In Deutschland leiden etwa 1,4 Millionen Menschen an einer Demenz, zwei Drittel von ihnen unter Morbus Alzheimer. Die Therapie mit Antidementiva macht stetig Fortschritte, ist aber mit Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Erbrechen verbunden, die die Lebensqualität verringern.
Bei der Demenz vom Alzheimer-Typ liegt im Gehirn ein Überschuss an Glutamat und zugleich ein Mangel an Acetylcholin vor. Im Verlauf der Erkrankung können auch das Serotonin- und Dopamingleichgewicht gestört sein. Die Folgen sind Depressionen und parkinsonähnliche Erscheinungen. Ablagerungen aus Abbauprodukten größerer Eiweißmoleküle (Amyloid) bilden bei der Entstehung von Alzheimer Plaques zwischen den Nervenzellen, die die Energieversorgung im Gehirn stören. Hiervon ist insbesondere der sogenannte Meynert-Basalkern betroffen, in dem der wichtige Botenstoff Acetylcholin (ACh) synthetisiert wird. Er ist zuständig für den Antrieb, die Kognition, die Lernvorgänge und das Essverhalten.
Im Gehirn von Alzheimer-Patienten sinkt die Acetylcholin-Konzentration im Verlauf der Krankheit deutlich ab. Das Enzym Acetylcholinesterase baut physiologisch ACh ab. Hemmt man das Enzym, steigt der Gehalt des Neurotransmitters an, was zu einer Besserung der Symptomatik bei der Alzheimer-Demenz führt. Der Eingriff in den Transmitterabbau an der Synapse soll das Defizit ausgleichen. Dies leistet die Substanzklasse der Acetylcholinesterasehemmer (AChEH). Sie haben einen positiven Einfluss auf die Kognition, die Alltagsaktivität und die Lebensqualität. Die Weiterentwicklung führte zu den Second-Generation-AChEH. Donepezil, Rivastigmin und Galantamin weisen keine hepatische Toxizität und geringere cholinerge Nebenwirkungen auf. Die Substanzen unterscheiden sich zudem in ihren pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften.
Insgesamt sind AChE-Hemmer gut verträglich. Ein Großteil der dokumentierten Nebenwirkungen stehen im Zusammenhang mit dem cholinergen Wirkprofil der Substanzgruppe. Ist im Gehirn zu wenig ACh vorhanden, nimmt die Leistung ab, liegt hingegen ein Überschuss vor, kommt es zu Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Appetitverlust oder Diarrhoe. Diese Nebenwirkungen treten dosisabhängig auf. Außerdem unterscheiden sich die einzelnen Stoffe voneinander und in ihren galenischen Formulierungen. Ein besonderes Problem ist hierbei die Übelkeit. Sie wird zwar auch von zahlreichen anderen Arzneimittel(gruppen) hervorgerufen, doch der Wirkmechanismus der AChE-Hemmer stellt den behandelnden Arzt und das Apothekenteam vor eine besondere Herausforderung. Der Grund: Die gegen Übelkeit verabreichten Antiemetika wechselwirken mit den Antidementiva. Als Antiemetika stehen unter anderem folgende Wirkstoffe zur Verfügung:
Das Problem bei der Therapie mit Antiemetika ist der Eingriff in das neurobiologische Transmittergleichgewicht: Antihistaminische Wirkstoffe wie Diphenhydramin haben anticholinerge Begleitwirkungen und verhalten sich atropinähnlich. Sie verdrängen Acetylcholin von seinen Rezeptoren und können die Wirksamkeit der AChE-Hemmer deutlich reduzieren, mitunter sogar aufheben. Genau das ist für den Demenzpatienten absolut Tabu. Folgende Begleitwirkungen haben diese Antiemetika auf das Nervensystem:
Eines der am häufigsten verordneten Antiemetika ist Metoclopramid (MCP). Es ist ein zentral und peripher wirksamer, potenter Dopaminantagonist. Im ZNS beruht der Antagonismus zu Dopamin auf einer Rezeptorblockade. MCP stimuliert direkt die Freisetzung von ACh aus einem spezialisierten Nervengeflecht (Plexus myentericus) in der Wand des Verdauungssystems. Alzheimer-Medikamente aus der Klasse der AChE-Hemmer steigern den Gehalt an ACh, MCP tut dies auch. Die Folgen sind eine überschießende Reaktion, verbunden mit Nebenwirkungen durch die deutlich erhöhte ACh-Konzentration. Es kommt zu extrapyramidalen Störungen: Der Patient verliert teilweise die Kontrolle über seine Motorik. Er kann Zwangsbewegungen von Händen, Zunge und Beinen nicht mehr kontrollieren.
Patienten mit Morbus Parkinson zeigen ähnliche Symptome. 40 Prozent entwickeln eine Demenzerkrankung. Grundsätzlich haben Parkinson-Patienten zu wenig Dopamin im Gehirn. Hier verstärkt MCP als Gegenspieler dieses Neurotransmitters die Beschwerden. Auch gesunde Menschen können durch MCP parkinsonähnliche Beschwerden entwickeln. Besonders bei Patienten mit extrapyramidalen Störungen, die auch unter Morbus Parkinson leiden, darf MCP nicht eingesetzt werden. Zudem verbietet sich der Einsatz in der Begleittherapie mit Neuroleptika. Die entsprechende Anwendungseinschränkung im Jahr 2014 könnte ein erster Schritt auf dem Weg zur Lösung des Problems sein.
Im Gegensatz zu MCP passiert Domperidon nur in geringem Maße die Blut-Hirn-Schranke und führt deswegen in der Regel nicht zu zentralen, unerwünschten Wirkungen wie beispielsweise unkontrollierten Bewegungen. Wechselwirkungen mit Antidementiva an zentralen Dopaminrezeptoren sind nicht zu befürchten. Domperidon scheint zumindest in diesem Punkt dem Wirkstoff MCP klar überlegen zu sein. Leider zeigt die Fachinformation folgenden Warnhinweis: „Domperidon kann das QT-Intervall verlängern und soll nicht zusammen mit CYP3A4-Hemmern eingenommen werden, da diese seine Plasmakonzentrationen erhöhen.“ Die AChE-Hemmer Galantamin und Donepezil werden über dieses CYP-Enzym metabolisiert, Rivastigmin nicht. Deshalb ist bei diesem Pharmakon nicht mit derartigen Wechselwirkungen zu rechnen.
Kortikoide und andere Substanzen werden ohne entsprechende Zulassung gegen Übelkeit und Erbrechen eingesetzt. Auch die Gabe von den Setronen (5-HT3-Antagonisten wie Ondansetron, Dolasetron unter anderem gegen durch Antidementiva bedingte Übelkeit ) ist ein Off-Label-Use.
Die antiemetische Wirkweise der Kortikosteroide ist noch weitgehend unklar. Die am häufigsten verwendete Substanz ist Dexamethason, gefolgt von Methylprednisolon. Dexamethason wird im Vergleich zu Methylprednisolon oft als antiemetisch potenter angesehen, obwohl vergleichende Studien diesbezüglich fehlen. Die antiemetische Wirkung der Kortikosteroide beim akuten Erbrechen ist relativ gering.
Die 5-HT3-Antagonisten sind die neueste antiemetisch wirksame Substanzklasse. Sie wurden ursprünglich zur Prophylaxe und Therapie von Übelkeit und Erbrechen in Folge einer Chemotherapie entwickelt. Außerdem werden sie häufig und mit gutem Erfolg bei Übelkeit und Erbrechen nach einer Operation eingesetzt. Aufgrund fehlender Interaktionen mit Histamin-, Muscarin- oder Dopaminrezeptoren unterscheidet sich ihr Nebenwirkungsspektrum vollständig von allen anderen Antiemetika. Extrapyramidale Symptome oder Angstzustände treten nicht auf.
Neue Arzneiformen können die Therapie erleichtern und Nebenwirkungen reduzieren. Nach der morgendlichen Einmalgabe von retardiertem Galantamin wird die cerebrale Konzentration des Acetylcholins im Gehirn vor allem am Tage angehoben. In der Nacht dagegen begnügt sich das Gehirn mit deutlich geringeren Konzentrationen. Donepezil ist auch als Schmelztablette verfügbar, was den Einsatz bei älteren Patienten erleichtern kann. Rivastigmin als Transdermales Therapeutisches System (TTS) bietet ebenfalls eine Option für Patienten mit Schluckstörungen oder mangelnder Compliance. Die kontinuierliche Anflutung des Wirkstoffs führt zu konstanteren Wirkstoffspiegeln und macht die Therapie verträglicher im Vergleich zu oralen Arzneiformen.
Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen traten bei transdermaler Anwendung deutlich seltener auf als nach Einnahme von Rivastigmin-Kapseln. Dies zeigte unter anderem die IDEAL-Studie (Investigation of transDermal Exelon in ALzheimer’s Disease). Im Anschluss an IDEAL konnten die Patienten an einer offenen Verlängerungsstudie über 28 Wochen teilnehmen, in der die Langzeitverträglichkeit des Rivastigmin-Pflasters getestet wurde. Alle Teilnehmer wurden unabhängig von ihrer vorangegangenen Therapie direkt auf das 9,5mg/24h-Pflaster und über einen Zwischenschritt (13,3mg/24h) schließlich auf das 17,4mg/24h-Pflaster umgestellt. Es ist sinnvoll, die Behandlung nicht mit dem 9,5mg/24h-Pflaster zu beginnen, sondern über vier Wochen mit dem 4,6mg/24h-Pflaster einzuschleichen. Wenn Patienten vorher mit 6 bis 12mg oralem Rivastigmin pro Tag therapiert wurden, kann man direkt auf das 9,5mg/24h-Pflaster wechseln; eine Auftitration mit der kleineren Pflastergröße empfiehlt sich, wenn die orale Dosis bei 6mg/d lag. Der Hersteller hat bereits im Jahr 2013 vor Überdosierungen gewarnt und darauf hingewiesen, alle 24 Stunden das TTS zu entfernen und durch ein neues zu ersetzten. Es sollten niemals mehrere „Pflaster“ verwendet werden oder einzelne Pflaster geteilt werden.
Neben dem Arzt spielt der Apotheker eine bedeutende Rolle bei der Betreuung des Demenzpatienten. Der Blick des Apothekenteams auf die Gesamtmedikation des Patienten zahl sich aus. Der Pharmazeut Dr. Oliver Schwalbe untersuchte im Rahmen seiner Dissertation (Pharmaceutical Care for Alzheimer Patients and their Caregivers, 2009) die Medikation von 46 Alzheimer-Patienten. Er entdeckte dabei viele arzneimittelbezogene Probleme, darunter unzweckmäßige Medikamente und Dosierungen, Anwendungsfehler, Wechselwirkungen und unerwünschte Arzneimitteleffekte. „58 Prozent dieser Probleme ließen sich lösen“, so Schwalbe. „Alzheimer-Patienten profitieren also enorm, wenn Apotheker ihre Gesamtmedikation dokumentieren und kontrollieren.“