Über die Droge Kratom hört man immer wieder Schreckensmeldungen. Doch die Opioid-ähnliche Wirkung der Pflanze könnte auch therapeutisches Potential bergen.
Kratom, botanisch bekannt als Mitragyna speciosa, ist eine Pflanze, die in den Tropen Südostasiens heimisch ist. In den letzten Jahren hat Kratom weltweit Aufmerksamkeit erregt, da es vor allem in den USA von Menschen im Selbstversuch als potenzielle Alternative zu konventionellen Opioiden genutzt wird, was mit erheblichen Risiken für die Gesundheit einhergeht. Es wird in westlichen Ländern auch unter dem Namen Herbal Speed vertrieben und konsumiert. Gleichzeitig könnte die Opioid-ähnliche Wirkung auch therapeutisches Potential bergen. Strukturierte pharmakologische Studien am Menschen fehlen jedoch bislang.
Der Konsum von Kratom hat in Südostasien eine lange Tradition. Es ist dort auch unter den Begriffen Biak, Gratom, Biak-Biak, Katawn, Krton, Mabog, Mambog oder Mitragyne bekannt und gesellschaftlich akzeptiert. Die ovalen, etwa 12 cm langen Blätter werden frisch oder getrocknet gekaut oder mit Wasser aufgegossen und zu Extrakten verarbeitet. Wird es in geringen Mengen konsumiert, so wirkt es stimulierend, appetitanregend, schmerzlindernd und stimmungsaufhellend, was z. B. von Arbeitern auf Plantagen eingesetzt wird, um die teils schwere und monotone körperliche Arbeit erträglicher zu machen. Die Wirkung setzt innerhalb von 10 Minuten ein und hält bis zu 1,5 Stunden an. In großen Mengen wirkt Kratom hingegen beruhigend, schmerzlindern und dämpfend. Der Rausch hält dann bis zu 6 Stunden lang an.
Die Wirkung von Kratom beruht auf mehr als 40 verschiedenen Alkaloiden, wobei die psychoaktiven Effekte überwiegend Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin vermittelt werden. Sie binden an Adrenozeptoren, Adenosinrezeptoren, Dopaminrezeptoren sowie Serotoninrezeptoren und an verschiedene Opioidrezeptoren, was die schmerzlindernde Wirkung erklärt. Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin werden sehr gut gastrointestinal resorbiert und passieren die Blut-Hirn-Schranke.
Klassische Opioide aktivieren über ß-Arrestin die Aktivität von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren, was mit ungünstigen Effekten wie Atemdepression, Obstipation und Sedierung assoziiert ist. Diese Aktivierung bleibt unter den in Kratom enthaltenen Alkaloiden aus, was mit einem günstigeren Nebenwirkungsprofil einhergeht und eine therapeutische Chance sowohl zur Schmerztherapie als auch zur Behandlung von Opiatentzügen darstellen könnte. Aufgrund seiner Wirkung an den Opioidrezeptoren wird Kratom in den USA – und Befragungen zufolge zunehmend auch in Asien – von Betroffenen bereits zur Eigenbehandlung von Schmerzen und Opoidabhängigkeit eingesetzt.
Menschen versuchen mit Kratom die Opoiddosen zu reduzieren und Entzugserscheinungen zu lindern. Diese Wirkung konnte auch im Mausmodell reproduziert werden. Die Einnahme erfolgt zu diesem Zweck häufig in hohen Dosen und in Form von Kapseln die Kratompulver enthalten und teilweise auch in Kombination mit Opioiden oder anderen Substanzen. Potenzielle Nebenwirkungen von Kratom sind Schwindel, Hypotension, Mundtrockenheit, Übelkeit bis hin zu einem opiodartigen Intoxikationssyndrom. Zudem wurden epileptische Anfälle, Transaminasenerhöhungen, Ikterus und Pruritus beschrieben. Für den toxikologischen Nachweis steht ein Urinschnelltest zur Verfügung.
In Südostasien, wo der Konsum verbreitet und tradiert ist, gibt es nur sehr wenige Bericht über schwerwiegende gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit dem Konsum von Kratom. In den USA kam es in den vergangenen Jahren hingegen immer wieder auch zu tödlichen Zwischenfällen. Besondere Risiken bestehen bei Mischkonsum mit anderen Subtanzen und Medikamenten, dem Konsum von hohen Dosen, sowie dem Konsum von verunreinigtem Kratom. In Südostasien werden vor allem frische Blätter konsumiert. Eine Überdosierung ist damit möglicherweise weniger einfach möglich als mit getrockneten Blättern.
Die analgetischen Effekte sind bisher nur im Tiermodell differenziert untersucht wobei die Wirkung bei Mäusen bei peroraler Gabe etwa der 10 bis 20-fachen Morphinwirkung entsprach und durch Naloxon antagonisierbar war. In Tierversuchen mit Ratten wurden sowohl ein Abhängigkeitspotential als auch Toleranzeffekte beobachtet, die jedoch erst bei hohen Dosierungen eintraten. Im Mausmodell lag das physische Abhängigkeitspotential deutlich unter dem von Morphium. Umfassendere Daten zum Menschen liegen nicht vor. Befragungen ergaben jedoch auch Hinweise für Entzugssymptome bei Menschen, die einen chronischen Kratomkonsum aufwiesen. Fallberichte, epidemiologische Studien und Tiermodelle ergaben Hinweise auf eine mögliche hepatotoxische Wirkung von Kratom.
In Deutschland ist Kratom im Gegensatz zu anderen Ländern nicht verboten und kann im Internet erworben werden. Der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM beriet bereits seit 2010 darüber, Kratom als nichtverkehrsfähiges Betäubungsmittel einzustufen, bisher jedoch ohne Beschlussfassung.
Zusammenfassend weist Kratom durchaus therapeutisches Potential auf. Andere Kulturen scheinen einen risikoarmen Umgang mit der Substanz gefunden zu haben. Dennoch birgt der Konsum ernstzunehmende Gefahren die auch durch einen unseriösen Vertrieb und unzureichendes Wissen über Wirkungen, Dosierungen und Wechselwikrungen von Kratom bedingt sind. Eine arzneimittelkonforme Darreichungsform steht nicht zur Verfügung, sodass die Einnahme letztlich ein Selbstexperiment darstellt, von dem Patienten abgeraten werden sollte. Die Möglichkeiten für einen sicheren therapeutischen Einsatz zu erforschen, aber auch die Nebenwirkungen, Interaktionen und Dosis-Wirkungsbeziehungen näher zu untersuchen könnte dazu beitragen, die positiven Eigenschaften von Kratom nutzbar zu machen und schwere Risiken und Nebenwirkungen des Konsums zu reduzieren.
Quellen:
Gahr M: Kratom (Mitragyna speciosa): eine psychoaktive Pflanze mit Chancen und Risiken. Fortschr Neurol Psychiatr, 2023. doi: 10.1055/a-1826-2766
Lautenschlager et al. Kratom – eine kurze Übersicht für die Schmerzmedizin. Schmerz, 2022. doi: 10.1007/s00482-021-00588-9
Bildquelle: Mick Truyts, unsplash