Ärzte in China haben eine ungewöhnliche Entdeckung gemacht: Nach dem Ende der Corona-Beschränkungen gab es einen auffälligen Anstieg der fetalen Fälle mit Situs inversus. Ist das Virus schuld?
Bei Betroffenen mit Situs inversus sind die Organe im Brust- und Bauchraum spiegelbildlich zu ihrer normalen Position angeordnet. Diese Anomalie ist relativ selten und die Ursache unklar. In China gab es Mitte 2023 einen ungewöhnlichen Anstieg dieser Fälle – Mediziner spekulieren, dass SARS-CoV-2 daran beteiligt gewesen sein könnte. Zurecht?
In dem kleinen Report, der im NEJM erschienen ist, haben Ärzte aus zwei chinesischen Geburtskliniken ihre klinischen Aufzeichnungen von Januar 2014 bis Juli 2023 analysiert. Dabei konzentrierten sie sich auf die Ultraschalluntersuchungen von Schwangeren. Wie sich herausstellte, lag die jährliche Gesamtzahl der Situs-inversus-Fälle von 2014 bis 2022 in der Regel bei fünf bis sechs pro 10.000 Ultraschalluntersuchungen von Schwangeren. Im Jahr 2023 stieg die Rate allerdings sprunghaft auf fast 24 Fälle pro 10.000 Ultraschalluntersuchungen an – sie haben sich also fast vervierfacht. Insgesamt gab es zwischen Januar und Juli 2023 bei 23.746 Schwangeren, die sich einer Ultraschalluntersuchung unterzogen, 56 Fälle von Situs inversus. Beim genauen Blick auf das Jahr 2023 fällt auf, dass insbesondere in den Monaten April, Mai und Juni mehr Fälle als gewöhnlich auftraten, bevor die Zahl im Juli wieder ein normales Niveau erreichte.Abbildung A zeigt die Inzidenz des fetalen Situs inversus, der von Januar 2014 bis Juli 2023 in zwei geburtshilflichen Zentren diagnostiziert wurde. Abbildung B zeigt die Anzahl der fetalen Situs inversus-Fälle, die von Januar 2023 bis Juli 2023 diagnostiziert wurden.
Die Ultraschalluntersuchungen wurden dabei zwischen der 20 und 24 Schwangerschaftswoche durchgeführt. Die Autoren merken an, dass es keine Veränderungen in den Diagnosekriterien gab, die den „auffälligen Anstieg“ erklären könnten. Sie spekulieren, dass die Häufung mit dem rasanten Anstieg an SARS-CoV-2-Infektionen zusammenhängen könnte. Ende 2022 hat China seine strenge Null-Covid-Strategie beendet und abrupt alle Beschränkungen aufgehoben. Die anschließende Corona-Welle hat zu Beginn des Jahres 2023 ihren Höhepunkt erreicht und Schätzungen zufolge über 80 % der chinesischen Bevölkerung infiziert.
Rund vier Monate nach dem Peak der COVID-19-Fälle nahmen die Situs-Inversus-Fälle zu – möglicherweise über eine direkte Infektion des Virus oder über mütterliche Immunantworten. Das ist allerdings höchst spekulativ. In dem Report finden sich keine Informationen dazu, ob die Schwangeren mit SARS-CoV-2 infiziert waren oder nicht. Gegen einen Zusammenhang spricht auch, dass während anderer Corona-Wellen kein Anstieg beobachtet werden konnte, etwa zu Beginn der Pandemie Ende 2019. Die Autoren räumen daher auch selbst ein, dass ihr Bericht „keine Schlussfolgerung“ über die Ursache zulässt. Dennoch fordern sie weitere Untersuchungen zur Aufklärung und ob SARS-CoV-2 möglicherweise eine Rolle gespielt hat.
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