Medizinische Hard- und Software sind ein lukrativer Markt, der auch Google nicht verborgen geblieben ist. Der Konzern arbeitet an mehreren Produkten, wie einer Datenbrille für Chirurgen und einer Linse, die den Blutzuckerspiegel bestimmt.
Schöne neue Welt: Mehrere Jahre hat Google an der Datenbrille Google Glass gearbeitet. Sie besteht unter anderem aus einem Zentralprozessor mit Arbeitsspeicher, einer nach vorne gerichteten Digitalkamera, einem Mikrofon sowie einem Knochenleitungs-Lautsprecher. Schnittstellen und Sensoren kommen hinzu. In das Sichtfeld lassen sich Daten aus dem Web einblenden. Bedient wird Google Glass primär durch Kopfbewegungen und durch Worte. Interessierte können den Miniaturcomputer über das Web bestellen. Ärzte loten jetzt die Stärken und Schwächen des neuen Tools für medizinische Anwendungen aus.
Bereits Ende 2013 gab es eine Premiere: Niederländische Kollegen setzten bei einem abdominalchirurgischen Eingriff Google Glasses ein. Sie übertrugen das Geschehen live zum Kongress „Games for Health Europe“ und zu YouTube – ein Plus für die Lehre. Doch elektronische Datenbrillen leisten weitaus mehr. Jetzt hat Oliver J. Muensterer vom New York Medical College Erfahrungsberichte aus der pädiatrischen Chirurgie veröffentlicht. Zusammen mit Kollegen erprobte Muensterer die Brille als „Explorer-Version“ vier Wochen lang. Das Team dokumentierte Eingriffe, führte Telefonate oder Videokonferenzen, legte Abrechnungsziffern fest oder recherchierte im Web – ohne das sterile OP-Gebiet zu verlassen. Mit dem Tragekomfort waren alle Tester zufrieden. Sie kritisierten allerdings, dass die Batterie kaum zwölf Stunden durchhielt. Begann ein OP-Tag um sieben Uhr, machte Google Glass bereits am Nachmittag schlapp. Bei voller Leistung – dazu gehören unter anderem Videofunktionen – war schon nach 30 bis 40 Minuten Schicht im Schacht. Bei der Tonqualität gab es ebenfalls noch Luft nach oben. Doch damit nicht genug: Streamte das Team Eingriffe, brach der Datenfluss zeitweilig ab. Während Entwickler diverse, zumeist technische Kinderkrankheiten sicher in den Griff bekommen, bleibt der Datenschutz eine Achillesferse: Alle Daten landen zwischenzeitlich auf Google-Servern. Was dort mit den Informationen geschieht, ist unklar – nicht jede Videokonferenz soll schließlich der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Ein weiterer Anlauf: Chirurgen der University of Alabama in Birmingham, USA, haben mit Funktionen der erweiterten Realität (augmented reality) gearbeitet. Zum Einsatz kam die Plattform VIPAAR (Virtual Interactive Presence in Augmented Reality) in Kombination mit einem Computer und einer Videobrille. Während Brent Ponce am UAB Highlands Hospital in Birmingham Totalendoprothesen (TEP) einsetzte, gab sein Kollege Phani K. Dantuluri aus Atlanta virtuelle Ratschläge. Beide Chirurgen konnten den Fall in Echtzeit diskutieren – schließlich sah Dantuluri den Eingriff und sogar die Position von Instrumenten aus Ponces Blickwinkel. Ärzte am UAB sprechen von der Chance, jungen Chirurgen bei komplizierten Eingriffen erfahrene Mentoren an die Seite zu stellen ohne dass diese vor Ort sein müssen.
Google hat neben Datenbrillen weitere medizinische Tools in der Entwicklungs-Pipeline. Zusammen mit der Novartis-Tochter Alcon sollen SmartLens-Technologien weiter entwickelt werden. Dank miniaturisierter Elektronik ließe sich einerseits die Altersweitsichtigkeit korrigieren. Patienten mit Presbyopie benötigen technische Unterstützung, weil ihre natürliche Fokussierung nicht mehr vollständig funktioniert. Doch damit geben sich die Forscher nicht zufrieden. Neue Kontaktlinsen bestimmen die Glukosewerte in der Tränenflüssigkeit und senden entsprechende Daten drahtlos an Smartphones. Ein Vorteil: Die intelligente Linse erfasst Messwerte im Sekundentakt und warnt Patienten via App lange vor einer kritischen Stoffwechsellage bei Diabetes mellitus. Lutz Heinemann von der DDG-Arbeitsgemeinschaft „Diabetes und Technologie“ begrüßte entsprechende Planungen. Er machte klar, dass seine Arbeitsgemeinschaft bereit sei, Google zu unterstützen. Im besten Falle ließe sich die Compliance deutlich verbessern – viele Patienten empfinden Blutentnahmen aus der Fingerbeere als äußerst unangenehm und halten sich nicht an ärztliche Empfehlungen. Bis zur Marktfähigkeit müssen Entwickler jedoch noch einige Klippen umschiffen. Beispielsweise sind die Glukosewerte in der Tränenflüssigkeit 50 Mal niedriger als im Blut. Änderungen haben eine Zeitverzögerung von sieben Minuten.
Andere Technologien von Google sind schon längst in der Praxis angekommen, Stichwort Software. Beispielsweise lässt sich Google Maps auch als medizinisches Frühwarnsystem für Ärzte und Patienten einsetzen. Baxter hat auf dieser Basis eine Karte aller FSME-Risikogebiete veröffentlicht. Forscher der Weltgesundheitsorganisation WHO nutzen das Tool, um die Ebola-Ausbrüche seit 1976 zu dokumentieren. Karten dieser Art haben einen großen Vorteil: Alle Schreibberechtigten, beispielsweise Ärzte vor Ort, können Erkrankungsfälle vor Ort in Echtzeit eintragen, und das ohne administrativen Aufwand. Solange es sich um anonymisierte Fallmeldungen handelt, ist die Datensammlung unproblematisch. Bei patientenbezogenen Informationen müssen sich Verantwortliche jedoch fragen, wie genau es Google mit dem Datenschutz nimmt.