Fast 30 % aller schwer depressiven Menschen sind therapieresistent – das führt zu mehr Suiziden. Ein Nasenspray könnten diesen Patienten jetzt helfen. Lest hier mehr.
Ständig werden neue Wege gesucht, Medikamente besonders effizient und vor allem einfach zu verabreichen. Ein besonders spannender Ansatz: die Nase. Die intranasale Applikation von Medikamenten wird immer beliebter – denn sie ist eine nicht-invasive Methode zur direkten Verabreichung an das Gehirn. Das ist für viele Arzneimittel ein interessanter Ansatz, unter anderem für Antidepressiva (DocCheck berichtete). Jetzt hat eine Studie herausgefunden, dass Esketamin-Nasenspray eine effektive Alternative zur herkömmlichen Depressionsmedikamentation darstellen könnte.
Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe leiden 5,3 Millionen Deutsche zwischen 18–79 Jahren an Depression, das sind 8,2 % der Bevölkerung – und das sind noch Zahlen aus Prä-Corona-Zeiten. Seitdem steigen die Zahlen der Betroffenen weiter. Vielen Menschen kann mit herkömmlichen Medikamenten und Therapien geholfen werden. Aber immerhin 30 % aller an schwerer Depression erkrankten Menschen sprechen nicht auf die geläufigen Antidepressiva wie SSRI (Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) oder SNRI (Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer) an. Mit einer solchen behandlungsresistenten Depression gehen eine höhere Rate an Suizidversuchen und Suiziden, mehr Krankenhausaufenthalte und eine generell höhere Gesamtmortalität einher. Außerdem kommt es zu einer höheren Rückfallquote.
Wenn Patienten auf zwei unterschiedliche Antidepressiva nicht reagieren und man von einer therapieresistenten Depression (TRD) spricht, könnte der Einsatz eines zusätzlichen Medikaments helfen. „Ein solches Zusatzmedikament muss nicht in erster Linie antidepressiv wirken, aber oft kann es in Kombination mit der bisherigen SSRI- oder SNRI-Therapie die Wirkung verbessern bzw. verstärken“ erklärt Prof. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Frankfurt. Er ist außerdem Erstautor einer kürzlich erschienen Studie, die Wirkstoffe und Darreichungsformen von zwei Kombinationstherapien miteinander verglich.
In der randomisierten Phase-IIIb-Studie wurden Patienten, die bereits SSRI oder SNRI einnahmen, entweder einer Gruppe mit zusätzlichem Esketamin-Nasenspray (Esketamin-Gruppe) oder einer Gruppe mit zusätzlichem Quetiapin mit verlängerter Wirkstofffreisetzung (Quetiapin-Gruppe) zugewiesen. „Esketamin hat, wie aus der Anästhesiologie bekannt, eine analgetische Wirkung, aber in der hier verwendeten Dosierung und mit der Anwendung als Nasenspray hat es auch eine ausgeprägte antidepressive Wirkung. Man nimmt an, dass sie einer verminderten neuronalen Plastizität im Gehirn entgegenwirkt, die bei Patienten mit TRD im Allgemeinen zu beobachten ist“, heißt es in einer Pressemitteilung der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Primärer Endpunkt der Studie war eine Remission nach 8 Wochen (definiert als ein Wert von 10 oder weniger auf der Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale). Einer der wichtigsten sekundären Endpunkte war das Ausbleiben eines Rückfalls für bis zu 32 Wochen nach der Remission. Insgesamt wurden 336 Patienten der Esketamin-Gruppe und 340 Patienten der Quetiapin-Gruppe zugewiesen.
Die Studienergebnisse zeigen einen klaren Favoriten: In der Esketamin-Gruppe hatten mehr Patienten eine Remission nach 8 Wochen erreicht (91 von 336 Patienten [27,1 %] gegenüber 60 von 340 Patienten in der Quetiapin-Gruppe [17,6 %]; P = 0,003). Das Esketamin-Nasenspray konnte auch bei den sekundären Endpunkten überzeugen. Bereits in früheren Studien konnte sich ein Esketamin-Nasenspray gegenüber Placebo durchsetzen.
„In der Gruppe, die Esketamin-Nasenspray erhalten hat, waren 54 Prozent mehr Patientinnen und Patienten in der achten Woche in Remission als in der Gruppe, die Quetiapin-Retardtabletten erhalten hat. Das ist für eine Gruppe mit einer behandlungsresistenten Depression, also schlechten Prognose, ein guter Wert”, ordnet Reif die Ergebnisse ein. „Auch bei der Rückfallquote, die wir nach sechs Monaten kontrolliert haben, konnten die mit Esketamin behandelten Patientinnen und Patienten diesen Vorsprung gegenüber den mit Quetiapin behandelten Personen beibehalten.“
Esketamin-Nasenspray könnte also in Zukunft eine Alternative für die Behandlung therapieresistenter Depression sein. Allerdings muss auch erwähnt werden, dass der Hersteller – Janssen Pharmaceutical Companies – die Studie erheblich finanziell unterstütze. Unabhängige Studienergebnisse werden also in Zukunft erwartet.
Bildquelle: Kier in Sight Archives, unsplash