Während der Schwangerschaft wird das Gehirn umgebaut und bestimmte Pools von Stammzellen dabei aktiviert. Die Folge: Spezifische Neuronen im Riechkolben bereiten den Geruchssinn auf die Mutterschaft vor.
Im Tierreich gilt: Eltern müssen ihren Nachwuchs am Geruch erkennen. So ist gewährleistet, dass sie ihre eigenen Jungen aufziehen. Die Forschergruppe von Prof. Fiona Doetsch am Biozentrum der Universität Basel hat nun bei Mäusen gezeigt, dass genau zu diesem Zweck im Riechkolben des Gehirns vorübergehend neue Nervenzellen gebildet werden. Sie entwickeln sich während der Schwangerschaft und verschwinden einige Wochen nach der Geburt wieder. Diese neuen Neuronen im Gehirn der Mutter sorgen dafür, dass sie die eigenen Kinder am Geruch erkennt.
Doch woher stammen diese neuen Neuronen? Sie entstehen aus sogenannten neuronalen Stammzellen. Dies sind unreife Zellen in bestimmten Regionen des erwachsenen Gehirns. Doetschs Team untersucht Stammzellen in der sogenannten ventrikulär-subventrikulären Zone bei ausgewachsenen Mäusen. Diese bilden Nervenzellen, die in den Riechkolben wandern. In früheren Arbeiten konnten die Forscher bereits zeigen, dass einige dieser Stammzellen durch Reize wie Hunger und Sättigung aktiviert werden. Bislang war jedoch unklar, ob auch andere Stimuli bestimmte Pools von Stammzellen anregen.
In ihrer neuen Studie in Science zeigen die Forscher nun, dass bei trächtigen Mäusen verschiedene Pools von Stammzellen synchron aktiviert werden und neue Nervenzellen bilden. Normalerweise befinden sich viele dieser Stammzellen in einem Schlafzustand. Werden sie in der Schwangerschaft aktiviert, so reifen seltene Arten von Neuronen heran. Zum Zeitpunkt der Geburt wandern diese vorübergehend in den Riechkolben, einer Region im Gehirn, die Informationen über Gerüche verarbeitet.
Die neuen Neuronen haben eine wichtige Aufgabe. Während der frühen Mutterschaft sensibilisieren diese den Geruchssinn der Mutter, so dass diese ihrer Jungen am Geruch erkennt. Auch im Menschen gibt es im gleichen Hirnareal solche Stammzellen, die jedoch eigentlich ab dem frühen Säuglingsalter keine Neuronen für den Riechkolben mehr ausbilden. „Einige Frauen berichten über Veränderungen des Geruchsinns während der Schwangerschaft“, sagt Erstautorin Dr. Zayna Chaker. „Beim Menschen könnte es daher ähnlich sein. Auch hier könnte die Schwangerschaft Stammzellen aus ihrem Schlafzustand wecken.“
Dabei sind es verschiedene Stammzellpools, die im Verlauf einer Schwangerschaft wellenartig und zu unterschiedlichen Zeit angeregt werden. Die Wanderung der Neuronen zum Riechkolben und ihre Ausreifung fallen zeitlich mit dem Ende der Schwangerschaft zusammen. „Das Timing ist sehr präzise. Die neuen Neuronen sind pünktlich zur Geburt parat“, sagt Doetsch. „Sie werden jedoch nur vorübergehend benötigt und wieder beseitigt, wenn der Nachwuchs älter und selbstständig ist.“ Die Rekrutierung von Stammzellen bei trächtigen Tieren bereitet das Gehirn also punktuell auf den spezifischen Bedarf in der Mutterschaft vor.
Zukünftig möchte das Team von Fiona Doetsch untersuchen, welche Signale die Stammzellrekrutierung und Neubildung von Nervenzellen während der Schwangerschaft auslösen. Auch ist noch unklar, warum und wie die neu gebildeten Neuronen aus dem Riechkolben eliminiert werden. Außerdem stellt sich die Frage, ob bei werdenden Vätern das Gehirn auf ähnliche Weise umgebaut wird.
Die beschriebenen Anpassungen im Gehirn beweisen einmal mehr, dass die sogenannte Plastizität unseres Gehirns nicht allein auf die Veränderungen der Nervenverbindungen, den Synapsen, zurückzuführen ist. Auch die Rekrutierung ausgewählter Stammzellen und die damit verbundene Bildung spezifischer Nervenzelltypen trägt dazu bei, dass sich unser Gehirn anpassen und auf veränderte Lebensbedingungen reagieren kann.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Basel. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Alexander Grey, Unsplash