Traumatische Lebensereignisse, Dauerbelastungen, Stress: All das kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, an einer Insomnie zu erkranken. Doch Menschen gehen unterschiedlich mit Stress um, was offenbar auch ihr Risiko beeinflusst, chronische Schlafstörungen zu entwickeln.
Wer viel Stress oder anhaltende Belastungen erlebt, schläft schlechter und leidet häufiger unter Schlaflosigkeit. Das hat eine ganze Reihe von Studien gezeigt. Doch ist Stress wirklich gleich Stress? Und vor allem: Kommt es nicht darauf an, wie jemand mit einer Belastung umgeht? „Bisher haben nur wenige Studien untersucht, wie sich Stress auf die Entstehung einer Insomnie auswirkt“, sagt Vivek Pillai vom Zentrum für Schlafstörungen und Schlafforschung am Henry-Ford-Krankenhaus in Detroit (USA). „Vor allem aber wissen wir wenig darüber, wie sich die Stärke und die Dauer des Stresses, aber auch der individuelle Umgang mit Stress auf das Risiko einer Insomnie auswirkt.“ Unter Insomnie versteht man Ein- und Durchschlafstörungen an mindestens drei Tagen in der Woche, die zu Müdigkeit und Beeinträchtigungen am Tag führen und die mindestens einen Monat lang anhalten.
In einer aktuellen Studie untersuchten Pillai und sein Team nun erstmals den Einfluss genau dieser Faktoren auf die Schlafqualität. Dazu analysierten sie die Daten von 2.892 guten Schläfern, die nie im Leben unter Insomnie gelitten hatten. Zum ersten Untersuchungszeitpunkt berichteten die Probanden per Fragebogen, wie viele stressige Ereignisse sie im letzten Jahr erlebt hatten, wie belastend diese gewesen waren und wie lange der Stress angehalten hatte. Zu den Belastungen zählten zum Beispiel schwere Erkrankungen, Scheidungen, finanzielle Probleme oder der Tod eines nahen Angehörigen. Weiterhin gaben die Probanden Auskunft über sich aufdrängende, unwillkürliche Gedanken (Intrusionen) in Zusammenhang mit dem Stress sowie über ihre Strategien zur Bewältigung der Belastungen (Coping). Ein Jahr später wurde erfasst, wie viele Teilnehmer eine Insomnie entwickelt hatten.
Nach Ablauf eines Jahres erfüllten 9,1 Prozent der Teilnehmer die Kriterien einer Insomnie. Je mehr belastende Ereignisse sie erlebt hatten und je länger der Stress angehalten hatte, desto höher war das Risiko, die Schlafstörung zu entwickeln. Darüber hinaus spielte der Umgang mit den Belastungen eine wichtige Rolle: Wer versuchte, den Stress mit Alkohol oder anderen psychoaktiven Substanzen zu bekämpfen, entwickelte mit höherer Wahrscheinlichkeit eine Insomnie. Auch wer sich durch andere Aktivitäten, etwa Fernsehen, vom Stress ablenkte, oder wer es aufgab, sich mit den Belastungen auseinanderzusetzen, hatte ein erhöhtes Insomnierisiko. Des Weiteren erhöhten ständige unwillkürliche Gedanken an den Stress das Risiko für die Erkrankung. „Unsere Studie zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Insomnie zu entwickeln, nicht von der Anzahl der Stressoren abhängt, sondern vor allem von der psychischen Reaktion auf den Stress“, sagt Pillai. Das Ergebnis zum Substanzmissbrauch sei besonders besorgniserregend. „Wir wissen, dass sich Alkohol störend auf die Schlafstruktur auswirkt – auf der anderen Seite wird er häufig als effizientes ‚Schlafmittel‘ wahrgenommen“, schreiben die Autoren. „Das kann mit der Zeit zu erhöhtem Konsum und Toleranzentwicklung führen und so die Schlafprobleme weiter verstärken.“
Doch auch die Neigung, in stressigen Lebensmomenten schlechter zu schlafen, beeinflusst das Risiko für eine Insomnie. Die Tendenz, auf Stress mit Schlafstörungen zu reagieren – die sogenannte „Schlafreaktivität“ – ist von Person zu Person unterschiedlich. Sie lässt sich mithilfe von Fragebögen wie dem „Ford Insomnia Response to Stress Test“ (FIRST) erfassen. Menschen mit einer erhöhten Schlafreaktivität neigen dazu, nach einem stressreichen Tag, aber auch vor wichtigen Ereignissen am nächsten Tag schlechter zu schlafen. Zwei groß angelegte Studien haben sich kürzlich mit dem Zusammenhang zwischen Schlafreaktivität und der Entstehung einer Insomnie beschäftigt. Sie untersuchten 2.316 bzw. 1.449 gesunde Erwachsene ohne Schlafstörungen über einen Zeitraum von einem bzw. drei Jahren. Beide Studien belegen: Eine hohe Schlafreaktivität erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit, an einer Insomnie zu erkranken. Weiterhin scheint eine hohe Schlafreaktivität die Auswirkungen von Intrusionen auf den Schlaf zu verstärken und auf diese Weise das Insomnierisiko zu erhöhen.
Die Ergebnisse zeigen, dass in der zukünftigen Forschung multidimensionale Ansätze wichtig sind, die neben objektiven Belastungen auch die psychischen Reaktionen auf Stress erfassen. „Ungewollte Gedanken und ungünstige Strategien im Umgang mit Belastungen sind zudem wichtige Ansatzpunkte für eine Therapie“, betont Pillai. So können in einer kognitiven Verhaltenstherapie günstigere Strategien im Umgang mit Stressfaktoren und Maßnahmen für einen besseren Schlaf erlernt werden. Insgesamt sind etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung von einer Insomnie betroffen. Leichte Schlafprobleme wie gelegentliche Ein- und Durchschlafstörungen kommen bei etwa der Hälfte der Bevölkerung vor. „Wenn sich jemand von Ereignissen in seinem Leben überwältigt fühlt, sollte er mit seinem Arzt besprechen, wie er die Stressbelastung verringern und seine Schlafqualität verbessern kann“, rät Timothy Morgenthaler, Präsident der Amerikanischen Akademie für Schlafmedizin.