Eine 36-Jährige bemerkt nach einer Spontangeburt plötzlich einen schwarzen Fleck im Gesichtsfeld ihres linken Auges. Auf der Suche nach der Ursache müssen die Ärzte tief in die Werkzeugkiste der ophthalmologischen Diagnostik greifen.
Eine 36-jährige Frau stellt sich einen Tag nach der spontanen vaginalen Entbindung ihres zweiten Kindes im Krankenhaus vor. Bereits unmittelbar nach der Entbindung habe sie einen schwarzen Fleck im Gesichtsfeld ihres linken Auges bemerkt, der seitdem nicht mehr verschwinde. Davon abgesehen habe sie allerdings keine weiteren visuellen Beeinträchtigungen.
Sie berichtet, bislang noch nie in ihrem Leben Probleme mit den Augen gehabt zu haben und ihre erste Schwangerschaft und auch Geburt seien vollkommen unauffällig verlaufen. Auch in der zweiten Schwangerschaft habe es bis zum Tag der Entbindung keinerlei Komplikationen gegeben.
Als die Ärzte die Frau untersuchen, stellen sie fest, dass die unkorrigierte Sehschärfe in der Ferne beidseitig 20/20 beträgt und damit normwertig ist. Auch die Messung des Augeninnendrucks sowie die Untersuchung des vorderen Augenabschnitts liefern keinen Hinweis auf die Ursachen der Beschwerden. Also greifen die Ärzte noch tiefer in die Werkzeugkiste der ophthalmologischen Diagnostik und führen eine Fundoskopie in Mydriasis durch. Dabei entdecken sie linksseitig eine große Blutung in der Grenzmembran inferotemporal des Sehnervenkopfes. Die Fovea ist allerdings ausgespart und es gibt keinen Anhaltspunkt für eine begleitende Glaskörperblutung. Die Fundoskopie des rechten Auges ist glücklicherweise unauffällig.
Doch wie konnte es zu dieser Blutung kommen? Die Ärzte vermuten eine sogenannte Valsalva-Retinopathie. Dabei kommt es durch einen Anstieg des Venendrucks zur Ruptur oberflächlicher Netzhautkapillaren und schließlich zu einer Netzhautblutung. Ursächlich hierfür ist meist ein Anstieg des intraabdominalen oder intrathorakalen Drucks gegen die geschlossene Stimmritze – beispielsweise durch schweres Heben, Pressen beim Stuhlgang, Husten oder Erbrechen. Wie im vorliegenden Fall kann es aber auch während der Geburt zur Valsalva-Retinopathie kommen – meist als Folge der Belastung durch die vaginale Geburt.
Da es sich hierbei um ein spontan reversibles Krankheitsbild handelt, entscheiden sich die Ärzte für eine konservative Behandlung und entlassen ihre Patientin wieder nach Hause. Bei der Nachuntersuchung nach 10 Wochen ist ihre Sehschärfe immer noch unbeeinträchtigt und die Blutung inzwischen abgeklungen. Lediglich ein kleiner Rest Flüssigkeit sowie eine Fibrose sind noch zu erkennen.
Dass der Visus, wie im vorliegenden Fall, von einer Valsalva-Retinopathie völlig unbeeinträchtigt bleibt ist allerdings eher untypisch. Meist kommt es zu einem plötzlichen, einseitigen Visusverlust. Aber auch dunkle Flecken, Floater und Verschwommensehen können als Erstsymptom auftreten. Entscheidend ist daher die präzise fundoskopische Befunderhebung.
Textquelle: Canadian Journal of Ophthalmology
Bildquelle: Josh Calabrese, Unsplash