Jeder Hausarzt hat mit neuropathischen Schmerzen zu tun – aber viele übersehen sie. Wie erkennt man Nervenschmerzen und wie werden sie behandelt?
Neuropathischer Schmerz ist einfach anders und lässt sich nicht mit physiologischem Schmerzempfinden vergleichen – seien es Brennschmerzen, Schmerzattacken, thermische Überempfindlichkeit, Taubheitsgefühle oder Berührungsschmerzen. „Wenn Sie diese Symptome bemerken, muss das diagnostische Pendel jedenfalls in Richtung neuropathische Schmerzen schwingen“, sagt Prof. Ralf Baron, Neurologe und Leiter der Sektion Neurologische Schmerzforschung und –therapie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel am DGN 2023.
Neuropathische Schmerzen sind aber nicht nur für Neurologen relevant, auch Hausärzte haben immer wieder mit Patienten zu tun, die unter diesen Schmerzen leiden – nur werden sie oft nicht als solche wahrgenommen oder diagnostiziert. Die diabetische Neuropathie der peripheren Nerven (DPN) zählt beispielsweise mit zu den häufigsten Folgeerkrankungen bei Diabetes mellitus und 25–50 % der Patienten entwickeln im Krankheitsverlauf neuropathische Schmerzen.
„Fragen Sie bitte Ihre Patienten explizit nach neuropathischen Schmerzen“, sagt Baron. Patienten würden diese nämlich oft von selbst nicht ansprechen. Hier kann etwa ein eigens dafür konzipierter Fragebogen helfen. Wenn der neuropathische Schmerz als solcher diagnostiziert wurde, sollte der Patient unbedingt dahingehend aufgeklärt werden. „Diese Aufklärung ist sehr wichtig. Man muss dem Patienten klar machen, dass diese Art von Schmerz sich anders anfühlt und anders behandelt wird“, sagt Baron im Gespräch mit DocCheck.
Bei der Medikation sollte darauf hingewiesen werden, dass Wirkstoffe für andere Hauptindikationen auch für neuropathische Schmerzen eingesetzt werden, Antiepileptika oder Antidepressiva beispielsweise. Hier sei es wichtig, die Patienten darauf hinzuweisen, dass mit diesem Medikament jetzt in ihrem Fall spezifisch keine Depression bzw. keine Epilepsie behandelt wird – bevor sie selbst in der Packungsbeilage nachlesen und dann verwirrt sind. „Sie können ihren Patienten beispielsweise sagen: Wir haben da eine Synapse im Schmerzsystem, die nutzt die gleiche Trägersubstanz, deswegen verwenden wir dieses Medikament.“
Neuropathische Schmerzen können auch chronisch werden, jedoch chronifizieren deutlich weniger Schmerzen durch Nervenverletzungen, als man vielleicht vermuten mag. „Nur 15 % aller Nervenverletzungen chronifizieren oder werden schmerzhaft. Deswegen ist es eigentlich viel spannender, zu fragen, wann neuropathischer Schmerz nicht chronifiziert“, sagt Baron. Bisher weiß man, dass genetische Faktoren die Chronifizierung fördern können. Ebenfalls relevant seien aber psychische Faktoren, so Baron. „Ein Patient, der zum Katastrophisieren neigt, neigt auch zum Chronifizieren.“
Doch noch ein weiterer Faktor könnte einen Einfluss auf die Chronifizierung neuropathischer Schmerzen haben: Killerzellen. Eine Studie aus Barons Abteilung konnte – auch außerhalb von Tiermodellversuchen – eine negative Korrelation zwischen der Häufigkeit natürlicher Killerzellen und der mechanischen Schmerzsensitivität feststellen. „Unsere Studie zeigt, dass eine hohe Frequenz natürlicher Killerzellen im Liquor mit einer reduzierten zentralen Sensibilisierung bei neuropathischen Schmerzerkrankungen einhergeht. Natürliche Killerzellen scheinen eine einzigartige Aufgabe im Sinne einer protektiven Funktion innerhalb der neuroinflammatorischen Kaskade zu besitzen“, so die Studienautoren.
Aktuell werden neuropathische Schmerzen symptomatisch behandelt. Auch die „neuropathischen“ Schmerzmedikamente, also Antidepressiva und Antiepileptika, wirken symptomatisch. Baron wünscht sich aus den aktuellen Forschungen resultierend allerdings eine kausale Behandlung. „Es ist sehr interessant, dass wir Substanzen wie Capsaicin haben, bei dem mehrere Arbeitsgruppen zeigen konnten, dass eine Applikation zunächst zu einer Defunktionalisierung führt – also, dass sich die Nervenfasern zurückziehen. Aber die Schmerzfasern sind bereits zwei Wochen nach der Behandlung funktionell besser und häufiger vorhanden als vorher. Und wenn man das ganze repetitiv appliziert, wird es immer besser“, erklärt Baron.
Capsaicin hat außerhalb der Pflasterbehandlung muskulärer Verspannungen in der Orthopädie bisher medizinisch nur geringe Relevanz. Die Ergebnisse der präklinischen Capsaicin-Studien sind vor allem deswegen spannend, weil sie darauf hinweisen, dass es möglich sein könnte, periphere Nerven therapeutisch zu regenerieren. Da neuropathischer Schmerz die Folge von Nervenschädigungen ist, wäre das dann eine echte Kausaltherapie. „Das ist natürlich alles noch im experimentellen Stadium, aber es ist jedenfalls ein vielversprechender Ansatz“, so Baron.
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