In den USA sterben mehr Einwohner durch Opioid-Vergiftungen als durch Verkehrsunfälle oder durch Mord. Im Fokus stehen vor allem hochpotente Designerdrogen wie Fentanyl oder Fentanyl-Derivate. Die Behörden reagieren mit Verboten. Bringt das was?
Durch hochpotente Designerdrogen sterben weltweit immer mehr Menschen. Das berichtet die amerikanische Drug Enforcement Administration (DEA), eine Aufsichtsbehörde, die gegen illegale Betäubungsmittel vorgeht. Sie beobachtet einen grundlegenden Wandel: Der Prozentsatz synthetischer Opioide wie Fentanyl inklusive möglicher Derivate gewinnt stark an Bedeutung, was mehrere Gründe hat. Fentanyl wirkt etwa 120 Mal stärker als Morphin. Geringere Mengen lassen sich leichter und risikoloser transportieren. DEA-Experten zufolge kommt der Großteil über den Post- oder Expressversand in die USA. Zuletzt beschlagnahmten Ermittler 64 Kilogramm der Reinsubstanz in New York. Rein rechnerisch könnte man damit mehrere Millionen Menschen töten. Die letale Dosis (LD50) bei Ratten beträgt 3,1 mg/kg Körpergewicht. Beim Menschen führen schon deutlich niedrigere Dosen zu Atemdepression bis hin zum Tod durch Atemstillstand.
Auch in den USA unterliegt Fentanyl strengen gesetzlichen Regelungen. Synthetische Drogenlabors tricksen, indem sie sogenannte Derivate herstellen. Sie verändern strukturelle Merkmale und haben plötzlich eine Substanz mit anderen Eigenschaften vor sich. Ihr verändertes Molekül unterliegt nicht mehr dem Controlled Substances Act (CSA), und Staatsanwälte haben Probleme. Ausgewählte Abkömmlinge des Fentanyls © Jolanta B. Zawilska, Medical University of Lodz Wie chemische Modifikationen funktionieren, lässt sich gut am Fentanyl-Derivat Carfentanyl zeigen. Das gut untersuchte Molekül hat je nach Messmethode die 2.200- bis 25.000-fache Potenz von Morphin. Es kommt nur in der Veterinärmedizin zum Einsatz, um große Wildtiere zu betäuben, hat aber in der Humanmedizin keine Bedeutung. Schon ab ein bis zwei Mikrogramm Carfentanyl beginnen beim Menschen Effekte wie Analgesie und Sedierung.
DEA-Experten sehen deshalb zwei große Problembereiche: Fentanyl-Derivate könnten den Drogenmarkt noch stärker als bislang in Aufruhr versetzen. Schon jetzt führen Experten von 64.000 Todesfällen durch Drogen-Überdosierungen im vergangenen Jahr 20.000 auf pures oder mit anderen Drogen versetztes Fentanyl zurück. Diese Zahlen könnten sich durch wirkungsvollere Derivate weiter erhöhen. Abkömmlinge des Fentanyls eignen sich auch als chemische Waffen. Labors aus China kontrollieren nicht, wer die Substanzen bestellt. Vielleicht reichen schon Spuren an einer Türklinke oder am Einkaufswagen aus, um Menschen zu töten. In geschlossenen Räumen werden Aerosole ebenfalls zur Gefahr. Ein Polizist in East Liverpool, Ohio, vergiftete sich, weil er mit Spuren der Substanz in Kontakt kam. Deshalb raten die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) Einsatzkräften, nur mit Schutzkleidung auszurücken, sollte möglicherweise Fentanyl vor Ort sein.
Jetzt plant die DEA, alle Fentanyl-ähmlichen Substanzen zu verbieten, um die Strafverfolgung zu erleichtern. Reines Fentanyl als ärztliche Verordnung ist davon nicht betroffen. Ob die Maßnahme viel Sinn macht, ist fraglich. US-Medienberichten zufolge haben selbst Drogenkartelle die Notbremse gezogen. Synthetische Drogen sind zwar billig herzustellen. Allerdings verderben Todesfälle und die damit verbundene Aufmerksamkeit das Geschäft. Deshalb gelangt Fentanyl angeblich eher in verdünnter Form auf den Markt.