„Ich will aber das Original!“ Diese Prestige-Patienten habe ich nie verstanden, die partout kein Generikum nehmen möchten. Das sind gerne auch die, die das Schweizer Kassensystem immer noch nicht verstanden haben. Wer darf’s richten? Wir Apotheker.
Neues Jahr, neue Probleme. Bei uns in der Apotheke gibt’s die üblichen Krankenkassenwechsel – und viele, die wieder nicht verstanden haben, dass sie zu einer Krankenkasse mit Tiers-garant-System gewechselt haben und in der Apotheke die Medikamente erstmal selber zahlen müssen. Aber neu ist: Der Selbstbehalt für teure Medikamente erhöht sich – mit dem Ziel, Generika zu fördern. Grundsätzlich finde ich das eine sehr gute Sache. Ich habe nie begriffen, weshalb jemand auf dem Original besteht, wenn es genauso gut wirksame Generika gibt. Umso weniger, wenn es Auto-Generika gibt, die nicht nur genauso gut, sondern tatsächlich identisch mit dem Original sind (mit Ausnahme des Preises). Der Entscheid des Bundesrates hilft tatsächlich, so manchen zu überzeugen – aber was das wieder an Diskussionen gibt!
Aber von vorne und erstmal eine kleine Einführung in das Schweizer Gesundheitssystem, was Medikamente und die Apotheken betrifft. Die Krankenkasse ist obligatorisch; man muss eine Grundversicherung haben, kann aber selber wählen, wo man versichert sein will. In der Grundversicherung kann man die Franchise wählen: Das ist der Betrag, bis zu dem man die Kosten an Medikamenten und Arztbesuchen erstmal selber übernimmt. Erst nach Erreichen der Franchise springt die Krankenkasse ein. Wenn man eine Krankenkasse hat, die nach dem Tiers-payant-System funktioniert, können Apotheken die Medikamente direkt mit der Kasse berechnen. Die wird das allerdings bis zum Erreichen der Franchise dem Patienten in Rechnung stellen.
Bei den Medikamenten, die von der Grundversicherung übernommen werden, gilt ein Selbstbehalt. Der Selbstbehalt ist der Teil der Kosten des Medikamentes, der (nach Erreichen der Franchise) vom Patienten übernommen wird. Er beträgt normalerweise 10 %. Für Medikamente, die im Vergleich zu gleichwertigen Generika zu teuer sind, betrug dieser Anteil bis Dezember 20 %. Seit dem 1. Januar 2024 zahlt der Patient nun 40 % des Originals selber.
Man kann in der Grundversicherung verschiedene Versicherungs- modelle wählen, die eine günstigere Prämie haben, aber die Leistungen etwas einschränken. Bei der Assura gilt grundsätzlich das System des Tiers garant, was bedeutet, dass man als Patient selbst Arztbesuche und die Medikamente in der Apotheke direkt bezahlt, das sammelt und selbst erst nach Erreichen der Franchise einsendet. Andere Versicherungsmodelle schränken die freie Arztwahl ein: Beim Hausarztmodell muss man erst zum eigenen Hausarzt, der auf der KK-Liste ist, beim HMO-Modell in eine HMO-Praxis, beim Telmed-System muss man erst bei der Krankenkasse anrufen bei einem medizinischen Problem.
Das sind so die groben Grundsätzlichkeiten. Dazu kommen dann noch so Feinheiten, wie die leistungsorientierte Abgabe (LOA). Das ist der Vertrag, den die Krankenkassen mit den Apotheken haben und in dem festgelegt ist, wie unsere Arbeit vergütet wird – die ist nämlich seit 2001 nicht mehr im Medikamentenpreis enthalten, sondern wird über Pauschalen abgegolten. Wir sind aktuell bei LOA IV – und voraussichtlich wird die LOA V Anfang 2025 eingeführt (mit dann etwa 3 Jahren Verspätung).
Mich persönlich nerven Erklärungen zur LOA aus verschiedenen Gründen. Für viele hört sich das an, als ob wir etwas zusätzlich bekommen würden – dabei wurden mit dem Pauschalen-System jährlich Millionen eingespart. Außerdem erwecken solche Diskussionen in mir das Gefühl, dass unsere Arbeit in der Apotheke manchen Leuten nichts wert ist. Schon klar, viele sehen nicht, was wir hinten alles machen. Wir klären Wechselwirkungen, ersetzen Medikamente, wo nötig und möglich, besorgen sie oder stellen sie her, wir machen Vorbezüge und Repetitionen. Wir kontrollieren, sorgen für eine wirtschaftliche Abgabe, wir dokumentieren, wir haben einen wahnsinnigen bürokratischen Aufwand mit den ganzen Krankenkassen und Unfallkassen.
Jetzt also das mit den 40 % Selbstbehalt für teure Originale. Wie schon erwähnt, ist das für viele jetzt doch ein Überzeugungsgrund, zu wechseln. Aber die „Ich will das Original“-Patienten (Prestige?) gibt es immer noch – oft verbunden mit dem unschlagbaren Argument: „Ich zahle ja schon so viel an Krankenkassen-Prämie!“ Auch die „Ich reagiere aber auf alle Generika allergisch!“ (hahaha – nein).
Doch es gibt auch Gründe, NICHT zu einem Generikum zu wechseln. Medizinische Gründe, wie bei Schilddrüsenmedikamenten und Antiepileptika. Aber auch psychologische, wie bei dem älteren Patienten, der die neuen Tabletten nicht mehr nimmt, weil sie anders aussehen. Was ist da besser? Nicht genommene Medikamente wirken nicht. Früher konnte ich in so vernünftigen Fällen in der Apotheke die Substitution ausschließen, den Wechsel ablehnen – und wenn wir das gemacht haben (und protokolliert), wurde hier weiter der geringere Selbstbehalt berechnet.
Jetzt habe ich das Problem, dass das nicht mehr gilt, denn laut BAG heißt es: „Wenn medizinische Gründe gegen die Abgabe eines Generikums sprechen, kann weiterhin ein teureres Originalpräparat ohne erhöhten Selbstbehalt bezogen werden, aber das muss neu mit konkreten Fakten nachgewiesen werden.“ Das bedeutet: Ich muss in so einem Fall beweisen können, dass ein Ersatz ein medizinisches Problem darstellt. Mein Wissen, dass das so ist (bestehende Studien etc.), reicht offenbar nicht mehr aus dafür.
Was kann der Patient nun noch tun? Er braucht (auch bei bestehendem Dauerrezept) ein neues Rezept vom Arzt, auf dem dieser ausdrücklich den Ersatz ablehnt. Zum Beispiel, indem er „Sic“ oder „kein Ersatz aus medizinischen Gründen“ draufschreibt. Diskussionen und Erklärungen incoming. Für uns in den Apotheken und für die Ärzte wahrscheinlich auch. Nur, dass uns die Zeit dafür nicht bezahlt wird.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney