipoprotein (LDL) abbaut. Statine reichen zur Therapie oft nicht aus.
Hier setzt die Heart-1-Studie an. Sie untersucht, ob es möglich ist, mit In-vivo-Genediting das PCSK9-Gen zu modifizieren. PCSK9 wird, so die Hoffnung, in der Leber inaktiviert, um den LDL-Cholesterinspiegel dauerhaft zu senken.
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