Die meisten Krebspatienten erhalten in Deutschland eine ambulante Strahlentherapie, auch in Kliniken ohne Versorgungsauftrag. Das soll sich bald ändern – und Radioonkologen fürchten eine Unterversorgung.
Nicht jede Klinik hat einen Versorgungsauftrag für die Erbringung strahlentherapeutischer Leistungen. Dennoch haben bisher viele Kliniken ohne expliziten Auftrag die Versorgung von Tumorpatienten mit einer Strahlentherapie sichergestellt. Durch ein Urteil des Bundessozialgerichts von Ende August ist das nun nicht mehr möglich. Die DEGRO befürchtet jetzt Kapazitätsengpässe und eine strahlentherapeutische Unterversorgung von Menschen mit Tumorleiden in einigen Regionen. Insbesondere Krebspatienten in der Palliativphase werden die Leidtragenden sein, so die Befürchtung.
Am 29. August hat das Bundessozialgericht ein Urteil gefällt, dem zufolge ein Krankenhaus, das keinen Versorgungsauftrag für die Erbringung strahlentherapeutischer Leistungen hat, diese auch nicht mehr stationär erbringen und abrechnen kann (Verhandlung B 1 KR 18/22 R). Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) gefährdet dieses Urteil die Versorgung von Tumorpatienten in einigen Regionen Deutschlands. „Die klinische Strahlentherapie stellt eine wichtige Säule in der Versorgung von Menschen mit Krebs dar, diese einzureißen, kostet Menschenleben“, mahnt DEGRO- Präsidentin Prof. Mechthild Krause.
In Deutschland werden pro Jahr etwa 350.000 Strahlentherapieleistungen erbracht (Medenwald et al.), nur knapp 20 Prozent davon stationär. „In der Strahlentherapie können viele Leistungen ambulantisiert werden und wurden es bereits. Dennoch muss auch eine flächendeckende klinische Versorgung aufrechterhalten werden. Denn gerade Krebspatienten mit fortgeschrittener Erkrankung sind häufig nicht ausschließlich im ambulanten Setting zu versorgen, wir reden letztlich über schwerstkranke Menschen“, erklärt die Expertin. „Bei Bedarf muss daher weiterhin die Möglichkeit bestehen, eine Patientin oder einen Patienten stationär behandeln zu können.“
Außerdem erfolge die Behandlung in den meisten Fällen multimodal, d. h. verschiedenen Therapien wie beispielsweise die Chemo- und die Strahlentherapie werden kombiniert. „Unserer Ansicht nach gehört die Strahlentherapie zu Basisversorgung von Tumorpatienten und zwar ebenso wie die internistische Onkologie mit der Chemotherapie oder die Tumorchirurgie. Alle Behandlungen greifen ineinander und werden synergistisch angewendet. In den Kliniken finden Tumorboards statt, bei denen die verschiedenen Disziplinen gemeinsam auf die Patienten schauen und die individuell erfolgversprechendste Therapieabfolge festlegen“, erläutert Prof. Stephanie Combs, Pressesprecherin der DEGRO. „Diese Besonderheit der Krebsmedizin rettet nachweislich Menschenleben, droht nun aber durch die geltende Rechtslage ausgehebelt zu werden. Wir empfinden das als großen Rückschlag.“
De facto haben viele Kliniken keinen erforderlichen Versorgungsauftrag mehr und werden somit die klinische strahlentherapeutische Versorgung nicht aufrechterhalten können. Große Sorge bereitet der DEGRO die Frage, ob der Bedarf an strahlentherapeutischer Versorgung überhaupt noch in allen Bundesländern in ausreichendem Maß gedeckt werden könne. „Wir sehen die Gefahr, dass die Strahlentherapie in bestimmten Situationen ausgesetzt, verzögert, schlimmstenfalls sogar gar nicht als wichtige Behandlungsoption mehr angeboten wird, einfach weil die klinischen Strukturen zerschlagen wurden. Es ist sehr wichtig, ein gesundes Maß zwischen einer für die Behandlungsqualität förderlichen Zentralisierung der interdisziplinären onkologischen Therapien und der Bereitstellung ausreichender stationärer Kapazitäten für die Strahlentherapie in allen Bundesländern zu finden“, erklärt Krause.
Der Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie.
Bildquelle: Marcelo Leal, unsplash