Tiefe Hirnregionen spielen für viele Bereiche eine wichtige Rolle, wie beim motorischen Lernen oder auch der Parkinson-Erkrankung. Aufgrund ihrer Lokalisation sind Behandlungen aber oft schwierig. Das könnte sich nun ändern.
Unser Gehirn ist ein äußerst komplexes Organ mit rund 86 Milliarden Nervenzellen, die über ein Netzwerk von mehr als einer Trilliarde Synapsen miteinander kommunizieren und so Signale weitergeben, damit wir fühlen, denken, handeln und uns bewegen können. Die Steuerung dieser Funktionen kann jedoch durch neurologische oder psychiatrische Erkrankungen wie der Parkinson-Erkrankung, nach einem Schlaganfall oder bei einer Depression beeinträchtigt werden. Einen vielversprechenden Ansatz in der Erforschung und Behandlung dieser Funktionsstörungen bietet die nicht-invasive Hirnstimulation (NIBS für non-invasive brain stimulation), bei der mit sanften elektrischen oder magnetischen Impulsen bestimmte Bereiche des Gehirns aktiviert oder gehemmt werden können.
„Allerdings war es bisher nicht möglich, mittels herkömmlicher NIBS-Techniken tiefe Hirnregionen zielgenau zu stimulieren ohne darüber gelegene Hirnbereiche mit zu erfassen“, berichtet Dr. Maximilian Wessel. Der Clinician Scientist in der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Würzburg (UKW) ist Erstautor einer neuen Studie zur nicht-invasiven elektrischen temporalen Interferenzstimulation (tTIS für Transcranial electrical temporal interference stimulation (tTIS), welche diese bisherige Einschränkung überwinden kann und damit den bisherigen Anwendungsbereich revolutionieren könnte. Die Technik wurde zunächst durch Computersimulationen und Studien am Mausmodell entwickelt und nun erstmalig am Labor von Prof. Friedhelm Hummel vom École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) beim Menschen eingesetzt. Im Journal Nature Neuroscience beschreibt Wessel mit einem internationalen Autorenteam, wie die Theta-Burst-Stimulation des Striatums dessen Aktivität sowie das damit verbundene Erlernen motorischer Fähigkeiten verbessern kann.
„Das Striatum ist eine wichtige Hirnstruktur und Teil des Basalgangliensystems, welches einen zentralen Knotenpunkt für die Verarbeitung von Bewegung, Emotionen und kognitiven Funktionen darstellt“, erläutert Wessel das Zielgebiet. Tatsächlich ergab die Bildanalyse der funktionellen MRT-Daten von 15 jungen gesunden Studienteilnehmenden, dass die Aktivität der Zielregion bei aktiver Hirnstimulation mittels tTIS im Vergleich zur Kontrollstimulation während einer motorischen Lernaufgabe zunahm. Bei einer Gruppe älterer gesunder Probanden führte die aktive tTIS-Hirnstimulationsmethode zu einer signifikanten Verbesserung der motorischen Lernleistung.
„Die Studie schafft hiermit die Basis für weitere neurowissenschaftliche Anwendungen, um Verarbeitungsprozesse im Gehirn, die zum Beispiel Lernvorgängen oder Gedächtnisprozessen zugrunde liegen, besser zu verstehen. tTIS ergänzt ideal die bereits am Referenzzentrum in Würzburg unter der Leitung von Prof. Jens Volkmann in der klinischen Routine eingesetzte und etablierte konventionelle invasive tiefe Hirnstimulation (THS). Bei dieser ist jedoch immer ein neurochirurgischer Eingriff nötig. Als neue nicht-invasive neurowissenschaftliche Methode wird tTIS für die Untersuchung von Krankheitsmechanismen bei neurologischen Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen“, resümiert Wessel. Damit hat er schon sein nächstes Forschungsvorhaben definiert: Mittels der tTIS-Hirnstimulatiosmethode die Mechanismen bei neurologischen Erkrankungen wie zum Beispiel motorische Lernvorgängen nach einem Schlaganfall oder unbalancierte Hirnwellen bei der Parkinson-Erkrankung, näher untersuchen. Der Würzburger Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass sich mit tTIS in Zukunft neurotechnologie-basierte Behandlungsansätze entwickeln lassen, welche die Behandlung und Rehabilitationen nach neurologischen Erkrankungen maßgeblich unterstützen können.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Würzburg. Die Originalstudie haben wir euch ihr hier und im Text verlinkt.
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