Müde Augen? Erstmal reiben. Das tut manchmal so gut, dass man kaum aufhören kann. Warum ADHS-Patienten möglicherweise häufiger unter einem Keratokonus leiden, erfahrt ihr hier.
Regelmäßiges Augenreiben kann der Hornhaut erheblichen Schaden zuführen. Die empfindliche Kornea kann durch den wiederholten mechanischen Reiz ausdünnen und beschädigt werden. Aber warum reiben wir uns eigentlich die Augen und wie steht das mit Keratokonus im Zusammenhang?
Bei Keratokonus handelt es sich um eine bilaterale Erkrankung der Kornea. Dabei kommt es zu einer kegelförmigen Auswölbung und gleichzeitiger Ausdünnung der Hornhaut. Der Keratokonus ist genetisch vererbbar, wird aber häufig auch mit anderen Erkrankungen assoziiert, wie etwa Neurodermitis. Auch Schäden an der Hornhaut durch starkes Reiben der Augen können einen Keratokonus auslösen oder begünstigen. Eine aktuelle Studie ist jetzt einen Schritt weiter gegangen und hat untersucht, ob auch bestimmte Verhaltensweisen oder psychiatrische Erkrankungen diese korneale Erkrankung begünstigen.
Dazu muss man jedoch zuerst verstehen, warum wir uns eigentlich die Augen reiben. Natürlich zum einen wegen juckender Augen, ausgelöst durch z. B. Fremdkörper im Auge oder Heizungsluft. Dann sorgt das Reiben der Augen insbesondere dafür, dass der Fremdkörper aus dem Auge entfernt wird oder der Tränenfilm gleichmäßig auf der Hornhaut verteilt wird.
Aber auch bei Müdigkeit oder Stress reiben sich viele die Augen. Ein möglicher Erklärungsansatz, den die Autoren der Studie nennen, ist, dass das Augenreiben eine Art des Stressabbaus ist. Denn: In den Augen befinden sich 300- bis 600-mal so viele Nervenendungen wie in der Haut. Durch starkes Reiben könnte der okulokardiale Reflex ausgelöst werden, der den Vagusnerv stimuliert. Das wiederum senkt den Blutdruck und den Herzschlag.
Als Art des Stressabbaus könnte das Augenreiben also auch bei psychologischen Erkrankungen eine Rolle spielen, so die Theorie der Wissenschaftler. Ob das dann auch die Kornea so in Mitleidenschaft zieht, dass ein Keratokonus entsteht, untersuchten sie in ihrer aktuellen Studie.
Sie analysierten Patientendaten von über 900.000 Personen aus Israel. Dort werden im Alter von 16–18 Jahren alle Staatsangehörige für den obligatorischen Militärdienst gescreent. Die Gesundheitsdaten jedes Einzelnen gehen direkt zum Militär und werden regelmäßig aktualisiert. Auch diagnostizierte psychische Erkrankungen werden in den Akten vermerkt. Diese Datenbank machten sich die Wissenschaftler zunutze und analysierten die Daten von 940.763 Menschen, von denen 1.533 an Keratokonus litten.
Beim Auswerten der Daten legten die Wissenschaftler ein besonderes Augenmerk auf psychiatrische Erkrankungen. Über 100.000 Personen hatten eine Diagnose, wie etwa ADHS (10,6 %), Angststörungen (Anxiety; 0,5 %), Zwangsstörungen (OCD; 0,1 %) oder Autismus (0,1 %). Diese Störungsbilder können mit einem erhöhten Stress-Level, innerer Unruhe oder einer erhöhten Reaktanz gegenüber sensorischen Reizen einhergehen. Das wiederum könnte Formen des Stress-Abbaus, wie etwa das Augenreiben, begünstigen.
In ihrer Analyse konnten die Wissenschaftler zeigen, dass unter den Keratokonus-Patienten überdurchschnittlich viele ADHS-Betroffene waren (p < 0,001; 15,9 % der Keratokonus-Patienten vs. 10,7 % in der Gesamtbevölkerung) und überwiegend männliche Personen. Gleichzeitig korrelierte die Ausprägung des ADHS nicht mit der Ausprägung des Keratokonus. Eine Assoziation mit OCD, Anxiety oder Autismus konnten die Studienautoren nicht nachweisen.
Zwar konnten die Autoren eine Assoziation von ADHS und Keratokonus feststellen, hier jedoch bereits von einer Komorbidität von ADHS zu sprechen, lehnen sie ab. Vor allem, da die Prävalenz von Keratokonus bei ADHS-Betroffenen zwar höher war als bei nicht-ADHS-Patienten, aber trotzdem insgesamt sehr gering (0,24 % vs. 0,16 %) war.
Dass die Prävalenz von Keratokonus bei ADHS-Betroffenen höher ist als in der Gesamtbevölkerung finden auch andere Wissenschaftler nicht verwunderlich. Aufgrund der erhöhten Sensibilität gegenüber Reizen und Eindrücken sehen sie hier eine vulnerable Gruppe für die Augenerkrankung. Sie argumentieren, dass Personen mit ADHS und anderen psychiatrischen Störungen möglicherweise ein reduziertes Vermögen aufweisen, dem Reiz des Augenreibens zu widerstehen. Weiterhin sagen sie, dass auch wenn das Reiben einen sensorischen Trigger hatte (z. B. trockene Augen), die Verhaltensweise auch nach Wegfall des Reizes bestehen bleibt und zu einem antrainierten Verhalten wird.
Trotzdem bleibt dann die Frage, warum diese Assoziation lediglich für ADHS und nicht auch für OCD, Autismus oder Angststörungen nachgewiesen werden konnte. Die Autoren der Studie vermuten, dass die geringe Prävalenz dieser psychiatrischen Störungen für die fehlende Korrelation verantwortlich ist.
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