Der bewährte Akne-Wirkstoff Isotretinoin führt möglicherweise zu vermehrten Suiziden. Ist da was dran? Spoiler: Trotz Entwarnung müssen Hautärzte genau hinsehen.
Für Eilige gibt’s am Ende des Artikels eine kurze Zusammenfassung.
Das Retinoid Isotretinoin zählt zu den Mitteln der Wahl bei Akne. Doch die Therapie ist mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden, vor allem bei Präparaten in oraler Galenik. Besonders häufig klagen Patienten über trockene Hautpartien und Schleimhäute. Auch das Blut- und Lymphsystem, die Augen, der Bewegungsapparat und das Bindegewebe werden teilweise in Mitleidenschaft gezogen. Und aufgrund teratogener Eigenschaften des Wirkstoffs müssen Frauen vor Beginn einer systemischen Therapie Maßnahmen zur sicheren Empfängnisverhütung treffen.
Doch damit nicht genug. In den letzten Jahren gab es immer wieder Hinweise auf psychische Erkrankungen, auf Suizidgedanken und auf Suizide in Zusammenhang mit dem Wirkstoff. Die Qualität der Daten war aber recht mager. Eine große Metaanalyse sorgt jetzt für mehr Klarheit.
Die Autoren haben bei ihrer Recherche 25 Studien mit 1.625.891 Teilnehmern gefunden. Aufgrund der Qualität wurden nur 24 Studien berücksichtigt.
Das gepoolte absolute Ein-Jahres-Risiko für vollendete Suizide, Suizidversuche, Suizidgedanken und Selbstverletzungen lag jeweils unter 0,5 Prozent. Für das Risiko, an einer Depression neu zu erkranken, geben die Autoren 3,83 Prozent an. Bei Patienten, die Isotretinoin einnahmen, haben sie damit kein signifikant erhöhtes Risiko für Suizide oder psychiatrische Erkrankungen festgestellt, gemessen an Personen ohne diese Pharmakotherapie.
Bei Isotretinoin-Anwendern war die Wahrscheinlichkeit eines Suizidversuchs zwei Jahre (Relatives Risiko 0,92), drei Jahre (RR 0,86) und vier Jahre (RR 0,85) nach der Behandlung sogar geringer als bei Kontrollen. Auch haben Forscher den Wirkstoff nicht mit einem Risiko für alle psychiatrischen Störungen in Verbindung gebracht (RR 1,08).
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Isotretinoin-Anwender kein erhöhtes Risiko für Suizide oder psychiatrische Erkrankungen haben, sondern dass sie zwei bis vier Jahre nach der Behandlung ein geringeres Risiko für Suizidversuche aufweisen“, fassen die Autoren zusammen.
Damit stellt sich als Frage, was die neue Studie Ärzten im Alltag bringt. Forscher geben zwar auf epidemiologischer Ebene Entwarnung. Nur haben Beobachtungsstudien ein erhebliches Potenzial für Verzerrungen. Außerdem mussten die Autoren der Metaanalyse einige Annahmen treffen, um Effektgrößen abzuschätzen, was zu Unsicherheiten führt. Bedenken bleiben auch hinsichtlich möglicher Risiken von Einzelpersonen, was in epidemiologischen Studien nicht immer sichtbar ist.
Für Ärzte bleibt als Herausforderung, festzustellen, bei welchen Patienten mit Akne ein Risiko für psychische Erkrankungen bestehen könnte. In ihren Meta-Regressionen fanden die Wissenschaftler heraus, dass ein jüngeres Alter bei Beginn der Isotretinoin-Behandlung mit einem höheren Risiko für Depression assoziiert war. Assoziationen gab es auch zwischen dem männlichen Geschlecht und einem höheren Risiko für einen vollendeten Suizid.
Nur sind Einschränkungen der Isotretinoin-Behandlung auf der Grundlage von Alter oder Geschlecht wenig praktikabel. Auch haben viele Patienten psychische Erkrankungen in ihrer Vorgeschichte. Das würde die Möglichkeiten einer Akne-Therapie ebenfalls zu stark einschränken.
Wie die Autoren vorschlagen, sollten Ärzte mit ihren Patienten über mögliche, wenn auch seltene psychiatrische Nebenwirkungen des Medikaments sprechen – und sie in gewissem Umfang psychiatrisch überwachen. Dermatologen verfügen meist nur über begrenztes Wissen zu psychischen Erkrankungen. Ein gemeinsames Modell der Behandlung bei Dermatologen und Psychiatern wäre ideal, erscheint aber wenig realistisch.
Damit spricht viel dafür, dass Dermatologen bei Patienten, denen sie Isotretinoin verschreiben, ein Screening auf psychiatrische Erkrankungen durchführen. Hier könnte beispielsweise der Patient Health Questionnaire-2 (PHQ-2) zum Einsatz kommen: ein extrem kurzer Test, um bei Patienten Hinweise auf eine Major Depression zu finden. Auch Teile des Patient-Reported Outcomes Measurement Information System (PROMIS) für Depression eignen sich. Haben Patienten auffällige Screening-Ergebnisse, führt der Weg zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Kurze Zusammenfassung für Eilige:
Bildquelle: Harli Marten, Unsplash