Das Genom der menschlichen Darmbewohner gibt eine genauere Auskunft über die Figur seines Wirts als die körpereigene DNA. Die Flora schlanker und übergewichtiger Menschen unterscheidet sich deutlich voneinander. Fraglich ist jedoch, was Ursache und was Wirkung ist.
Fettes und kalorienreiches Essen, die meiste Zeit des Tages am Schreibtisch und Bewegungsmangel – die meisten Menschen haben als unausweichliche Folge irgendwann ein Gewichtsproblem. Aller Erfahrung nach ist es nicht allein der Kaloriengehalt des Essens allein, der den BMI (Body-Mass-Index) in die Höhe treibt. Denn Schweinebraten und Sachertorte lassen bei den einen den Bierbauch wachsen, während andere bei gleicher Kost schlank bleiben. Aber auch das Erbgut hat nur begrenzten Einfluss auf die ungesunde Gewichtszunahme.
Entsprechend den bisherigen Studien gehen knapp 60 Prozent des BMI auf Kosten der Ernährung, runde 12 Prozent steuert der genetische Hintergrund des Trägers bei. Mit zunehmendem Wissen über das menschliche Mikrobiom rückt die mikrobielle Darmflora immer mehr in den Blickwinkel der Internisten und Ernährungswissenschaftler. Denn die sieht offensichtlich bei sportlich-asketischen Typen ganz anders aus als bei schwergewichtigen Frauen und Männern. Bereits 2012 berichtete DocCheck über den Zusammenhang zwischen Bacteroides, Firmicutes und Übergewicht. Dennoch weiß man Genaueres über die rund 1014 Mikroorganismen mit rund 5.000 Arten erst seit rund zehn Jahren. Experten schätzen, dass darunter noch sehr viele bisher unbekannte Spezies sind.
Firmicutes-Stämme sind sowohl bei der adipösen Maus als auch beim Menschen im Vergleich zum normalgewichtigen Individuum erhöht, während Bacteroides-Arten dort eher unterdurchschnittlich vertreten sind. Diesen Zusammenhang konnte erstmals Jeffrey Gordon 2005 mit Nagern nachweisen, denen das Sattheits-Hormon Leptin fehlte. Je nach Essgewohnheit, Rasse der untersuchten Studienteilnehmer und Analysemethode unterscheidet sich die Darmflora aber nicht nur zwischen "Dünn" und "Dick", sondern auch zwischen Leuten mit Idealgewicht. Immerhin: Wer die Ausscheidungsprodukte des menschlichen Darms nach der vorhandenen DNA untersucht, hat bei bakteriellen Genen eine 90-prozentige Trefferwahrscheinlichkeit, damit die Statur des Untersuchten zu erraten, bei der Analyse der humanen Gene jedoch nur knapp mehr als die Zufallsrate von 50 Prozent. Bei der Untersuchung von 169 übergewichtigen und 124 schlanken Menschen fanden Forscher eines europäischen Forscherkonsortiums, dass mit dem Übergewicht auch ein Rückgang der genetischen Vielfalt dar Darmflora einhergeht. Aber: Viele Widersprüche in den Studien an Maus und Mensch haben dazu geführt, dass die Frage nach der Kausalität – verändert das Übergewicht die Darmflora oder umgekehrt – immer noch nicht geklärt ist. Vanessa Ridaura von der Washington University in St. Louis und ihre Kollegen zeigten bei Untersuchungen, bei denen sie Fäzes von übergewichtigen oder schlanken Mäusen auf keimfrei aufgezogene „Normal“-Mäuse transplantierten, eine deutlich größere Gewichtszunahme, wenn die Flora aus dem Darm der Mäuse mit kalorienreichem Futter kam. Sperrte man die beiden Gruppen transplantierter Mäuse zusammen in einen Käfig, schien sich bei Standardfutter eher die Flora der schlanken Mäuse durchzusetzen.
Nachdem Ärzte den Fäkaltransfer bei Darmproblemen ihrer Patienten immer öfter auch in der Klinik anwenden, gibt es auch inzwischen Studien zum Mikrobentausch zwischen schlanken und übergewichtigen humanen Studienprobanden. Wer als Übergewichtiger die Bakterien eines schlanken Spenders erhält, ist deswegen aber nicht nicht gleich sein Gewichtsproblem los, auch wenn sich andere metabolische Werte, wie etwa die Insulinsensitivät erst einmal bessern. Dass einzelne Bakterienspezies im Darm umgekehrt nicht alleine zu Übergewicht führen, zeigen auch Versuche von Liping Zhao von der Jiao Tong Universität in Shanghai. Zhao isolierte etwa Enterobacter cloacae von einem seiner stark übergewichtigen Patienten und kolonisierte damit den Darm von Mäusen. Nur wenn er ihnen gleichzeitig kalorienreiche Nahrung anbot, setzen die Nager auch ihre Fettpolster an. Enterobakterien machen bei übergewichtigen bis zu 35 Prozent der Darmbakterien aus und gehen nach Gewichtsreduktion auch wieder stark zurück. Wie kompliziert die Situation bei der Kopplung von Darmflora mit Übergewicht ist, zeigt aber auch die Tatsache, dass nicht jeweils eine bestimmte Bakterienfamilie für den einen oder anderen Zustand typisch ist. Analysiert man etwa Lactobazillen, so sind eta Lb. plantarum und -paracasei typisch für schlanke Menschen, dagegen Lb. reuteri für deutlich übergewichtige Menschen. Ähnliches gilt auch für Bifidobakterien.
Übergewicht gehört zu den Schlüsselfaktoren des Metabolischen Syndroms und trägt damit auch zur Entstehung von Diabetes und anderen Stoffwechselproblemen bei. Gram-negative Enterobakterien verursachen über Lipopolysaccharid (LPS) in ihrer Zellwand eine Entzündungsreaktion im Wirt. Damit verringert sich die Leistung der Betazellen im Pankreas. Aber auch Veränderungen der Darmpermeabilität, Stoffwechselstörungen in den Muskeln, Fettgewebe und im Gehirn hängen mit der Überproduktion von LPS im Darm zusammen. Bei fett-gefütterten Mäusen erreichte die Plasma-Konzentration von LPS einen bis zu dreifach erhöhten Wert gegenüber dem Normallevel – vergleichbar der Konzentration, die bei Patienten mit metabolischem Syndrom gemessen werden. Durch die Gabe von probiotischen Mikroorganismen wie Akkermansia muciniphila bessern sich die metabolischen Werte schon innerhalb kurzer Zeit. Willem de Vos und seine Kollegen von der Universität Wageningen haben eine klinische Studie mit adipösen Patienten begonnen, um zu sehen, ob das Bakterium auch Menschen beim Abnehmen helfen kann. Firmicutes und Prevotella-Bakterienstämme in Übergewichtigen können auch komplexe Polysaccharide in der Nahrung zu kurzkettigen Fettsäuren (SCFA) zerlegen, die nicht nur zur Verbrennung dienen, sondern im Wirt wiederum zahlreiche Signalketten ansprechen. Endokrine Zellen im Darm produzieren daraufhin das Peptid YY. Das Hormon lässt die Motilität des Darms zurückgehen und sorgt für einen längeren Aufenthalt der Nahrung. Auf diese Weise gelangen mehr Monosaccharide aus abgebauten Nahrungsbestandteilen in den Kreislauf. Der Zuckerüberschuss trägt so zu Gewichtsproblemen bei.
Wo liegen nach den bisherigen Erkenntnissen nun die Möglichkeiten, schädliches Übergewicht mitsamt der unerwünschten Bakterienflora loszuwerden. Ernährung, reich an schwer verdaulicher Oligofructose, wie sie etwa in Bananen, Knoblauch und Artischocken vorkommt, führt in Mäusen nicht nur zu einen gesünderen Stoffwechsel, sondern auch zu einem Rückgang der Fettreserven, allerdings weit mehr als bei entsprechenden Studien im Menschen. Eine neunwöchige Diät mit Vollwertkost, traditionelle chinesischer Küche und Probiotika, der sich rund 100 schwer übergewichtige Probanden unter der Aufsicht von Liping Zhao in Shanghai unterwarfen, veränderte die Darmflora und die metabolischen Werte dramatisch zum Positiven. Enttäuschend war jedoch der vergleichsweise geringe Gewichtsverlust von nur sechs Kilogramm. Eine weitere aussichtsreiche Diät-Option scheint die Gabe von probiotischen Bakterien in der Nahrung zu sein. Gibt man kalorienreich befütterten Mäusen Lactobacillus paracasei oder -rhamnosus zu, so verringert sich die Gewichtszunahme deutlich und führt ausserdem zu besseren Zucker- und Leberwerten. Noch ziemlich am Anfang stehen dagegen humane Studien mit dem Einsatz probiotischer Bakterien gegen unerwünschte Fettpolster. Hier gibt es einige hoffnungsvolle Studien, wie etwa die Gabe von Lactobacillus rhamnosus bei Neugeborenen oder Lactobacillus gasseri bei Erwachsenen. Andere Studien wiederum verliefen eher enttäuschend.
Ein drastischer Schritt zu Gewichtsreduktion ist der Magenbypass (Roux-en-Y-Operation). Der meist gute Erfolg dieser Maßnahme ist möglicherweise nicht nur auf die veränderte Anatomie des Verdauungstrakts und seiner Möglichkeiten zur Nahrungsaufnahme zurückzuführen. Die Darmflora der Operierten ändert sich mit den neuen Verhältnissen deutlich und unterscheidet sich signifikant von der von Normal- oder Übergewichtigen. Die wiederum ähnelt auch derjenigen von Mäusen und Ratten mit dem analogen Eingriff. Forscher übertrugen die neu entstandene Bakteriengesellschaft auf keimfrei aufgezogene Mäuse. In der Folge verloren diese ohnehin schon relativ schlanken Tiere weiter an Gewicht. Der Transfer eines solchen Experiments auf den Menschen steht aber bisher noch aus. Manchmal hat die Bypass-Operation jedoch auch nicht den erwünschten Erfolg. Zur Zeit laufen Untersuchungen, ob solche Misserfolge mit der fehlenden Besiedlung freundlicher Bakterien zusammenhängen und ob sich daraus Biomarker zur Erfolgs-Voraussage ableiten lassen. Im Tiermodell funktioniert der Kampf gegen das Übergewicht bisher, so scheint es, erfolgreicher als in der Klinik. Probiotische Akkermansia-Bakterien im Mäusefutter lassen ihre Empfänger trotz fettreicher Nahrung nicht dick werden. Beim Menschen kommen im Vergleich zum kontrollierten Mäuseversuch jedoch noch zahlreiche Faktoren dazu, die auch mit Charakter und Psyche zu tun haben. Sportbegeisterung, Widerstandskraft gegen süße Versuchungen, aber auch ganz unterschiedliche Genom und Epigenom-Ausstattung erschweren den Transfer von Maus zu Mensch. Wer jedoch bedenkt, dass die Wissenschaft rund um die menschliche Darmflora erst in den letzten Jahren aufgeblüht ist, darf als Optimist wohl auch von der medizinischen Mikrobiologie Erfolge im Kampf gegen eine der wichtigsten Wohlstandskrankheiten erhoffen.