Der passende Zeitpunkt für die Familienplanung ist nicht einfach zu finden. Nach Ausbildung oder Studium kommt die Karriere. Erst dann kann es losgehen. „Social Freezing“ soll Abhilfe schaffen: Eizellen entnehmen, einfrieren und bei Bedarf auftauen und einpflanzen.
Die Möglichkeit, Eizellen einzufrieren, existiert schon seit längerer Zeit. Das Verfahren war aber noch nicht ausgereift. Die Kristallbildung in den Eizellen führte bis dato zu Schäden in der Zellmembran. Das Verfahren der Kryokonservierung ist jetzt weiterentwickelt und führt eine Schockfrostung durch. Ursprünglich war die Methode dafür bestimmt, vor einer Chemotherapie oder Operationen Eizellen zu sichern, um diese später zu verwenden.
Die Frauen werden über einen Zeitraum von etwa zehn Tagen mit Hormonen stimuliert. Die Bildung von Eibläschen wird stimuliert, die über die Scheide abgesaugt werden. Die Eizellen werden dann unter Narkose entnommen und diese „Fertilitätsreserve“ bei minus 196 Grad in flüssigem Stickstoff tiefgefroren und eingelagert. Bei Bedarf können die Eizellen aufgetaut und mit den Spermien des Partners befruchtet werden. Anschließend werden sie als Embryonen mit Hilfe der ICSI-Methode (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) in die Gebärmutter eingesetzt.
Wenn Frauen beim Einfrieren der Eizellen 35 Jahre oder jünger sind, beträgt die geschätzte Geburtenrate pro Stimulation etwa 40 Prozent. Bei 35 bis 39-Jährigen sind es 30 Prozent und wenn sie es mit 40 bis 44 Jahren durchführen lassen, ungefähr zehn Prozent. Etwa 80 bis 90 Prozent der eingefrorenen Eizellen überleben. Die Kosten für eine Behandlung mit Hormontherapie, Entnahme der Eizellen und künstliche Befruchtung liegen bei 3.000 bis 5.000 Euro. Dazu kommen Lagerungskosten von etwa 300 Euro pro Jahr.
Epigenetische Störungen sind nicht ausgeschlossen. Diese minimalen Veränderungen in der Erbinformation können zu Schädigungen im Gefäßsystem der Kinder führen. Ob ein Risiko besteht, ist bis jetzt unklar. Andererseits ist die Häufigkeit für Chromosomenfehlverteilungen wie Trisomie 21 geringer, da die Eizellen jünger sind. Beide Aspekte müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
Die deutschen Reproduktionsmediziner kämpfen seit vielen Jahren darum, dass ein sinnvolles Reproduktions- oder Fortpflanzungsgesetz in Kraft tritt. Denn es gibt immer noch das deutlich veraltete Embryonen-Schutzgesetz aus dem Jahr 1991. In Israel beispielsweise wird „Social Freezing“ als präventive Medizin eingestuft und ist rechtlich eindeutig geregelt. So gibt es für das Wiedereinsetzen eine Obergrenze von 55 Jahren. Der deutsche Ethikrat hat sich als Gremium zu „Social Freezing“ noch nicht geäußert. Prof. Dr. Christiane Woopen, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, äußerte sich gegenüber dem WDR kritisch: „Für manche Frauen in speziellen Situationen mag Social Freezing eine gute Möglichkeit eröffnen, zu einem späteren Zeitpunkt noch Kinder bekommen zu können. Ich sehe aber auch das große Problem, dass das ohnehin problematische Phasendenken – erst Karriere, dann Kinder, dann wieder Beruf – sich verfestigt und sich Frauen mit Erwartungshaltungen konfrontiert sehen, ihren Kinderwunsch um der Karriere oder anderer Dinge Willen zu verschieben. Wir sollten das Miteinander von Familie und Beruf auf vielfältige Weise fördern, aber nicht soziale Aufgaben durch medizinische Eingriffe umgehen."
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) betrachtet besonders die Altersgrenze für das Einsetzen der Eizellen mit Skepsis: „Wenn die Eizellen jenseits des 45. bis 50. Lebensjahres befruchtet und wieder in die Gebärmutter eingesetzt werden, sinkt die Chance, dass die Schwangerschaft ohne Komplikationen mit der Geburt eines gesunden Kindes endet. Das Risiko für Frühgeburten, niedriges Geburtsgewicht, Schwangerschaftsdiabetes und Bluthochdruck der Mutter steigt – auch ohne künstliche Befruchtung – mit zunehmendem Alter.“ Experten schätzen, dass Frauen durch die Fortschritte in Kryokonservierung und Reproduktionsmedizin etwa zehn bis 15 Jahre geschenkt bekommen.
Bisher ist das „Social Freezing“ unter Medizinern nicht unumstritten. Die Europäische Gesellschaft für menschliche Reproduktion und Embryologie (ESHRE) empfahl bereits 2012, diese Technik anzubieten. Allerdings rät die ESHRE bei Frauen über 38 Jahren wegen geringer Erfolgsaussichten davon ab. Das Beratungsnetzwerk Kinderwunsch in Deutschland (BKID) hat bis jetzt keine einheitliche Bewertung der Technik vorgenommen, betont wird jedoch die Bedeutung umfassender und insbesondere unabhängiger Beratung von interessierten Frauen.
Diese Zentren haben sich in Deutschland im „FertiPROTEKT“-Netzwerk zusammengeschlossen, das allerdings von den Unternehmen Ferring Arzneimittel sowie MSD Sharpe & Dohme unterstützt wird. Hier werden die Behandlungen wissenschaftlich dokumentiert und ausgewertet. Man hofft, durch die Erkenntnisse aus den Auswertungen die Chancen für diese Verfahren in Zukunft verbessern zu können. Das 2006 gegründete Netzwerk umfasst inzwischen mehr als 90 universitäre und private Kinderwunschzentren, auch in Österreich und der Schweiz.
Die Entwicklungen in der Kryokonservierung und der Reporduktionsmedizin spiegeln einen Trend wider, den die amerikanische Zeitschrift „Bloomberg Business“ im April 2014 in einem Artikel zum Thema mit der Überschrift „Freeze your eggs, free your career“ treffend wiedergab: Statt die Kariere auf Eis zu legen, tue man dies nun mit den Eizellen. Mehr fertile Emanzipation gehe nicht. Die „American Society For Reproductive Medicine“ (ASRM), deren Mitglieder mit dieser Methode ja Geld verdienen könnten, warnt vor zu hohen Erwartungen. 1978 wurde heftig diskutiert, als das erste „Retortenbaby“ Louise Joy Brown in England geboren wurde. Der „Vater“ der In-vitro-Fertilisation (IVF), Robert Edwards, bekam 2010 dafür den Nobelpreis für Medizin. Jenseits dieser wissenschaftlichen Fortschritte sind viele medizinische, psychologische, soziologische und ethische Fragen bis heute nicht beantwortet. Aber das gilt für viele Paradigmenwechsel in der Medizin.