Die neuen Antikörper sind ein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie, auch wenn sie noch keine Heilung ermöglichen. Wie es mit Nebenwirkungen, Therapiekosten und möglichen Engpässen aussieht, lest ihr hier.
Antikörper könnten eine wirksame Option im Kampf gegen Alzheimer sein. Bisher wurde von der EMA allerdings noch keine Antikörpertherapie gegen Alzheimer zugelassen. Doch für drei Antikörper existieren bereits positive Studiendaten. Alle richten sich gegen das gleiche Therapietarget: β-Amyloid.
Für Aducanumab wurde die Zulassung auch in Europa beantragt, aber abgelehnt, da die Datenlage heterogen ist. Es gab zwei Studien (EMERGE und ENGAGE), die ein ähnliches Design hatten, die vorzeitig abgebrochen wurden, da sie den primären Endpunkt nicht erreichten – in einer weiteren Analyse zeigte eine Studie positive, die andere negative Ergebnisse. Bei der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA hatte man sich daran nicht gestört, dort war es entscheidend für die Zulassung, dass im Gehirn das β-Amyloid reduziert wurde, was in der Amyloid-PET-Untersuchung gezeigt werden konnte. Allerdings gab es die Auflage, innerhalb der nächsten sechs Jahre eine Studie zu initiieren, um auch die klinische Wirksamkeit des Antikörpers definitiv nachzuweisen. Die EMA hingegen hat anders entschieden und die Zulassung verweigert, da es aufgrund der Datenlage zurzeit nicht klar ist, ob es unter der Therapie zu einer Verlangsamung der Krankheitsprogression kommt. Auch wurde angesichts der Nebenwirkungen das Nutzen-Risiko-Potenzial nicht als ausreichend positiv eingestuft.
Zu Lecanemab gibt es positive Daten aus Phase-II- und Phase-III-Studien. Die FDA erteilte zunächst ein „conditional approval“ und im Juli dieses Jahres eine uneingeschränkte Zulassung. Hier waren die klinischen Daten, d. h. die primären Endpunkte der Studien (hier und hier), sowie alle sekundären Endpunkte positiv. Dazu zählte neben der Reduktion des β-Amyloids vor allem auch die klinische Progression der Erkrankung, gemessen an verschiedenen Parametern wie Kognition und Aktivitäten des täglichen Lebens. Der Zulassungsantrag für Lecanemab wurde bei der EMA eingereicht, sodass mit der Zulassung wahrscheinlich im ersten Quartal 2024 zu rechnen ist.
Phase-III-Daten zu Donanemab wurden im Juli auf der Alzheimer-Tagung in Amsterdam vorgestellt. Sie belegen eine klinische Wirksamkeit und wurden in vielen Medien als „Durchbruch in der Alzheimer-Forschung“ dargestellt. Donanemab konnte in der Studie die Progression der Alzheimer-Erkrankung um ca. 35 Prozent verlangsamen. Eine aktuelle Studie bei Patienten im präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit mit Solanezumab, ein Antikörper der ersten Generation, enttäuschte hingegen. Das Medikament vermochte nicht, in einem Zeitraum von 4,5 Jahren bei 1.169 noch unbeeinträchtigten Alzheimer-Risikopersonen den kognitiven Abbau zu verlangsamen.
Alle diese Antikörper sind gegen das gleiche Therapieziel, gegen das N-terminale Ende des β-Amlyoids, gerichtet, ein Peptid aus 42 Aminosäuren. Donanemab erkennt ein trunkiertes N-terminales Epitop auf dem β-Amyloidp3-42, bei der die ersten beiden N-terminalen Aminosäuren durch Proteasen entfernt wurden und ein Pyrolring am N-Terminus gebildet wurde; die letztere Modifikation wird als Pyroglutamat bezeichnet. Aβp3-42 ist wahrscheinlich spezifisch in senilen Plaques.
Das β-Amyloid liegt in verschiedenen Aggregatzuständen vor, ist entweder als Monomer oder Oligomer löslich vorliegend oder es hat Protofibrillen oder Fibrillen gebildet, aus denen die Amyloid-Plaques bestehen. Alzheimer-Antikörper der ersten Generation, wie Solanezumab, Crenezumab und Bapineuzumab, waren gegen Monomere und Oligomere gerichtet, die Studien waren insgesamt nicht erfolgreich. Aducanumab hingegen bindet lösliche Oligomere sowie Fibrillen und Lecanemab richtet sich besonders gegen kleine und mittelgroße, lösliche β-Amyloid-Protofibrillen. Donanemab ist gegen die Amyloid-Plaques gerichtet. „Das widerspricht der bisherigen Annahme, dass der Therapieerfolg dem löslichen Aggregatzustand zuzuschreiben ist“, erklärt Prof. Richard Dodel, Essen, einer der federführenden Autoren der neuen S3-Leitline Demenzen. „Es ergibt sich also derzeit kein ganz einheitliches Bild.“
Auch im Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil gibt es Unterschiede. Sogenannte ARIAs (Amyloid-Related Imaging Abnormalities) können unter der Therapie auftreten. Man unterscheidet zwei Formen: ARIA-E (E für Ödem) und ARIA-H (für Hämorrhagien). ARIA-E treten bei etwa einem Viertel aller Patienten unter Lecanemab, das alle zwei Wochen infundiert wird, auf. Sie werden allerdings nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen symptomatisch. Die Neigung zur Ödembildung war bei Aducanumab mit 30–40 % recht hoch, bei Lecanemab mit 12 % und bei Donanemab mit 24 % niedriger. „ARIA-H in Form von Mikrohämorrhagien oder einer superfiziellen Siderose sind potenziell gefährlicher. Allerdings muss man wissen, dass diese auch bei den Placebo-Behandelten (9–14 %) in den Studien auftraten, der Anteil der mit Antikörpern Behandelten war aber höher und lag bei 17–32 %“, erklärt Dodel. Patienten mit Vorhofflimmern unter Koagulation schienen besonders gefährdet.
Eine weitere Limitation – neben den Nebenwirkungen – sieht der Experte in der Versorgungslogistik. Lecanemab muss unter fachärztlicher Aufsicht zweiwöchentlich, die anderen Antikörper vierwöchentlich infundiert werden. Hinzu kommen diagnostische Herausforderungen des Amyloid-Nachweises und zumindest im ersten Behandlungsjahr ca. vierteljährliche Kontrolluntersuchungen mit der Kernspintomographie. Offene Fragen sind derzeit: Welche Patienten sollen behandelt werden – und in welchem Erkrankungsstadium? Wer ist für die Diagnostik und die entsprechenden Verlaufskontrollen verantwortlich?
Einen großen Diskussionspunkt stellt zudem aber das Kosten-Nutzen-Verhältnis dar. „Die Behandlungskosten für Lecanemab betragen in den USA 26.000 Dollar pro Jahr. Angesichts der hohen Zahl der zu behandelnden Patientinnen und Patienten – 400.000 neue Demenzdiagnosen pro Jahr in Deutschland, ein Großteil davon ist der Alzheimer-Erkrankung zuzuschreiben – würden diese Therapien das Gesundheitsbudget massiv belasten. Auch muss bedacht werden: Wir heilen Alzheimer damit nicht, wir verlangsamen bisher nur die klinische Progression um vielleicht 30 %. Es muss hinterfragt werden, ob das gesamtgesellschaftlich betrachtet, die Ausgaben rechtfertigt.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Die erwähnten Studien haben wir euch im Text verlinkt.
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