Ärzte sollten mit gutem Beispiel vorangehen – dass das nicht immer klappt, zeigt die aktuelle Grippe-Impfquote. Besonders in Kliniken sieht es zahlenmäßig düster aus. Woran liegt’s?
Corona war – und ist immer noch – das vorherrschende Thema der Infektiologie. Kommen da andere Themen möglicherweise zu kurz? Oft vergessen Menschen mit erhöhtem Risiko für schwere Influenza, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Die Konsequenz: Je nach Saison sterben mehrere hundert bis über 25.000 Menschen (2017/2018) an Influenza-Infektionen – meist vermeidbar. SARS-CoV-2 hat die Impfmüdigkeit aber nicht signifikant zum Besseren verändert, wie das Robert Koch-Institut (RKI) berichtet.
Informationen zur saisonalen Inanspruchnahme von Impfungen kommen aus Abrechnungsdaten kassenärztlicher Vereinigungen und aus Online-Befragungen. Während der Saison 2021/22 haben sich rund 43 Prozent aller Einwohner ab 60 Jahren impfen lassen – mit Schwankung zwischen 27 Prozent und 61 Prozent, je nach Bundesland. Das EU-Ziel, 75 Prozent aller älteren Menschen zu schützen, wurde einmal mehr verfehlt.
Ähnlich düster sieht es bei weiteren Personengruppen aus, die sich laut STIKO-Empfehlung eigentlich Jahr für Jahr gegen Grippe schützen sollten. Nur 35 Prozent aller Erwachsenen mit relevanten Grunderkrankungen hatten ein Vakzin bekommen (Schwankung 22 Prozent bis 53 Prozent). Besonders niedrig war die Impfquote bei Schwangeren. Nur 18 Prozent waren in 2021/22 geschützt. Hier lag die Spanne je nach Bundesland zwischen 13 Prozent und 27 Prozent.
Ärzte sollten mit gutem Beispiel vorangehen, so die Hoffnung. Doch stimmt das wirklich? Zahlen liefert die jährliche Onlinebefragung von Klinikpersonal zur Influenza-Impfung (OKaPII). An der aktuellsten Erhebung im Frühjahr 2023 nahmen 15.312 Mitarbeiter aus 116 Krankenhäusern teil. 58,6 Prozent hatten eine Grippeschutz-Impfung bekommen. Nach Berufsgruppen aufgeschlüsselt galt das für 80,7 Prozent der Ärzte und für 51,1 Prozent der Pflegekräfte.
Wer sich nicht impfen ließ, vertraute laut Befragung auf den Schutz der geimpften Kollegen – oder hatte Bedenken zur Sicherheit der Vakzine. „Es gibt diverse Wissenslücken und Unsicherheiten bei Klinikpersonal in Deutschland, vor allem in Bezug auf die Sicherheit der Influenza-Impfung“, heißt es vom RKI.
Das hat Folgen, wie Forscher aus Würzburg jetzt im Journal of Infection berichten. Ihre Kohorte umfasste rund 1.700 Personen, die alle im Gesundheitswesen arbeiteten. Laut Arbeitsgemeinschaft Influenza am RKI gab es im Untersuchungszeitraum von Woche 43/2022 bis Woche 1/2023 eine von Influenza A (H3N2) dominierte Grippewelle. Das Maximum lag in Woche 50/2022. Forscher haben deshalb Hinweise auf Influenza A gesammelt.
Doch wie gelingt es, Effekte von Impfungen und von Infektionen zu unterscheiden? Dazu entwickelten die Wissenschaftler einen speziellen Assay. Ihre Idee war, dass sich Antigene von zirkulierenden Viren und Impfstoffen unterscheiden. Der Anti-Influenza-A-Nukleoprotein/Matrix-IgG-Titer wird vom Vakzin nicht beeinflusst; er eignet sich als Biomarker für Infektionen mit Influenza A.
Der Assay hat ergeben, dass 20,6 Prozent aller Probanden eine Serokonversion bezüglich Influenza A hatten. Das bedeutet: Jeder fünfte Mitarbeiter hatte sich in der letzten Saison mit Influenza infiziert. Ob dies symptomatisch oder asymptomatisch war, lässt sich aus der Studie nicht ableiten. Je älter die Teilnehmer waren und je mehr Kontakt sie zu Patienten hatten, desto deutlicher war der Anstieg des Titers. Erstautorin Isabell Wagenhäuser vom Uniklinikum Würzburg sieht „ein Risiko für krankenhausinterne Übertragungsketten und nosokomiale Infektionen“. Laut Serologie lag die Impfeffektivität in der Kohorte bei 22,6 Prozent.
Damit bleibt als Frage, wie es gelingen könnte, Mitarbeiter im Gesundheitssystem dazu zu bewegen, sich impfen zu lassen. Das Thema ist nicht ohne Brisanz. Änderungen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) führten ab 16. März 2022 zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht. Personen, die im Gesundheitswesen tätig waren, mussten einen Impf- oder Genesenennachweis vorlegen, um Tätigkeitsverbote zu vermeiden. Nur wurde dies in nahezu keinem Bundesland wirklich konsequent umgesetzt.
Medizinethiker bringen alternativ Bonussysteme ins Gespräch, beispielsweise mehr Urlaub oder eine Geldprämie für Impfwillige. Doch damit ist in Deutschland wohl kaum zu rechnen.
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