Persönlich gestärkt oder für immer gebrochen nach dem Tod eines Familienmitglieds, einer Scheidung oder einer Kündigung? Wie Menschen mit belastenden Lebensereignissen umgehen, hängt offenbar zum Großteil von ihrer genetischen Ausstattung ab.
Belastende Lebensereignisse gehören zum Leben und lassen sich in den wenigsten Fällen vermeiden. Doch warum gelingt es manchen Menschen, Kraft aus solchen Lebenskrisen zu ziehen, während andere daran zerbrechen? Lässt sich beeinflussen, zu welcher Gruppe wir zählen? Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien sind diesen Fragen in einer Studie nachgegangen. Sie konnten zeigen, dass die genetische Grundausstattung eines Menschen offenbar mehr Einfluss auf seine Stressresistenz hat als bisher vermutet wurde.
Zentraler Ort der Stressverarbeitung im Gehirn ist der Hippocampus, dessen Volumen sich variiert je nach Stressbelastung und Stressart: Nimmt der Körper Stress als stark belastend oder gar bedrohlich wahr – also sogenannten Distress – verliert der Hippocampus an Volumen. „Ein solcher Volumenverlust tritt beispielsweise nach einem traumatischen Ereignis wie einer Entführung oder einer Vergewaltigung auf“, so Studienleiter Dr. Lukas Pezawas von der Medizinischen Universität Wien. Auch bei depressiven Patienten tritt dieses Phänomen auf und ist für einen Teil der klinischen Symptome verantwortlich. Bei positiv empfundenen Stress – sogenanntem Eustress – der zum Beispiel bei emotional anregenden sozialen Situationen auftritt, kann das Volumen der zentralen Schaltstation in der Emotionsverarbeitung zunehmen.
Die drei Genvarianten COMT Val158Met, BDNF Val66Met und 5-HTTLPR wurden bereits mit der Größe des Hippocampus in Verbindung gebracht. Sie sollen den Stoffwechsel von Serotonin, Dopamin sowie eines Neurotrophins beeinflussen. Bei allen Varianten handelt es sich um Polymorphismen, also je eine von mehreren möglichen Genvarianten, die beim Menschen vorkommen können.
In der aktuellen Studie gingen Wissenschaftler der Frage nach, ob Umweltfaktoren, Risikogene oder das Wechselwirken beider Faktoren für eine Größenveränderung des Hippocampus verantwortlich sind. Dazu untersuchten sie 153 gesunde Probanden im Alter zwischen 18 und 45 Jahren, die von der Medizinischen Universität Wien und der Technischen Universität Dresden rekrutiert wurden. Alle Teilnehmer waren Rechtshänder und deutsche Muttersprachler. Probanden mit aktuellen oder zurückliegenden psychiatrischen Diagnosen außer Nikotinabhängigkeit waren von der Studienteilnahme ausgeschlossen.
Mit Hilfe eines Fragebogens erfassten die Wissenschaftler die Anzahl der belastenden Lebensereignisse wie etwa Todesfälle in der Familie, Scheidungen, Jobverlust, finanzielle Verluste, Ortswechsel, schwere Erkrankungen oder Unfälle, die Probanden im Laufe ihres Lebens erfahren hatten. „Wir haben die Summe aller belastenden Lebensereignisse einer Person in Relation zu ihrem Alter gesetzt. Das Ergebnis lässt sich in Stress pro Lebensjahr zusammenfassen“, erklärt Pezawas. Darüber hinaus wurde eine hochauflösende anatomische Magnetresonanztomographie und Genanalysen von COMT Val158Met, BDNF Val66Met und 5-HTTLPR durchgeführt. Zudem bestimmten die Wissenschaftler das Hippocampusvolumen mittels computergestützter Verfahren. Die gesammelten Daten aus Bildgebung und Genanalytik wurden analytisch in Beziehung gebracht.
„Personen mit den drei als depressionsfördernd geltenden Genvarianten besaßen bei einer ähnlichen Anzahl an belastenden Lebensereignissen einen kleineren Hippocampus als jene mit weniger oder keiner dieser Genvarianten“, beschreibt Pezawas das Resultat. In diesem Fall wurde das Ereignis vom Körper als Distress wahrgenommen. Menschen mit nur einem oder gar keinem dieser Risikogene verfügten hingegen bei ähnlichen Lebensereignissen über einen vergrößerten Hippocampus. „Unsere Studie hat gezeigt, dass weder die Gene, noch die Umweltfaktoren alleine das Volumen des Hippocampus beeinflussen, sondern ausschließlich die Wechselwirkung aus beiden Faktoren, also die Kombination aus bestimmten Allelen und Lebensereignissen“, so Pezawas. Wie lange ein Lebensereignis auf den Hippocampus einwirkt, könne die Studie nicht beantworten. „Es sieht aber so aus, als wären die Effekte bleibend“, berichtet der Arzt. Denn der Großteil der von seinem Studienteam erfassten belastenden Lebensereignisse lag bereits lange zurück.
Mit welchen Polymorphismen ein Mensch ausgestattet ist, ist offenbar maßgeblich dafür, wie er mit belastenden Lebenssituationen umgeht. „Mit einer protektiven Genausstattung sehen wir eine Kündigung als Chance, umzusatteln, eine Trennung als Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen“, erklärt der Studienleiter. Doch bedeutet das, seinen Genen machtlos ausgeliefert zu sein? Dr. Pezawas erklärt: „Wie wir mit solchen Situationen umgehen, liegt trotzdem in unserer Hand, aber wie erfolgreich wir damit sind, hängt von unserer genetischen Ausstattung ab.“ Ob auch epigenetische Faktoren dabei eine Rolle spielen, sollen künftige Studien klären.