Wer zu wenig Ballaststoffe zu sich nimmt, riskiert eine Lebensmittelallergie. Warum Bakterien dadurch leichtes Spiel haben und wieso das deutsche Frühstücksei in Gefahr ist, lest ihr hier.
Das Frühstücksei – viereinhalb Minuten nach Gefühl gekocht – gehört in vielen deutschen Haushalten nach wie vor zum sonntäglichen Pflichtprogramm. Doch immer mehr Menschen sind gezwungen, auf diese Tradition zu verzichten, denn Hühnereiweiß gehört zu den Substanzen, gegen die eine zunehmende Anzahl der westlichen Bevölkerung Allergien entwickelt. Und nicht immer sind diese auf genetische Ursachen zurückzuführen. Schon lange fragen sich also Ärzte und Forscher: Was löst diese Allergien aus? Und kann man sie verhindern?
Bei Nahrungsmittelallergien ist es naheliegend, dafür den Gastrointestinaltrakt ins Visier zu nehmen. Eine Forschergruppe des Luxembourg Institute of Health hat sich in einer neuen Studie auf die Darmschleimhaut und die darüberliegende Schleimschicht konzentriert, da es bereits Hinweise gibt, dass eine beschädigte Schleimschicht zu Allergien führen kann. Gerade die Ernährungsgewohnheiten der westlichen Welt können zu einer geschädigten, durchlässigeren Schleimschicht führen, denn oft werden nicht genug Ballaststoffe aufgenommen. Diese sind aber die Nahrungsgrundlage für verschiedene Bakterienkolonien, welche die Schleimschicht intakt halten. Könnten Allergien also durch eine ballaststoffarme Ernährung ausgelöst werden?
Um diese Frage zu beantworten, fütterten die Forscher eine Gruppe Mäuse für 40 Tage mit ballaststoffreicher Nahrung (BR-Mäuse) und eine weitere Gruppe Mäuse mit ballaststofffreiem Futter (BF-Mäuse). Anschließend verglichen sie den Zustand der Schleimschicht. Es zeigte sich, dass bei den BF-Mäusen die Schleimproduktion zwar nicht reduziert war, sie aber dennoch eine etwa zweifach dünnere Schleimschicht hatten. Damit einhergehend war auch die Durchlässigkeit der Schleimschicht erhöht. Zusätzlich waren bei den BF-Mäusen die Transkriptionslevel von entzündungsfördernden Zytokinen erhöht und es fand sich eine erhöhte Aktivität des sekundären Immunsystems im Darm.
Als nächstes wollten die Forscher wissen, ob sich diese Veränderungen auch auf die Allergisierung auswirkt. Dafür verfütterten sie Ovalbumin (Hühnereiweiß) und Erdnüsse an die Mäuse. Die BF-Mäuse zeigten bei beiden Substanzen eine stärkere Immunreaktion, was die These bestärkt, dass eine beschädigte Schleimschicht zu einer stärkeren allergischen Reaktion führen kann.
Nun wollten die Forscher wissen, wieso genau die Schleimschicht so viel dünner in den BF-Mäusen war, wenn doch die Schleimproduktion nicht reduziert zu sein schien. Die naheliegende Antwort ist, dass der Schleim verstärkt abgebaut wird. Und die Forscher hatten auch schon einen Verdacht, wer für diesen Abbau verantwortlich sein könnte: Das Bakterium Akkermansia muciniphila, denn es ernährt sich von dem Schleim. In einem gesunden Darm-Mikrobiom ist A. muciniphila äußerst hilfreich, denn der Schleim wird konstant neu produziert und das Bakterium sorgt dafür, dass die Schleimschicht nicht zu dick wird und dadurch die Absorption der Nährstoffe behindert. Es wird sogar aktuell als möglicher Probiont für Menschen diskutiert, die eine zu geringe Durchlässigkeit der Schleimschicht haben. Wenn das Gleichgewicht des Darm-Mikrobioms aber wankt, kann der Schleimverzehr von A. muciniphila die Schleimschicht jedoch beschädigen.
Und genau das schien bei den BF-Mäusen passiert zu sein. Zahlreiche Bakterienkolonien, die sich von Ballaststoffen ernähren, starben ab und Bakterien, die nicht auf Ballaststoffe angewiesen waren – wie A. muciniphila – breiten sich übermäßig aus. Als Folge wird mehr Schleim von A. muciniphila abgebaut, als der Darm neu produzieren kann. Die Schleimschicht wird dünn und löchrig, es kommt zu einer Entzündungsreaktion in der Darmschleimhaut. Das erklärt auch, warum bei den BF-Mäusen höhere Level an entzündungsfördernden Zytokinen und Immunzellen gefunden wurden. Das Immunsystem im Darm ist in Alarmbereitschaft – und wenn dann ein potentielles Allergen auftaucht, ist es sofort zur Stelle. Es kommt zu einer starken Allergiereaktion.
Hypothese der Forscher, wie eine ballaststofffreie Ernährung zu stäkeren Allergiereaktionen führt.Credit: DocCheck, erstellt mit BioRender.com
Im Darm gibt es natürlich viele Bakterien, die sich nicht von Ballaststoffen ernähren. Um zu überprüfen, ob der entscheidende Faktor bei der Allergisierung wirklich A. muciniphila ist, nutzten die Forscher bestimmte Mäuse, die einmal mit und einmal ohne A. muciniphila kolonisiert waren. BR-Mäuse zeigten eine geringe bis moderate allergische Reaktion, unabhängig davon, ob sie mit A. muciniphila kolonisiert waren. Bei BF-Mäusen zeigte sich aber ein deutlicher Unterschied: BF-Mäuse ohne A. muciniphila hatten eine geringere allergische Reaktion als BF-Mäuse mit dem Bakterium. Das zeige nicht nur, dass A. muciniphila die Stärke der Allergisierung beeinflusst, sondern beantworte noch eine weitere wichtige Frage, so die Autoren. Es war bereits bekannt, dass sich das Mikrobiom bei einer Allergisierung verändert, aber es war nicht sicher, ob diese Veränderung vor oder nach dem Kontakt mit der allergieerregenden Substanz geschieht. Nun konnten die Forscher zeigen, dass eine veränderte Darmflora vor dem Kontakt die Allergiesierung beeinflusst.
Die Forscher beobachteten aber auch, dass sich das Darm-Mikrobiom nach der Allergisierung ebenfalls verändert: Bei BR-Mäusen konnte A. muciniphila nach der allergischen Reaktion nicht mehr im Stuhl nachgewiesen werden. Bei BF-Mäusen sanken die Level von A. muciniphila im Stuhl ebenfalls, allerdings verschwand das Bakterium nicht vollständig. Das zeigt, dass sich die Darmflora und allergische Substanzen gegenseitig beeinflussen.
Interessanterweise waren die Titer von IgG und IgE bei BR-Mäusen höher als bei BF-Mäusen. Vor allem IgE spielt eine wichtige Rolle bei allergischen Reaktionen, indem es an die Allergene bindet und weitere Immunzellen rekrutiert. Da die durch A. muciniphila verursachte Entzündung der Darmschleimhaut aber bereits für eine erhöhte Präsenz an Immunzellen im Darm gesorgt hat, waren die ursprünglichen IgE-Level offenbar nicht entscheidend für die Stärke der Allergisierung. Die Forscher schlussfolgern weiter, dass nicht der Schleimabbau per se für die heftigere allergische Reaktion verantwortlich ist, sondern die daraus folgende Entzündungsreaktion – also die erhöhten Titer der entzündungsfördernden Zytokine und Immunzellen. Dies würde auch zu der Beobachtung passen, dass Menschen mit Reizdarmsyndrom eine höhere Prävalenz an Lebensmittelallergien aufweisen.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney