Ein Mann kommt in die Notaufnahme – sein Körper übersät mit Bienenstichen. Während der Untersuchung verliert er das Bewusstsein. Hat der Patient eine allergische Reaktion oder steckt doch mehr dahinter?
In einem Case Report aus dem Oktober diesen Jahres stellt sich ein 50-jähriger männlicher Patient mit 100–150 Bienenstichen in einem peripheren Versorgungszentrum vor. Der Patient zeigte ein geschwollenes Gesicht sowie eine Schwellung an beiden oberen Gliedmaßen und hatte Schwierigkeiten beim Atmen. Während der Untersuchung wurde der Patient schläfrig und präsentierte eine Bradykardie und eine Hypotonie. Er musste intubiert werden und erhielt sofort Steroide, Adrenalin und Antihistaminika.
Etwa 30 Minuten später erlangte der Patient kurz sein Bewusstsein zurück und gab Brustschmerzen an. Das Elektrokardiogramm deutete auf einen inferioren und posterioren Myokardinfarkt hin. Der Patient erhielt umgehend 325 mg ASS und 300 mg Clopidogrel sowie 40 mg Rosuvastatin und 60 mg Enoxaparin s. c.. Ein Kontroll-EKG nach 6 Stunden und am nächsten Tag deutete auf eine Rückbildung der ST-Streckenveränderungen hin. Der Patient wurde in ein größeres Zentrum verlegt. Die Ärzte diagnostizierten ein Kounis-Syndrom nach Bienenstichen.
In dem Zentrum der Tertiärversorgung konnte der Patient am zweiten Tag vom Beatmungsgerät entwöhnt werden. Er erhielt täglich 75 mg Aspirin und 75 mg Clopidogrel sowie zweimal täglich 60 mg Enoxaparin s. c.. Am vierten Behandlungstag wurde eine Koronarangiographie durchgeführt. Hier zeigte sich eine thrombotische 80%ige Stenose der rechten Koronararterie und eine 80%ige Stenose der Zirkumflexarterie. Der Patient erhielt weiterhin eine Thrombozytenaggregationshemmung und eine Antikoagulationstherapie (ASS 75 mg und Acitrom 2 mg) mit einem Ziel-INR (international normalized ratio) von 2–3. Eine Kontrollangiographie wurde 15 Tage nach der Entlassung durchgeführt und zeigte einen gebesserten Befund der thrombotischen Stenose der rechten Koronararterie.
Der Patient erhielt am selben Tag eine perkutane transluminale Koronarangioplastie der Zirkumflexarterie. Dem Patienten wurde die Einnahme von Thrombozytenaggregationshemmern und Statinen empfohlen. Er war in einer Kontrolle nach einem Monat stabil und beschwerdefrei.
Der vorgestellte Fallbericht zeigt eindrucksvoll das Auftreten von einem Kounis-Syndrom. Das Kounis-Syndrom ist eine Form der Angina Pectoris bzw. des Herzinfarktes, die auf einer Hypersensitivitätsreaktion im Sinne einer Allergie/Anaphylaxie beruht. Es kann sich in Form eines Vasospasmus der Herzkranzarterien, als typischer Herzinfarkt aufgrund einer Plaqueruptur, wie in diesem Fall, oder als Stentthrombose manifestieren. Seit den 1950er Jahren wurde im Rahmen von Case Reports immer wieder von akuten koronaren Ereignissen in Zusammenhang mit allergischen Reaktionen berichtet. 1991 wurde von Kounis und Zavras der Begriff der allergischen Angina Pectoris geprägt.
Das Kounis-Syndrom geht, neben den typischen Beschwerden einer Allergie, mit Beschwerden im Sinne einer Angina Pectoris sowie den dafür typischen EKG-Veränderungen einher. Bei länger anhaltender Sauerstoffunterversorgung des Herzmuskels kommt es zum Anstieg der infarkttypischen Herzenzyme. Auch Hypotonie und Bradykardie bis hin zum Schock und Kreislaufstillstand können auftreten, so wie es bei dem 50-jährigen Patienten aus dem Fallbericht beschrieben wurde.
In der Akutsituation ist es oft schwer zu unterscheiden, ob Schock und Kreislaufstillstand als Ausdruck der systematischen Reaktion auf die Allergie oder auf die Minderdurchblutung des Herzmuskels auftreten. Erschwerend kann hinzukommen, dass der Patient – wie in unserem Beispiel – reanimiert und intubiert ist und somit nicht zu eventuellen Symptomen wie linksthorakale Schmerzen anamnestizierbar ist. In dem Fallbericht war es hilfreich, dass der Patient kurz das Bewusstsein wiedererlangte und die Angina-Pectoris-Beschwerden angeben konnte, sodass eine kardiale Abklärung initiiert wurde.
Die zeitgleiche Behandlung der Allergie und des akuten Koronarsyndroms kann herausfordernd sein. Die Behandlung der der allergischen Reaktion umfasst Kortikosteroide, Antihistaminika, Adrenalin und größeren Mengen an Flüssigkeit. Liegt gleichzeitig ein kardiogener Schock vor, kann dies problematisch werden. Bei einem akuten Koronarsyndrom wird eine invasive Diagnostik empfohlen. Zeigt sich im Rahmen der Koronarangiographie ein Spasmus der Koronarien, kommen gefäßerweiternde Medikamente – teilweise intracoronar appliziert – zum Einsatz. Die genaue Prävalenz von dem Kounis-Syndrom ist schwer zu bestimmen, da angenommen wird, dass diese Diagnose übersehen oder unterdiagnostiziert wird.
Das Kounis-Syndrom wird in 3 Typen unterteil. Beim Kounis-Syndrom Typ I findet sich in der Koronarangiographie ein unauffälliges koronares Gefäßsystem. Es kommt bei Patienten ohne relevante kardiovaskuläre Risikofaktoren und auch bei Kindern und Jugendlichen vor. Als Ursache wird eine endotheliale Dysfunktion angenommen. Der Typ II findet sich bei Menschen mit typischem Gefäßrisikoprofil. In der Koronarangiographie können zumindest Gefäßwandveränderungen nachgewiesen werden. Beim Ereignis kommt es durch Ausschüttung vasoaktiver und plättchenaktivierender Botenstoffe zu einem Einreißen von Plaques. An den Wandverletzungen bilden sich Blutgerinnsel, die in der Folge das Herzkranzgefäß verschließen und so einen Myokardinfarkt induzieren. Seit 2010 werden allergisch getriggerte Probleme auf Gefäßstützen wie Stent-Thrombosen als Typ III bezeichnet. Der hier vorgestellte Fallbericht ist sicher dem Typ II zuzuordnen.
Auch wenn das Kounissyndrom im klinischen Alltag nicht zum Tagesgeschäft gehört, ist es wichtig, diese Differentialdiagnose im Hinterkopf zu haben. Wird es nicht diagnostiziert, kann das für den Patienten fatale Folgen haben.
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