Am Wochenende war es wieder so weit – die Uhren wurden zurückgestellt. Was die Zeitumstellung mit unserem Körper macht, erfahrt ihr hier.
Viele Smartphone-User bekommen den Wechsel erst im Nachhinein mit, doch jedes Jahr reisen wir in der Zeit. Auch am Sonntag war es wieder so weit – der Uhrzeiger wurde nach links gedreht, denn seit 1980 gibt es in Deutschland die Zeitumstellung. Sie wurde in Folge der Ölkrise unter dem Argument des Energiesparen eingeführt, sorgte aber auch dafür, dass das Zeitdurcheinander in Zentraleuropa aufgeräumt wurde und ermöglichte so eine einheitliche Sommerzeit. Klingt ökonomisch gesehen erstmal gut, aber wie sieht das auf menschlicher Ebene aus?
Mit der Erfindung der Glühbirne veränderte sich der am Sonnenlicht orientierte Tagesrhythmus. Man musste sich fortan nicht mehr an Tages- und Nachtzeiten halten, denn Licht zum Arbeiten ist immer da. Theoretisch mag das auch funktionieren, doch der Körper hat seinen eigenen Rhythmus – nämlich einen zirkadianen, der sich weiterhin am Sonnenlicht orientiert. Durch diese Dissonanz kann es zu einem sogenannten sozialen Jetlag kommen, der durch die halbjährliche Zeitumstellung weiter befeuert wird.
Der Mensch kann sich zwar an einen anderen Tagesrhythmus gewöhnen, doch das ist nicht unbedingt gesund. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage haben 33 % der in Deutschland lebenden Befragten bereits körperliche oder psychische Probleme in Folge der Zeitumstellung erfahren. Die Betroffenen berichteten hauptsächlich von Schlappheit und Müdigkeit (82 %), 68 % von Einschlaf- und Schlafproblemen und 44 % der Betroffenen konnten sich schlechter konzentrieren. Fast jeder Fünfte gab sogar an, unter depressiven Verstimmungen zu leiden.
Die Auswirkungen eines aus dem Takt geratenen Rhythmus lassen sich bei Schichtarbeitern besonders gut beobachten. Ein Leben gegen die innere Uhr kann nicht nur zu Schlafstörungen, sondern auch zu schlechteren kognitiven Leistungen führen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression und Krebs erhöhen. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, ein ungünstiges Metabolismus-Profil zu entwickeln, das unter anderem zu Veränderungen in der Cortisolregulation und zu Stoffwechselstörungen, wie Adipositas und Typ-2-Diabetes führen kann. Zusätzlich kann der resultierende Schlafmangel das Immunsystem schwächen, was die Anfälligkeit für Infektionen erhöht.
In der Medizin ist man sich der inneren Uhr bewusst. So inkludieren die zirkadiane Medizin und Chronotherapie den zirkadianen Rhythmus (ZR) in die Behandlung. Das ermöglicht verschiedene Ansatzpunkte in der Therapie wie beispielsweise eine auf den ZR abgestimmte Gabe von Medikamenten. Studien haben gezeigt, dass zum Beispiel bei der Krebsbehandlung eine Anpassung an den ZR Einfluss auf die Wirksamkeit und Toxizität der Therapie haben kann. Doch das Wissen allein reicht nicht, denn wie soll man einen Blick auf die innere Uhr werfen?
Zellen tragen keine Armbanduhren, deswegen haben Wissenschaftler der Medical School of Hamburg und der Berliner Charité gemeinsam einen Speicheltest entwickelt, mit dem sich der individuelle ZR der inneren Uhr bestimmen lässt. Studienleiterin Angela Relógio wird dazu in einer Pressemitteilung des Berlin Institute of Health der Charité zitiert: „Wir wissen, dass jede Zelle des menschlichen Körpers die Aktivität vieler Gene regelmäßig steigert und absenkt“, so die Hauptautorin. „Zum Beispiel sind die Gene, die die Zellteilung oder den Stoffwechsel steuern, innerhalb von 24 Stunden je nach Tageszeit mehr oder weniger aktiv. Da wir davon ausgehen, dass alle Zellen des Körpers synchron arbeiten, schließen wir aus der Analyse der Genaktivität in Speichelzellen auf die zirkadiane innere Uhr.“ Für diese Analyse werden zweimal am Tag Speichelproben der Probanden entnommen und die Menge der mRNA zweier ZR-regulierender Gene bestimmt. Viel mRNA lässt auf eine erhöhte Transkriptions-Aktivität schließen. Mit Computeralgorithmen konnte dann die Analyse zirkadianer Echtzeitdaten stattfinden.
Die Methoden stellt einen Fortschritt in der individualisierten Medizin dar, der den individuelle ZR und seinen Einfluss auf den Körper berücksichtigt. „Unser Ziel ist es, Ärztinnen und Ärzte dabei zu unterstützen, den besten Zeitpunkt für die Behandlung zu wählen, und gesunden Menschen dabei zu helfen, ihre täglichen Aktivitäten an ihre innere Uhr anzupassen, um gesund zu werden oder zu bleiben“, erklärt Relógio. So können zum Beispiel Anpassungen des Lebensstils wie die Änderung der Essenszeiten, körperliche Betätigung und Lichttherapien bei Schlafstörungen empfohlen werden, um einen gesünderen Schlafzyklus zu fördern. Ein Behandlungsschema nach ZR kann außerdem Nebenwirkungen und Wirksamkeit der Behandlung positiv beeinflussen.
Zusätzlich könnten individuelle Strategien, Gleitzeiten bei der Arbeit oder schlicht die Abschaffung der Zeitumstellung helfen, den sozialen Jetlag zu minimieren und sich weiter nach seinem persönlichen ZR richten zu können. Die Europäische Union plante daher bereits für 2021 die Abschaffung der Zeitumstellung. Man konnte sich aber nicht einigen, ob die Sommer- oder Winterzeit abgeschafft werden soll. Wann es so weit ist, bleibt weiter unklar – die Zeit wird es zeigen.
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