Mit der fast No-Carb-Diät wollen Wissenschaftler die polyzystische Nierenerkrankung behandeln. Kann das klappen?
Die polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) ist eine autosomal-dominant vererbbare Nierenerkrankung, bei der es zu bilateraler Zystenbildungen kommt. Sie ist die häufigste genetische Nierenerkrankung weltweit und führt zu einem graduellen Verlust der Nierenfunktion. Darum benötigen etwa 75 % der Betroffenen im Laufe ihres Lebens eine Transplantation. Die Erkrankung ist auf Mutationen in den Genen PKD1 und PKD2 zurückzuführen und geht häufig auch mit einer polyzystischen Lebererkrankung (PLD) einher.
Eine erfolgreiche Behandlungsstrategie gibt es bisher nicht – primär besteht sie aus der Kontrolle des Blutdrucks, einer salzarmen Ernährung und dem Trinken von ausreichend Wasser. Auch der Einsatz vom Vasopressin-Rezeptor-Antagonisten Tolvaptan ist häufig Teil der Therapie, das Medikament hat jedoch auch Nebenwirkungen: Es führt zu Polyurie und ist hepatotoxisch.
Eine aktuelle Studie untersuchte daher die molekularen Besonderheiten der Erkrankung, um eine mögliche Behandlung zu entwickeln. Ein Faktor war für die Wissenschaftler von besonderem Interesse: Das Zysten-Gewebe ist abhängig von Glukose. In Mausmodell-Studien (hier und hier) konnte bereits gezeigt werden, dass eine Kalorienrestriktion zu einem verlangsamten Fortschreiten der Erkrankung führt und auch das Zysten-Gewebe langsamer proliferiert. Diese Erkenntnis nutzen die Forscher und stellten die Hypothese auf, dass eine Ernährung ohne Kohlenhydrate dem Zysten-Gewebe die Nahrungsgrundlage entzieht und damit eine potenzielle Behandlungsoption sein könnte. Hier kommt die Keto-Diät ins Spiel. Diese besteht hauptsächlich aus Fett, Ballaststoffen und Eiweiß, auf Kohlenhydrate wird vollständig verzichtet – bietet also auch keine Nahrung für das Zysten-Gewebe. Dabei achteten die Wissenschaftler allerdings darauf, dass Probanden nicht zu viel Eiweiß zu sich nahmen.
Dazu teilten sie 63 Teilnehmer in eine von drei Gruppen ein: 23 Probanden ernährten sich ketogen (Keto-Diät; KD), die zweite Gruppe mit 22 Probanden führte einmal im Monat ein 3-tägiges Wasserfasten (WF) durch und die Kontrollgruppe mit 21 Teilnehmern ernährte sich gemäß den Ernährungs-Empfehlungen für ADPFK-Patienten. Diesem Ernährungsregime folgten die Probanden drei Monate lang.
Während der Diät wurden regelmäßig Blutwerte kontrolliert und die körperliche Verfassung überwacht. Um die Adhärenz zu überprüfen, nutzten die Wissenschaftler den Biomarker 3-Hydroxybuttersäure (BHB) – eine Hydroxycarbonsäure, die beim Abbau von Fettsäuren in der Leber entstehen, also in der Ketose. Zusätzlich führten Probanden der KD- und WF-Gruppe zweimal täglich eine Aceton-Atemanalyse durch.
Die Wissenschaftler wollten zusätzlich herausfinden, wie durchführbar eine solche Ernährungsumstellung ist und haben alle Teilnehmer der Studie einen Fragebogen ausfüllen lassen, anhand dessen sie die Machbarkeit ermittelten.
Im Vergleich zur Kontroll-Gruppe konnten bei Keto-Probanden erhöhte BHB-Werte gemessen werden (1,25 ±1,25 mmol/L [KD] vs. 0,32 ± 0,8 mmol/L [Kontr.], p=0,001), ein Zeichen dafür, dass die Adhärenz der Probanden hoch war. Die Ergebnisse des Fragebogens bestätigten: Eine solche Diät halten die Probanden für gut durchführbar. Eine Ketogene-Diät ist also alltagstauglich, aber bringt sie auch was bei ADPKD?
Das wollten die Wissenschaftler anhand der Filtrationsrate der Niere ermitteln. Dazu schätzten sie zu Beginn der Studie die glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) anhand des Serumkreatinins, die im Durchschnitt bei 84,01 ± 24.00 mL/min/1,73 m2 lag. Bei einer normalen Progression von ADPKD nimmt die Filtrationsrate der Niere mehr und mehr ab. Diesen Trend beobachteten sie bei Probanden der Kontroll- bzw. Fasten-Gruppe, bei denen die eGFR von Anfang bis Studien-Ende sank (WF: -0,20 % ± 6,82 %, Kontr.: -1,74 % ± 11,7 %). Bei der Keto-Gruppe hingegen konnte ein Anstieg der eGFR verzeichnet werden (5,51 % ± 11,4 %). Die Filtrationsrate konnte also mithilfe der Keto-Diät im Vergleich zur Kontroll-Gruppe signifikant (p = 0.027) gesteigert werden.
Und auch andere Werte waren erfreulich: Obwohl zu Beginn der Studie die Teilnehmer im Durchschnitt einen BMI im Normalbereich (ca. 25) hatten, so konnte insbesondere bei der KD-Gruppe eine signifikante Gewichtsreduktion verzeichnet werden (-7,2 %, p=0,007), hauptsächlich durch den Verlust von Fett-Masse (-20,5 % im Vergleich zu Studien-Beginn, p=0,001 im Vgl. zur Kontr.-Gruppe). Schon der Gewichtsverlust kann positive Auswirkungen auf den Verlauf der Erkrankung haben, jedoch nicht als alleinige treibende Kraft, so die Wissenschaftler.
Eine häufige Nebenwirkung (n=10) der ketogenen-Diät ist die „Keto-Grippe“, dabei kann es zu Grippe-ähnlichen Symptomen wie z. B. Fatigue und Unwohlsein kommen. Ähnlich wie eine normale Grippe verschwinden auch hier die Symptome in der Regel innerhalb weniger Tage. Sie tritt häufig zu Beginn der Ernährungsumstellung auf. Unter den KD-Probanden hatten vier nach der Ernährungsumstellung Hypercholesterinämie, ausgelöst durch die KD. Die Autoren schreiben, dass die Ernährung moderat- bzw. proteinarm war, um hohe Cholesterin-Werte zu vermeiden. Sie argumentieren, dass sich ein erhöhter Cholesterinspiegel bei Ernährungsumstellung nach einiger Zeit wieder normalisiert. Trotzdem wurde bei den KD-Probanden auch eine erhöhte Konzentration von Sphingomyelinen im Blut gemessen, die als Risiko-Faktor für koronararterielle Erkrankungen gelten.
Die Autoren schreiben, dass ihre Ergebnisse trotzdem zuversichtlich machen. Durch eine ketogene Ernährung könnten ADPKD-Erkrankte ihre Nierenfunktion unterstützen und fördern – um das jedoch deutlich bestätigen zu können, wünschen sich die Forscher größere Langzeitstudien. Auch wenn aufgrund dieser Studie noch keine klaren Empfehlungen ausgesprochen werden können, so könnten diese Erkenntnisse in der Ernährungsberatung von ADPKD-Patienten berücksichtigt werden. Prof. Roman-Ulrich Müller, Studienautor und Leiter der Translationalen Nephrologie am CECAD, Universität zu Köln, ist überzeugt: „Das könnte der Auftakt für viele ähnliche Ernährungstherapien sein.“
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