Das Diagnose-Verfahren PhenIX hilft, Erbkrankheiten genau zu erkennen und die richtige Behandlung zu gewährleisten. Dabei werden Gen- und Symptom-Analysen aus Datenbanken für die Diagnostik kombiniert, um die Krankheit zu identifizieren.
Genetisch bedingte Krankheiten bedeuten für Betroffene oft eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Weniger als die Hälfte der Patienten, bei denen der Verdacht auf eine genetische Krankheit besteht, erhalten bislang eine zufrieden stellende Diagnose. Wissenschaftler der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik haben jetzt ein Testverfahren entwickelt, mit dem sich die Aussichten auf eine Diagnose für Betroffene stark erhöhen. Das Verfahren ist für entsprechende medizinische Einrichtungen frei zugänglich und kann ab sofort eingesetzt werden.
Der erste Schritt zur richtigen Behandlung ist die genaue Diagnose – doch selbst in unbehandelbaren Fällen ist sie von unschätzbarem Wert. „Das gibt immerhin die Gewissheit, dass die Erkrankung nicht selbst verschuldet ist“, sagt Prof. Dr. med. Peter N. Robinson, einer der Entwickler des neuen Diagnoseverfahrens PhenIX („Phenotypic Interpretation of eXomes“). Bisher wurde bei solchen Krankheiten lediglich eine genetische Analyse durchgeführt, diese reicht für eine genaue Erkenntnis aber oft nicht aus. Problematisch ist bei allen Tests, dass die individuelle Vielfalt der Patienten eine diagnostische Analyse erschwert – unter Millionen von genetischen Abweichungen von der Norm, die jeder Mensch in sich trägt, gilt es, die eine Ausschlaggebende zu finden.
Um dieses Problem zu lösen, haben die Berliner Wissenschaftler ein neuartiges diagnostisches Verfahren entwickelt. Im Gegensatz zu früheren diagnostischen Tests kombiniert PhenIX die Analyse der genetischen Unregelmäßigkeiten mit dem klinischen Krankheitsbild des Patienten. Im ersten Schritt wird gezielt nach etwa 3.000 Genen gesucht, die dafür bekannt sind, Krankheiten zu verursachen. Um herauszufinden, welche das sind, haben die Wissenschaftler systematisch öffentlich zugängliche Datenbanken durchsucht und so eine Liste von bekannten Gendefekten erstellt. Ist dies geschehen, bleiben üblicherweise noch einige hundert genetische Unregelmäßigkeiten im Genom des Patienten als Kandidaten für den Verursacher der Krankheit. Im zweiten Schritt durchsucht der behandelnde Arzt die Human Phenotype Ontology (HPO), eine an der Charité zuvor bereits entwickelte Datenbank, nach den Symptomen des Patienten. Auch hier ergibt sich eine Liste von Gendefekten, die verantwortlich für das Leiden sein könnten. Betrachtet der Arzt nun die Schnittmenge der beiden Analyseverfahren, bleibt eine Kandidatenliste von oft nicht mehr als 20 möglichen Ursachen für die Erkrankung, inklusive Rangfolge nach Wahrscheinlichkeit. Nun ist es nicht mehr schwer, diese der Reihe nach durchzugehen und zu testen.
In einer Pilotstudie wurde eine Gruppe von Patienten untersucht, deren genetische Erkrankung bereits bekannt war. PhenIX diagnostizierte ausnahmslos korrekt. Zudem stellten sich weitere Erkrankte der Behandlung, bei denen trotz intensiver, teils jahrelanger Bemühungen und Untersuchungen bislang keine Diagnose gestellt werden konnte. Mithilfe des PhenIX-Verfahrens wurde bei über 25 Prozent dieser Patienten die genaue Krankheitsursache ermittelt. Für Kliniken, die über die notwendige technische Ausstattung verfügen, ist PhenIX bereits frei zugänglich. „Durch die Kombination von klinischem Befund und genetischer Analyse ist uns ein großer Schritt gelungen – für den Arzt bedeutet das neue Verfahren gerade mal zwei Stunden Arbeit“, sagt Robinson. Und er verspricht: „Auch in Zukunft wird es immer eine frei verfügbare Version des Programms geben.“ Verbesserungsmöglichkeiten sieht er noch in einer einheitlicheren Bedienung der Datenbanken. „Ärzte wissen manchmal nicht genau, wie sie ein Symptom beschreiben sollen, oder sie kennen es unter unterschiedlichen Namen“. Hier könnten gewisse Richtlinien die Suche erfolgreicher machen – damit die Diagnose künftig noch schneller und genauer wird.