Ausdauersport lässt die Fettreserven schmelzen – ein idealer Weg zum Abnehmen. Warum aber Marathonläufer möglicherweise nicht nur Hüft-, sondern auch Hirnspeck verlieren, lest ihr hier.
Wer regelmäßig Sport betreibt, weiß, dass der Hunger nach dem Sport häufig größer ist als sonst. Das ist nicht verwunderlich, denn der Energiebedarf steigt bei körperlicher Aktivität an. Insbesondere beim Ausdauersport reicht der Energieriegel vor dem Training nicht immer aus, um den Bedarf des Körpers zu decken. Kommt es dann zu einem Defizit, können Reserven des Körpers mobilisiert werden, um dieses auszugleichen. Doch das geht irgendwann an die Substanz.
Die Energie wird nicht nur von Muskeln benötigt, sondern auch vom Gehirn, Neuronen oder z. B. Gliazellen. Unter Bedingungen mit erhöhtem Energiebedarf greifen diese jedoch möglicherweise auch auf andere Quellen zurück, wie die aktuelle Studienlage zeigt. So könnten Gliazellen zum Ausgleich z. B. Myelin-Lipide verwenden. Doch ist das wirklich so?
Wird eine körperlich anstrengende Aktivität über einen längeren Zeitraum ausgeführt, werden körperweit Reserven mobilisiert. Dazu werden zunächst die Glykogenspeicher der Leber geleert. Das dort gelagerte Glykogen wird durch die Glykolyse zu einzelnen Glukosemolekülen aufgespalten, die dem Körper schnell zur Verfügung stehen. Reicht das jedoch nicht aus, sind die Speicher nicht voll genug oder ist die Aktivität zu kräftezehrend, so bedient sich der Körper einer anderen Quelle – den Fetten. Dazu werden Triglyceride aus dem Fettgewebe zu Fettsäuren aufgespalten – mithilfe der Beta-Oxidation ist so neue Energie verfügbar. Wenn auch das nicht mehr reicht, wird Muskelprotein via Gluconeogenese zur Energiegewinnung genutzt.
Es gibt also ein breites Spektrum an Reserven. Eine aktuelle Studie untersuchte jetzt, ob neben den bekannten Energielieferanten bei starker körperlicher Anstrengung auch Myelin-Lipide genutzt werden. Dazu wurden Marathonläufer vor und nach einem Marathon mithilfe eines MRTs untersucht, wobei Myelin genauer in den Blick genommen wurde.
Dazu zunächst eine kleine Wiederholung aus der Biologie: Myelin umgibt die Axone des zentralen und peripheren Nervensystems. Auch im Gehirn, insbesondere der weißen Substanz findet man Myelin. Es dient der Isolation der Axone für eine schnelle Übertragung von Signalen, da es die saltatorische Erregungsleitung ermöglicht. Myelin besteht zu etwa 70 % aus Fetten und zu etwa 30 % aus Proteinen, die die mehrschichtige Struktur stabilisieren. Zwischen den einzelnen Schichten lagern sich Wassermoleküle ab.
Um den Grad der Myelinisierung zu messen, können diese Wassereinlagerungen visualisiert werden und dienen somit als Biomarker. Den Marker nennt man auch MWF (Myelin Water Fractions), er kann mithilfe der MRT dargestellt werden. Schon kleine Veränderungen in der Myelinisierung sind dank des Wassers in den Myelinscheiden so erkennbar.
Diese Methode machten sich die Wissenschaftler der Studie zu Nutze. Vier Marathonläufer wurden 48 Stunden vor Antritt des Laufs im MRT untersucht. Ihre Myelinisierungsmuster waren – abgesehen von natürlichen individuellen Variationen – sehr ähnlich. Nach dem Marathon wurden die Läufer innerhalb von 24–48 Stunden erneut untersucht.
Dabei beobachteten die Studienautoren eine signifikante Reduktion von MWF in der weißen und grauen Substanz aller Probanden. Diese Reduktion war abhängig von der Hirnregion, die weiße Substanz war aber bei 23 von 50 Hirn-Arealen betroffen, die graue Substanz bei 12 von 56 Arealen. Die Reduktion der MWF betrug bis zu 28 % in der grauen und 42 % in der weißen Substanz. Die Beobachtungen waren für beide Gehirnhälften etwa gleich, die Reduktion betraf also beide Hemisphären.
Koronale Schnitte von MWF-Karten (Mittelwert aller Individuen) vor, nach der Belastung und nach zwei Wochen der Erholung, gezeigt sind Bereiche mit MWF-Werten von mehr als 0,075 (Credit: Pedro Ramos-Cabrer et al. [2023])
Dies könnten Hinweise dafür sein, dass der Körper auf Myelin-Lipide zurückgreift, wenn Nährstoffe für das Gehirn limitiert sind. Diesen Vorgang benannten die Autoren als Metabolic Myelin Plasticity. Sie argumentieren, dass es sich hierbei um eine spezielle Form der bereits bekannten Myelin-Plastizität handelt und wahrscheinlich dem Erhalt von Gehirnfunktionen auf Kosten der schnellen Signalübertragung dient.
Besonders interessant: Bei einem Follow-Up nach zwei Wochen waren die Myelin-Muster fast wieder gleich mit den Startbedingungen. Nun wird ja aber – einfach gesprochen – das Wasser in den Myelinstrukturen gemessen. Kann es nicht sein, dass die Beobachtungen eher das Resultat einer Dehydrierung der Läufer waren und zwei Wochen nach dem Lauf alles einfach wieder rehydriert ist? Die Autoren bezweifeln das. Zum einen argumentieren sie, dass die zweite Messung mindesten 24 Stunden nach dem Lauf stattfand, die Läufer also ausreichend Zeit hatten, um ihre Wasserspeicher wieder aufzufüllen. Darüber hinaus haben sie keine Reduktion des Gesamtvolumens des Gehirns feststellen können. Laut der Autoren würde das jedoch mit einer Dehydrierung einhergehen.
Wenn das Hirn sich wieder erholt, ist doch alles super? Nicht ganz. Insbesondere bei Menschen mit einer Prädisposition für neurodegenerative Erkrankungen könnte der Vorgang möglicherweise einen Ausbruch begünstigen oder ihre Erkrankung beschleunigen. Außerdem kann zum jetzigen Zeitpunkt keine weitere Aussage zu den möglichen Auswirkungen getroffen werden. Die Zahl der Probanden in der Studie ist außerdem sehr klein, weshalb eine größer angelegte Studie sinnvoll wäre, um präzisere Aussagen treffen zu können.
Die Forscher wollen in Zukunft näher untersuchen, ob die Reduktion des Myelins die Hirnfunktion beeinträchtigt und wenn ja, wie lange diese Beeinträchtigung anhält bzw. wann die normale Hirnfunktion wiederhergestellt ist. Festzuhalten ist jedoch, dass körperliche Aktivität gut für die Gesundheit ist, allerdings zehrt exzessives Ausdauertraining an allen körperlichen Reserven – mit noch unbekannten Auswirkungen.
Bildquelle: Miguel A Amutio, Unsplash