Deutschlands Gesundheitssystem ist verdammt teuer, unsere Lebenserwartung könnte besser sein und von der Digitalisierung will ich gar nicht erst anfangen. Lauterbach hat hier gute Ansätze – aber es gibt trotzdem ein Problem.
In den Kommentaren zu meinen letzten Artikeln und in diversen anderen Artikeln taucht immer wieder ein Name auf, der inzwischen der Hälfte der im Gesundheitssystem arbeitenden Menschen den Blutdruck hochtreibt: Karl Lauterbach. Meistens kommt er in den Kommentaren nicht allzu gut weg – fast so, als würde er die Krise im Gesundheitssystem persönlich verursachen. Das finde ich schwierig. Im Englischen gibt es die Redensart, dass man besser nicht den Boten erschießen soll, wenn einem die Nachricht nicht passt und ich fürchte, in manchen Dingen hat Lauterbach recht:
Wenn man also das Gesundheitssystem als Patient sieht, kommen Lauterbach und ich zu einer ähnlichen Diagnose der Symptome: Wir haben ein sehr teures Gesundheitssystem mit jetzt schon grenzwertig wenig Personal bei gleichzeitig steigender Nachfrage. Der eigentliche Knackpunkt ist wohl eher, was wir jetzt mit dieser Information machen – also die Therapie. Wie löst man die Probleme, die in den letzten 15–20 Jahren entstanden sind? Da wird das Bild differenzierter.
Ich glaube auch, dass Prävention ein wichtiger Schlüssel ist, die Kosten im Gesundheitssystem zu begrenzen. Aber da kommen wir schon zur ersten – sehr wichtigen – Differenz: Meiner Meinung nach müssten wir verhindern, dass die Leute krank werden (Primärprävention) und nicht nur die Diagnostik nach vorne ziehen (Sekundärprävention). Da helfen auch die großen Pläne mit der Auswertung der Gesundheitsdaten wenig. Denn mit den Daten, wie krank ein Patient schon ist, kann ich höchstens noch Schadensbegrenzung betreiben – gerade bei den allermeisten Zivilisationskrankheiten, die heutzutage einen Großteil der Kosten ausmachen.
Und es ist ja nicht so, dass wir nicht wüssten, was Patienten krank macht: Lebensstilfaktoren wie Ernährung und Bewegungsmangel, Rauchen, riskanter Alkoholkonsum. Aber an den Lobbygruppen der Ernährungsindustrie hat sich ja auch Ernährungsminister Cem Özdemir mit seinem vorgeschlagenen – und quasi bis zur Unkenntlichkeit entschärften – Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel die Finger verbrannt. Also diagnostizieren wir lieber ein bisschen früher, pumpen dafür noch einiges mehr an Geld in das System und wundern uns dann, dass es kaum Kosten spart.
Beim demographischen Wandel wird es noch schwieriger: Denn wir werden in absehbarer Zeit nicht genug Ärzte haben, um unser bisheriges System weiter aufrecht zu erhalten. Ca. 40 % der Niedergelassenen gehen in den nächsten 5–7 Jahren in den Ruhestand, bei gleichzeitig zu erwartender erhöhter Krankheitslast. Das ist schlichtweg nicht aufzuholen. Also müssten wir überlegen, was wir wirklich als unsere Kernkompetenzen sehen und wo wir die Expertise anderer Fachgruppen endlich anerkennen.
Da sehe ich auch kritisch, dass es den Standesvertreter-Reflex gibt, immer sofort die „Aushöhlung des Arztberufs“ auszurufen. Ich sehe unsere Praxis als Team, ich habe bewusst mehrere hochqualifizierte MFAs (ob jetzt Verah/EVA/Näpa) und würde mich freuen, wenn ich häufiger auch die Expertise anderer Fachgruppen (z. B. Physiotherapeuten oder Logopäden) juristisch besser geregelt nutzen könnte. Denn ich kenne nicht alle therapeutischen Möglichkeiten. Ich kann mich da nicht auch noch auf dem neuesten Stand halten, was aktuell als beste Behandlungsmethode gilt. Aber ich muss diese Formulare ausfüllen, die die Behandlungsoptionen faktisch vorgeben – und gleichzeitig mein Budget im Auge behalten.
Womit wir beim schwierigen Thema Budgets wären: Ja, mich nerven die Budgets auch und ich freue mich, wenn sie abgeschafft werden. Aber auch wir Ärzte werden dann zeigen müssen, dass wir verantwortungsvoll damit umgehen. Denn wenn ich sehe, dass zum Beispiel viele Leute inzwischen schon gern Physiotherapie möchten, wenn sie einmal mit dem Fuß umgeknickt sind, ist das eine absolut nicht sinnvolle Leistung, die aber das System weiter aufblasen und noch teurer machen würde. Die Propriozeptionsübungen bei umgeknickten Füßen kann ich den Patienten auch eben selbst zeigen.
Die Konflikte, die dadurch mit den Patienten entstehen, werden wir Ärzte aushalten müssen – und da bin ich mir beim heutigen Dienstleistungsverständnis von Ärzten manchmal nicht so sicher, ob das klappt. Oder ob dann stattdessen einfach alles durchgewunken wird, weil ja der Kunde (= Patient) König sein soll. Das darf nicht passieren.
Last, but not least die Digitalisierung: Warum muss Deutschland da das Rad neu erfinden? Warum können wir nicht schauen, welches System für uns am besten passt von den bereits in anderen Ländern etablierten, das einkaufen und gegebenenfalls anpassen? Das wäre sicherlich günstiger als das Gewurschtel jetzt. Letztlich ist es so, dass wir die Transformation des Gesundheitssystems als gemeinsame Aufgabe verstehen müssen.
Der erste und meiner Meinung nach wichtigste Punkt ist: Was machen Länder, die deutlich weniger Geld für das Gesundheitssystem benötigen, besser als wir, wenn sie zwei Jahre länger leben im Schnitt? Wenn es (wie ich vermute) der Lebensstil ist: Wie bekommen wir das in Deutschland besser hin? Das wird nicht unbedingt nur eine Sache des Gesundheitsministeriums sein, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aber es muss endlich auf den Tisch.
Wie verteilen wir das Geld im Gesundheitssystem so, dass es allen möglichst viel bringt – also mehr Gesundheit und Lebenserwartung bei adäquater Bezahlung aller Beteiligten? Aktuell kommt oft der Eindruck auf, dass jeder für seine Gruppe lobbyiert, aber nicht versucht, ein Gesamtkonzept zu schaffen (was sicherlich auch an der in Deutschland krassen Vormachtstellung der Ärzte liegt, die in anderen Ländern deutlich weniger ausgeprägt ist, siehe z. B. die Versorgungszentren in Spanien).
Und natürlich sollte die Digitalisierung in dieses Konzept eingebettet werden, für einen möglichst einfachen und effektiven Informationsaustausch.
Und das ist mein größtes Problem mit Lauterbach: die Kommunikation. Für so eine große Transformationsaufgabe muss man versuchen, die Leute mitzunehmen – und sie nicht vor den Kopf stoßen, in dem man die Probleme auf eine Neiddebatte reduziert. Oder zu betonen, dass die ePA vor allem gut dazu ist, die ärztliche Behandlung zu überwachen, anstatt zu betonen, dass sie vor allem ein besserer Datenaustausch sein sollte.
Deswegen wird das Ganze erstmal weiterhin ein riesiger Konflikt bleiben. Leider – denn in den Reibungsverlusten geht viel verloren. Vor allem Zeit, Geld und Nerven, die wir eigentlich besser investieren könnten. Nämlich in den dringend notwendigen Umbau des Gesundheitssystems – für eine bessere Versorgung für alle.
Bildquelle: Mathieu Stern, Unsplash