Selbst bei Patienten mit fortgeschrittenem Kehlkopfkrebs lässt sich das Organ mit einer Radiochemotherapie erhalten. Forscher haben nun einen Ansatz entwickelt, mit dem Ärzte schnell beurteilen können, ob der Tumor auf die Behandlung anspricht bevor es für eine Operation zu spät ist.
Der Kehlkopf hat für den Menschen zwei zentrale Funktionen: Sprechen und Trennung der Speise- und Atemwege. Der Verlust des Organs mindert die Lebensqualität der Betroffenen erheblich, da sie gezwungen sind, dauerhaft durch eine Luftröhrenöffnung am Hals zu atmen. Ärzte versuchen deshalb bei Patienten mit Kehlkopfkrebs das Organ zu erhalten.
Sogar im fortgeschrittenen Tumorstadium verhindert der kombinierte Einsatz aus Chemotherapie und Bestrahlung in einigen Fällen die chirurgische Entfernung des kompletten Kehlkopfs. Allerdings lässt sich zu Therapiebeginn nicht sicher abschätzen, ob die Behandlung anschlägt oder nicht. Das Dilemma: Findet sich rund dreieinhalb Monate nach Therapiebeginn noch Tumorgewebe beim Patienten, können Ärzte nur unter erschwerten Bedingungen operieren, da Strahlen- und Chemotherapie meist auch das Gewebe um den Kehlkopf stark geschädigt haben.
Ein Forscherteam des Universitätsklinikums Leipzig hat eine neue Vorgehensweise entwickelt, die das Risiko eines möglichen Therapieversagens frühzeitig sichtbar macht: Wie die Wissenschaftler um Professor Andreas Dietz auf dem diesjährigen Kongress der US-amerikanischen Krebsgesellschaft in Chicago berichteten, erhöht der bei insgesamt 180 Patienten getestete Ansatz die Chance auf einen gezielten Erhalt des Kehlkopfs. Zugleich reduziert sich die mit Risiken behaftete Rate an Nachoperationen mangels Therapieansprechen.
Dietz und seine Kollegen teilten die Patienten, die alle an fortgeschrittenem, noch operablem Kehlkopfkrebs litten, nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein. Die eine Hälfte erhielt mehrere Zyklen einer Kombination aus den Chemotherapeutika Docetaxel, Cisplatin und 5-Fluorouracil, die andere Hälfte nahm während der gesamten Behandlung zusätzlich noch Cetuximab ein. Der Antikörper dockt hochselektiv an ein Oberflächenmolekül an, das insbesondere auf Tumorzellen vorkommt. Cetuximab hemmt so das Tumorwachstum und löst wahrscheinlich eine Entzündungsreaktion aus, die das Immunsystem auf den Tumor aufmerksam macht. Die Forscher überprüften bei den Studienteilnehmern bereits nach dem ersten Chemotherapie-Zyklus endoskopisch die Tumoroberfläche. War diese um mindestens 30 Prozent geschrumpft, setzten Dietz und seine Kollegen die Chemotherapie mit zwei weiteren Zyklen fort und beendeten die organerhaltende Behandlung nach 13 Wochen mit einer Bestrahlung. Sprach der Tumor nur wenig oder gar nicht auf die Chemotherapie an, nahmen die Forscher die Patienten aus dem Programm heraus und operierten sofort.
Zwei Jahre nach Studienbeginn ereigneten sich bei den 60 zuerst rekrutierten Teilnehmern vier therapiebedingte Todesfälle. Dietz und seine Kollegen unterbrachen die Aufnahme von weiteren Patienten in die Studie und machten sich auf die Suche nach möglichen Ursachen. „5-Fluorouracil löst Gefäßschäden aus, zusammen mit den anderen Chemotherapeutika ist diese Mischung wohl zu aggressiv für die gesundheitlich meist mehrfach vorbelasteten Kehlkopfkrebs-Patienten“, sagt Dietz, Direktor der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde am Universitätsklinikum Leipzig. Er und die anderen Forscher beschlossen, das Chemotherapeutikum wegzulassen und die Studie mit 120 weiteren Patienten zu Ende zu führen. Auch ohne 5-Fluorouracil blieben die Ansprechraten nach dem ersten Zyklus weiterhin hoch. Insgesamt hatte sich die Tumormasse bei 67,4 Prozent aller Patienten in der Gruppe ohne Cetuximab und bei 77,3 Prozent aller Patienten in der Gruppe mit Cetuximab deutlich verringert und die Therapie konnte wie vorgesehen fortgesetzt werden. Nach Abschluss der gesamten organerhaltenden Behandlung zeigte sich, dass diese bei 94 Prozent der Patienten, die nach dem ersten Zyklus auf die Chemotherapeutika angesprochen hatten, am Ende erfolgreich war. „Das ist eine sehr gute Korrelation“, sagt Dietz. „Die Überprüfung der Tumorgrößenveränderung ermöglicht somit schon nach dem ersten Zyklus eine frühe Einschätzung über den weiteren Therapieverlauf.“ Ärzte, so Dietz, bekämen so eine gute Möglichkeit, bei möglichst vielen Patienten den Kehlkopf zu erhalten.
Die Hinzunahme von Cetuximab scheint das Ergebnis des Therapieschemas weiter zu verbessern: Bei den Patienten in der Gruppe ohne den Antikörper betrug die Gesamtüberlebensrate nach einem halben Jahr 87,2 Prozent, bei den Patienten in der Gruppe mit dem Antikörper dagegen 95,5 Prozent. „Wir hoffen, dass dieser Vorteil auch nach zwei Jahren vorhanden ist“, sagt Dietz. Andere Experten beurteilen die neue Vorgehensweise vorsichtig optimistisch: „Offensichtlich reicht ein Zyklus aus, um das Ansprechen der Chemotherapie beurteilen zu können“, sagt Professor Volker Budach, Direktor der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am Campus Virchow der Berliner Charité. „Allerdings nahmen an der Studie bloß relativ wenige Patienten teil und die bisherigen Nachbeobachtungszeiten sind noch sehr kurz, so dass man zu den Ergebnissen hinsichtlich der Überlebensraten nicht wirklich Stellung beziehen kann. Bislang, so Budach, gebe die Studie nur einen vorläufigen Anhaltspunkt, endgültige Schlussfolgerungen sollte man daher erst nach einem deutlich längeren Zeitraum ziehen.