Der Jahreswechsel wird sicher nicht der lang ersehnte Stichtag sein, an dem das E-Rezept endlich, wirklich, richtig eingeführt wird. Bis dahin gibt’s jede Woche neues Drama – und etwas besonders Lustiges hat sich jetzt DocMorris ausgedacht.
Das E-Rezept lässt Ärzte und Apotheker auch in diesem Jahr regelmäßig verzweifeln. Je nach System dauert der Abruf eines E-Rezeptes in manchen Apotheken noch über 20 Sekunden, was je nach Menge der derart übertragenen Rezepte deutlich zu lange für den üblichen Apothekenbetrieb ist. Kaum auszudenken, wie lange man warten würde, wenn das System unter Volllast arbeitet. Zudem gibt es Schwierigkeiten bei der Abrechnung und der korrekten Übertragung der Chargenbezeichnungen. Manch einer ist sich sicher, dass sich die Retaxationsabteilungen der Krankenkassen bereits die Hände reiben, bei der Vorstellung, was in den kommenden Jahren auf uns zukommt.
Doch auch gute Nachrichten zum Thema kommen aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Eine Angst der Apothekenmitarbeiter war, dass eine Retax winkt, sollte der ausstellende Arzt eines E-Rezeptes nicht mit der signierenden Person übereinstimmen. Noch ist nämlich nicht sichergestellt, dass die qualifizierte elektronische Signatur mit dem angegebenen Verordner zusammenpasst. Diese Garantie kann der E-Rezept-Fachdienst nämlich erst in ein paar Monaten geben. Das BMG gab hier glücklicherweise Entwarnung, dass die Apotheken an dieser Stelle keine Prüfpflicht haben, „da die Angaben des Heilberufsausweises als führend anzusehen sind und alle weiteren Angaben nur einen informativen Charakter haben.“
Die Antwort auf diese und viele andere Fragen zum Thema E-Rezept lässt sich auf der geschützten Mitgliederseite der ABDA E-Rezept: Fragen und Antworten für Apothekerinnen und Apotheker finden, die ständig aktualisiert wird. Ein Besuch dort empfiehlt sich daher wenigstens einmal monatlich, um keine Neuigkeiten auf diesem Gebiet zu verpassen.
Apotheken, die regelmäßig E-Rezepte abrechnen, gibt es inzwischen viele. Doch hat sich bei weitem noch nicht jede Arztpraxis an die neue Art gewöhnt, Verordnungen auszustellen. Viel Zeit bleibt indes nicht mehr, wenn man sich die Roadmap der Gematik betrachtet. Auch wenn man natürlich inzwischen weiß, dass die Deadlines für die jeweiligen Einführungen regelmäßig gerissen werden.
Roadmap zum E-Rezept. Credit: Gematik-Fachportal
Ärzte sind bisher lediglich dazu angehalten, E-Rezepte vermehrt zu verwenden. Die verpflichtende Nutzung wird laut BGM ab 2024 eingeführt. Jedoch ist diese Planung ein recht zahnloser Tiger, denn sollten die Praxen zu diesem Zeitpunkt aus technischen Gründen nicht dazu in der Lage sein, ein E-Rezept auszustellen, dürfen sie ersatzweise weiterhin auf das Muster-16-Papierrezept zurückgreifen.
Um die Arztpraxen nochmals darauf hinzuweisen, dass nicht mehr viel Zeit bis zum Jahreswechsel ist, hatte die Gematik am 10. Oktober den Tag des E-Rezeptes ausgerufen – einen Aktionstag, an dem alle (Zahn-)Arztpraxen und Krankenhäuser in Deutschland das E-Rezept in ihrer regulären Versorgung nutzen sollten. Damit hatte man versucht, mehr Sicherheit im Umgang mit der neuen digitalen Verordnung vor der verbindlichen Einführung zu schaffen. In den Apotheken vor Ort wurde davon nicht viel bemerkt, wenngleich die Menge an E-Rezepten in den letzten Wochen durchaus leicht zugenommen hat.
Auffällig dabei: die meisten Verordnungen werden über den Chip der Elektronischen Gesundheitskarte in den Apotheken vor Ort abgerufen, nicht über die App. Das macht nun die Arzneimittel-Versender aus dem Ausland verständlicherweise nicht glücklich, denn sie sehen ihre Felle davonschwimmen.
DocMorris hat sich daher eine neue Strategie ausgedacht: Über den KIM-Messengerdienst (Kommunikation im Gesundheitswesen) möchten sie die Rezepttoken direkt von den ausstellenden Praxen übermittelt bekommen – und hatten auch direkt über diesen Dienst die Werbung dafür in die Praxen verschickt. Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands, sieht bei diesem Vorstoß „die Grenzen der Legalität überschritten“. Der Nachrichten-Übermittlungsdienst sei dafür geschaffen worden, „damit sich Heilberufler in einem sicheren sowie diskriminierungs- und werbefreien Raum beispielsweise über die Medikation ihrer Patientinnen und Patienten austauschen können.“ Somit habe Werbung sowie die direkte Weiterleitung von E-Rezept-Token dort nichts zu suchen.
Noch prüft die Gematik das Vorgehen des Versenders aus den Niederlanden. Auch die Pharmazeutische Zeitung (PZ), die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und das BMG haben inzwischen um eine Stellungnahme gebeten, die gespannt erwartet wird.
Über das E-Rezept und seine Fehleranfälligkeiten fällte der Vorstandsvorsitzende des Norddeutschen Apothekenrechenzentrums (NARZ) Dr. Jörn Graue in seinem Bericht bei der Mitgliederversammlung am 7. Oktober in Hamburg ein vernichtendes Urteil: das E-Rezept entwickle derzeit mehr Schwächen als Stärken.
Im Verlauf der Versammlung erfuhr man, dass im Moment 0,4 Prozent der E-Rezepte aufgrund von Formfehlern abgewiesen werden, im Vergleich aber lediglich 0,08 Prozent der Papierrezepte. Das NARZ hofft, dass der Einsatz des Referenzvalidators diese Anzahl in Zukunft reduzieren kann, auch wenn dies kein alleiniger Garant für ein unter allen Umständen retaxfreies Rezept sein wird. Die Hoffnung liegt außerdem darin, mit der Gematik dahingehend zu verhandeln, dass fehlerhafte E-Rezepte gar nicht erst in die TI eingestellt werden können.
Bis dahin scheint es allerdings noch ein langer Weg zu sein. Möglicherweise auch zu lang, um den Stichtag zum Jahreswechsel zu halten. Ich persönlich glaube nicht daran, dass die Hausarztpraxen bereits nervös auf das Datum in etwa 2 Monaten blicken. Vermutlich wird es eher business as usual mit dem guten alten Muster-16-Rezept geben, solange die Einführung des E-Rezeptes nicht zum Zwang wird. Und das ist vermutlich auch gut so, wenn man die aktuellen Zahlen der Abrechnungszentren betrachtet.
Bildquelle: Saad Chaudhry, Unsplash