Ewiges Leben ist seit jeher ein Traum der Menschen. Was, wenn man eines Tages wirklich den Tod überlisten könnte? Kryoniker forschen daran, diese Vision zur Wirklichkeit zu machen und übertreten dabei für viele Menschen Grenzen.
Klaus Hermann Sames, 75-jähriger emeritierter Professor für Anatomie, mit langem, glattem, weißem Haar und grauem Bart, steigt langsam und leicht gebeugt die Treppe eines Ulmer Bestattungsinstituts hinunter. Unten angekommen findet sich ein Experimentierraum mit großen Tanks. Ein süßlich-verwesender Duft steigt in die Nase. An den Seiten sind zahlreiche Särge gestapelt und in der Mitte findet sich eine silberne Bahre, auf der normalerweise die Toten auf ihre letzte Reise vorbereitet werden. Doch jetzt, nach Feierabend, geht es Sames nicht darum, Leichen zu bestatten. Im Gegenteil. Der Professor experimentiert seit Jahren daran, dem Tod zu entgehen und ewiges Leben zu erreichen. Er möchte eines Tages hier eingefroren und in der Tiefkühltruhe aufbewahrt werden. Warum? „Leben ist das, was ich spannend finde, wovon ich mehr will und ... was das Einzige ist, das ich hab“, sagt Sames. Klaus Hermann Sames ist Gründer und Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für angewandte Biostase (DGAB). Die 65 Mitglieder der DGAB nennen sich Kryoniker, vom altgriechischen Wort kryos, das Kälte bedeutet. Sie möchten sich nach dem Tod bei Minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff einfrieren lassen, um aufgetaut zu werden, wenn die Medizin so weit fortgeschritten ist, dass sie die Todesursache nachträglich beheben kann. Doch kann es wirklich möglich sein, auf diesem Wege ein zweites Leben geschenkt zu bekommen?
Wie die Leichen fit für die Zukunft gemacht werden können, daran forschen Sames und sein Team nun schon seit 2007. Bestatter und Balsamierer Daniel Streidt und Kardiotechniker Matthias E. trainieren im Keller des Ulmer Bestattungsinstituts mit Sames für den Ernstfall. „Man kann Kryonik in der Tat als ein Experiment beschreiben, dessen Ergebnis in der Zukunft liegt“, sagt Sames. Das Prozedere ist genau ausgetüftelt. Sollte der Tag gekommen sein, an dem der Professor im Sterben liegt, wird Balsamierer Streidt zunächst seinen Körper schnellstmöglich mit einem Gemisch aus Eiswürfeln und Wasser bedecken. Dies soll helfen, das Absterben der Zellen zu bremsen. Warum man die Leiche nicht einfach gleich in einen Eisschrank legt, hat einen einfachen Grund. Es dürfen sich auf keinen Fall Eiskristalle in der Blutbahn bilden, denn die würden das Gewebe zerstören. Das Prinzip, auf dem die Kryonik beruht, hat der schwedische Physiker und Chemiker Svante Arrhenius schon vor ca. 100 Jahren beschrieben. Er fand heraus, dass die chemischen Vorgänge langsamer ablaufen, wenn die Temperatur sinkt. Das gilt auch für biochemische Prozesse im menschlichen Körper, die bei sehr tiefen Temperaturen sogar komplett zum Stillstand kommen. Dieses Prinzip wird heute ähnlich auch bereits in der Notfallmedizin als Hypothermie eingesetzt, z.B. bei Reanimationspatienten oder Eingriffen am offenen Herzen. Robert Ettinger, amerikanischer Hochschullehrer und Erfinder der Kryonik, war begeistert von der Idee, seinen Körper auf diesem Weg unverändert über Millionen von Jahren aufbewahren zu können. Beim Prozess der Abkühlung streben die Kryoniker die sogenannte Vitrifizierung (Verglasung) an. Diese wird erreicht, indem eine Flüssigkeit so schnell abgekühlt wird, dass sie keine Kristallisierung durchläuft. Sobald sie gefroren ist, erscheint sie dann durchsichtig – wie Glas.
Nach dem Eisbad wird dann der Brustkorb der Leiche, ähnlich wie bei einer Herzoperation, aufgesägt und die Aorta an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, die das Blut aus dem Kreislauf pumpt. Wichtig ist, dass man nach dem Tod einen sofortigen Blutaustausch durch Zellschutzlösungen vornimmt, da sich im Blut Toxine ansammeln. Stattdessen wird dann Frostschutzmittel in die Adern gepumpt, dass zwar grundsätzlich toxisch wirkt, aber in genauer Dosierung lebenserhaltend wirken kann. Eine hohe Konzentration darf erst im Körper sein, wenn er so abgekühlt ist, dass die Zellen keinen aktiven Stoffwechsel mehr haben. Das Frostschutzmittel enthält zunächst 10%-igen gefolgt von 30%-igem Äthylenglykol. Danach wird ein 75%-iges Gemisch aus Äthylenglykol, Dimethylsulfoxid (DMSO), Glucose und Mineralien verabreicht. Währenddessen wird der Körper mit Trockeneis und Stickstoff weiter abgekühlt, bis bei Minus 130 Grad Celsius dann die Verglasung eintritt. Zu diesem Zeitpunkt wird der Körper dann in einem Stickstofftank gelagert, der zugelötet und in einen Sarg aus Trockeneis verpackt wird. So eingefroren kommt er dann in die USA, da in Deutschland die Aufbewahrung von Leichen in Stickstoffsärgen nicht erlaubt ist. Dort wartet er darauf, eines Tages wieder aufgetaut zu werden, um, geheilt von seiner Krankheit, sein Leben fortzusetzen.
Ob so etwas jemals möglich sein kann? Viele Skeptiker sehen vor allem ein Problem bei der starken Toxizität der Frostschutzmittel. Derzeit existiert keine Technik, um dieses Gift beim Auftauen wieder zu entfernen. Die Kryoniker sind sich der Giftigkeit der Mittel voll bewusst, allerdings konzentrieren sie sich vor allem darauf, die Schäden beim Einfrieren zu minimieren und vor allem das Gehirn zu erhalten. Jene Probleme, welche mit dem Auftauen verbunden sind, überlassen sie den Wissenschaftlern der Zukunft. Zudem führt die extreme Außenkühlung bei größeren Objekten zu makroskopischen Gefrierbrüchen im Gewebe, dem sogennanten Cracking. Wie genau die Reanimation später ablaufen soll, haben die Kryoniker in ihren Überlegungen bislang bewusst ausgelassen. Man bräuchte eine Technik, mit der man sehr schnell erwärmen kann, sodass keine Eiskristalle entstehen und die toxischen Substanzen bei Erhöhung der Temperatur nicht zu lange einwirken. Auch das Problem, den kryonisierten Menschen von seinem Leiden zu heilen, das ihn schließlich dahinscheiden hat lassen, scheint momentan noch unlösbar. Viele Forscher haben starke Vorbehalte: „Dass tiefgefrorene Tote eines Tages wiederbelebt werden können, halte ich für nicht vorstellbar. Das gehört in den Bereich der Science-Fiction“, meint der Zellbiologe Martin Zenke vom Helmholtz-Institut für Biomedizinische Technik in Aachen. Noch drastischer drückt sich der Mediziner Andreas Sputtek aus, Facharzt für Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und ehemaliger Präsident der „Society for Cryobiology“: „Wer glaubt, dass man tiefgefrorene Menschen irgendwann wiederbeleben kann, der muss auch glauben, dass man aus einer Frikadelle wieder eine Kuh machen kann.“
Dennoch konnte die Kryonik heutzutage auch schon einige kleinere Erfolge für sich verbuchen. So hat man es beispielsweise schon geschafft, eine Kaninchenniere einzufrieren und nach dem Auftauen wieder erfolgreich zu implantieren. Sames arbeitet bei seinem Kryonik-Projekt eng mit Michael Saxer zusammen, dem Leiter des Fördervereins für Altersforschung, Lebensverlängerung und Kryonik (FALK e.V.). Saxer eröffnete 2004 ein Insitut für die kryonische Aufbewahrung von verstorbenen Haustieren, was in Deutschland erlaubt ist. Dort lagern derzeit zwei Katzen. Die sind für Saxer aber nur ein „Nebeneffekt“. Er forscht, zusammen mit Sames, lieber an der Kryonisierung des menschlichen Körpers: „Pro Monat melden sich rund fünf Leute bei uns. Entweder, weil sie direkt betroffen sind und sich kryonisieren lassen wollen. Oder, weil sie es für ihre Angehörigen und Verwandten in Betracht ziehen. In Amerika sind bei den beiden dortigen Instituten zusammen über 200 Menschen eingelagert. Und beide haben mehrere tausend Mitglieder, die nach ihrem Tod kryonisiert werden wollen.“ Für so eine Kryokonservierung müssen Interessierte allerdings tief in die Tasche greifen. „Wir kalkulieren momentan mit rund 119.000 Euro für Präparation, Überführung und Lagerung. Wenn man es direkt in Amerika macht, kostet die Lagerung ca. 30.000 Dollar“, erklärt Saxer. Gegen Vorkasse, versteht sich. Unter den Kryonikern gibt es auch Leute, die nur ihren Kopf einfrieren lassen. Erstens ist das billiger als den gesamten Körper zu konservieren und zweitens hoffen sie, dass man den Rest in der Zukunft ohnehin klonen können wird. Sames und Saxer rechnen derzeit mit einer Wahrscheinlichkeit von ein bis fünf Prozent, dass sie nach ihrem Tod wiederkommen werden. Man hofft eben auf den Fortschritt in der Medizin. Dennoch betont Saxer: „ Wir Kryoniker versprechen nichts. Wir stellen klar, dass die momentane Wahrscheinlichkeit einer gelingenden Reanimation gering ist, aber sie ist auch nicht gleich Null, wie bei den herkömmlichen Bestattungsverfahren.“ Saxer glaubt fest, dass ewiges Leben möglich ist: „Ich denke, dass künftige Generationen das menschliche Genom so verändert haben werden, dass wir eine Lebenserwartung von hunderten, wenn nicht tausenden Jahren haben. Die werden dann mit dem Kopf schütteln, wenn sie sehen, dass wir uns mit 80, 90 Jahren zufrieden gegeben haben. Und eine Lebenserwartung von 800 oder 1.000 Jahren - das ist ja eine halbe Ewigkeit für uns Menschen. Was dann 500 Jahre später noch für Möglichkeiten entwickelt werden, weiß ich ja nicht. Aber ich bin voller Optimismus, dass das dann noch weitergeht.“ https://www.youtube.com/watch?v=SQrx1i_osns
Auch angehende Ärzte müssen sich tagtäglich in ihrem Studium mit dem Thema Sterben auseinandersetzen. Was halten Medizinstudenten von einer Wissenschaft, die ein zweites Leben nach dem Tod ermöglichen könnte? Julius Hermann studiert im sechsten Semester Medizin in München. Er hält die Kryonik für eine große Chance: „Sich einfrieren zu lassen ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, eventuell einmal weiterleben zu können. Die Wahrscheinlichkeit, dass man in absehbarer Zeit tote, eingefrorene Menschen wieder zum Leben erwecken kann, ist zwar gering, aber als toter Eingefrorener hat man ja auch alle Zeit der Welt. Also selbst wenn es noch 10.000 Jahre dauert, bis die Medizin so weit ist, dass sie einen toten Eingefrorenen wieder auftauen und zum Leben erwecken kann, ist das eine realistische Option. Auf jeden Fall kann ich als Naturwissenschaftler diesem Konzept mehr abgewinnen als dem Leben nach dem Tod, das die Kirche verspricht - daran glaube ich schlicht und ergreifend nicht, weil es dafür nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt. Außerdem packt mich schon eine gewisse Neugier beim Gedanken an die Zukunft. Wer würde nicht gerne wissen, wie es in hunderten von Jahren auf unserem Planeten aussieht und als Zeitzeuge einer alten Generation berichten. Ich kann verstehen, dass das vielen Leuten Angst macht. Aber dennoch bin ich fasziniert, dass es theoretisch die Möglichkeit geben könnte, unserem menschlichen Tod Grenzen zu setzen und mit geliebten Angehörigen weiterzuleben.“ Katharina Sichelbeck, die im fünften Semester in Regensburg studiert, steht der Kryonik hingegen sehr skeptisch gegenüber:„ Ob es irgendwann mal funktioniert oder nicht, sei dahingestellt - ich finde, das wird nicht ganz zu Ende gedacht. Angenommen, ich lasse mich kryokonservieren. In 100 Jahren wecken sie mich dann wieder auf. Die Situation wäre dann: meine ganzen Freunde und Verwandten sind tot, ich kenne niemanden, mein Wissen ist veraltet, ich finde keinen Job oder werde als Versuchskaninchen missbraucht, mein Vermögen ist wertlos, mein Besitz ist verfallen oder ich muss mir anschauen, was meine Erben aus meinem Vermächtnis im schlimmsten Fall gemacht haben. Wie soll das gehen? Ich finde, man muss es auch mal gut sein lassen. Der Mensch stirbt, das ist so. Ich möchte nicht, dass irgendwann mal Platz und Energie für die „Untoten“ verwendet wird, wo es die Lebenden viel dringender brauchen. Irgendwann ist einfach Schluss. Abgesehen davon wird es hier durch Überbevölkerung sowieso zunehmend eng, da kann keiner aufgetaute 150-Jährige brauchen. Wie soll außerdem die Verwaltung ablaufen? Muss man dann den Besitz und die Finanzen auch einfrieren? Muss man alles erhalten, weil eventuell mal einer aufgetaut wird? Was ist dessen Lebensgrundlage? Meine Meinung dazu ist, dass man sich irgendwann mit seiner eigenen Sterblichkeit abfinden sollte. Das Leben ist umso schöner und wertvoller, weil es eben nicht ewig dauert. Jeder Moment kommt nicht wieder und man sollte nicht vieles aufschieben, weil man nie weiß, wann man die nächste Gelegenheit bekommt. Für mich ist Kryonik der Versuch der Menschen, zu verdrängen, dass das Leben nun einmal endlich ist. Der Mensch sollte lernen, mit dieser Wahrheit umzugehen und sein Leben entsprechend gestalten, anstatt Geld in diesen Wunsch zu investieren.“
Ob der alte Menschheitstraum vom ewigen Leben wirklich eines Tages in Erfüllung gehen wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist, dass sich immer mehr Menschen mit Kryonik beschäftigen und mit der Erhaltung von menschlichen Körpern experimentieren. Die großen Probleme des Konservierens sind längst nicht gelöst und auch für die Reanimation und Heilung der todkranken Leichen gibt es derzeit keine Aussicht auf Erfolg. Doch Klaus Hermann Sames verweist darauf, dass anfangs auch Herzoperationen sehr umstritten gewesen sind. Inzwischen sind solche Einriffe akzeptiert und werden täglich durchgeführt. Solch einen Prozess wünscht er sich auch für die Kryonik. Seiner Meinung nach ist das ein wissenschaftliches Projekt, das voranschreitet und das anerkannt werden sollte. Aus medizinischer Sicht ist es zumindest nicht vollkommen unsinnig, Menschen einzufrieren, denn selbst, wenn alles nicht klappt, konserviert man wenigstens eine große Menge DNA für künftige Generationen.