Advanced Care Paramedics als Notarzt-Ersatz? Die Unfallchirurgen erteilen dem eine Absage – zeigen sich aber sonst offen gegenüber vielen Ideen der Rettungsdienstreform.
Der deutsche Rettungsdienst hat einen guten Ruf. Aber wie an anderer Stelle im Gesundheitswesen nimmt auch dort der Reformbedarf zu. Personal ist notorisch knapp, die digitalen Möglichkeiten werden nur punktuell genutzt. Auch Kosten sind ein Thema. Die GKV-Ausgaben für den Rettungsdienst sind zwischen 2018 und 2022 um 41 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro gestiegen, die für die Krankenhausversorgung im selben Zeitraum nur um 14 Prozent auf 88 Milliarden Euro.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Föderalismus. Träger des Rettungsdienstes sind Landkreise und kreisfreie Städte. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften gibt es aktuell knapp 300 eigenständige Rettungsdienstbereiche mit 240 Leitstellen in 13 unterschiedlichen Organisationsformen. Die Zahl der Beschäftigten im Rettungsdienst stieg zwischen 2011 und 2021 um 71 Prozent auf 85.000 Beschäftigte – gegenüber 21 Prozent im sonstigen Gesundheitswesen.
So geht es nicht weiter, das findet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach – und das finden viele andere auch. Lauterbach hat deswegen seine Regierungskommission Krankenhaus beauftragt, sich über den Rettungsdienst und dessen Finanzierung Gedanken zu machen. Und die Kommission hat Mitte September mit ihrer 9. Stellungnahme geliefert. Der nächste Schritt: Eckpunkte für ein entsprechendes Gesetz, die der Minister zügig, so sagt er, vorlegen will. Dass „zügig“ bei Lauterbach ein recht dehnbarer Begriff ist, ist kein Geheimnis.
Zu den Kernempfehlungen der 9. Stellungnahme gehört die Etablierung eines eigenständigen Leistungssegments „Notfallbehandlung“ im SGB V, die Implementierung von Struktur- und Prozessqualitätsparametern inklusive entsprechender Anreizsysteme und eine länderübergreifende Vereinheitlichung des Leitstellenwesens. Zentralisierung ist dabei eines der Stichworte: Gedacht ist an eine Leitstelle pro eine Million Einwohner, sprich eher 80–90 als 300 deutschlandweit. Digitalisierung ist ein weiteres Schlagwort der Stellungnahme. Der Wunschzettel: „Der Rettungsdienst muss technisch einheitlich digital und umfassend mit anderen Säulen der Notfallversorgung sowie der elektronischen Patientenakte vernetzt werden, einschließlich telemedizinischer Verknüpfung rund um die Uhr.“ Wie die analog-digitale Kooperation künftig genau aussehen könnte, das haben die Kommissionsmitglieder mit einem Flussdiagramm illustriert.
Zukunft des Rettungswesens: So stellt sich die Regierungskommission von Karl Lauterbach den Rettungsdienst vor. Credit: Regierungskommission Krankenhaus.
So weit die Theoretiker. Was sagen diejenigen, die den Rettungsdienst praktisch umsetzen? Einige haben sich kurz nach Veröffentlichung der Stellungnahme bereits zu Wort gemeldet. Beim Jahreskongress DKOU 2023 in Berlin haben das jetzt auch die Orthopäden und Unfallchirurgen getan. Prof. Steffen Ruchholtz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, äußerte sich in Berlin primär positiv: „Da sind Punkte dabei, die wir auch so sehen. Auf der Basis kann man weiterarbeiten.“ Insbesondere mit der Vereinheitlichung und Straffung des Leitstellenwesens und natürlich der Digitalisierung rennt die Politik bei allen Praktikern offene Türen ein.
Kritik gibt es dagegen für jene Empfehlungen, in denen das rettungsdienstliche Handeln und die daran beteiligten Berufsgruppen selbst adressiert werden. So schwebt der Regierungskommission die Einführung so genannter Advanced Care Paramedics (ACP) vor, einer Art Zwischending zwischen Notarzt und Notfallsanitäter. Die Idee ist, die Zahl der Notfalleinsätze, bei denen ein Notarzt an Bord ist, zu reduzieren. Manche reden gar von einer vollständigen Abschaffung der Notärzte zugunsten von ACPs.
Die Unfallchirurgen halten davon gar nichts: „Wir brauchen nicht noch eine weitere Berufsgruppe“, so Ruchholtz. Nötig seien vielmehr eine bessere Ausbildung der existierenden Notfallsanitäter und eine Überarbeitung der Einsatzkataloge für Notärzte. Wann Notärzte mitfahren, hänge derzeit im Wesentlichen vom Bauchgefühl der Dispatcher in den Leitstellen ab, so Ruchholtz. Hier gelte es, bessere Strukturen zu etablieren, aber dafür seien keine neuen Berufsgruppen nötig: „Wir sind stolz darauf, dass wir ein System haben, bei dem in bestimmten Fällen erfahrene Kliniker am Notfallort sind. Das sollten wir beibehalten.“
Ausdrücklich nicht abgelehnt wird von den Unfallchirurgen allerdings eine Ausweitung der Befugnisse der Notfallsanitäter, was in der Konsequenz letztlich zu einer Reduktion der Notarzteinsätze führen würde: „Wir glauben, dass ein großer Teil der präklinischen Notfallmaßnahmen auch vom Notfallsanitäter übernommen werden kann, aber nicht die Intubationen und Thoraxdrainagen. Die sollten von Ärzten durchgeführt werden, die das in der Klinik häufiger machen.“
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