Patienten mit einer seltenen Form der Hypokalzämie lassen sich bislang nur symptomatisch behandeln. Ein neu entwickeltes Medikament geht jetzt die eigentliche Ursache der Krankheit an.
Das Präparat Encaleret stellte den Kalziumspiegel bei Menschen mit autosomal-dominanter Hypokalzämie Typ 1 (ADH1) wieder her. Dabei handelt es sich um eine seltene genetische Störung, die durch ein Ungleichgewicht von Kalzium im Blut und im Urin sowie durch abnorm niedrige Spiegel des Parathormons gekennzeichnet ist, das den Kalziumspiegel im Blut reguliert. Die Ergebnisse der klinischen Studie, die von klinisch-wissenschaftlichen Mitarbeitern des National Institute of Dental and Craniofacial Research (NIDCR) am Clinical Center der National Institutes of Health geleitet wird, wurden im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
In der mittleren Phase der klinischen Studie erhielten 13 Teilnehmer mit ADH1 rund 24 Wochen lang orale Dosen des Prüfpräparats. Am Ende der Studie war der Kalziumspiegel im Blut aller Teilnehmer durch die Behandlung wieder normal, und auch der Kalziumspiegel im Urin näherte sich den normalen Werten an. Auch die Werte der Nebenschilddrüsenhormone normalisierten sich. „Es war erstaunlich zu sehen, dass jeder Teilnehmer auf die Behandlung ansprach. Buchstäblich Minuten nach der oralen Einnahme des Medikaments stiegen die Parathormonwerte dramatisch an“, sagte der leitende Autor und Endokrinologe Dr. Michael Collins.
Unser Körper braucht Kalzium für das ordnungsgemäße Funktionieren vieler Organe und Gewebe, darunter Knochen, Zähne, Herz, Muskeln und Nerven. Bei Menschen mit ADH1 ist der Kalziumspiegel im Blut jedoch ungewöhnlich niedrig, was zu Symptomen führt, die von kribbelnden Gliedmaßen, Muskelkrämpfen und Brain Fog bis hin zu lebensbedrohlichen Anfällen reichen können. Zwischen 1,4 und 3,9 von 100.000 Menschen in den USA sind von dieser Krankheit betroffen. Die derzeitigen Therapien können zwar helfen, die Symptome zu lindern, aber es gibt keine zugelassenen Behandlungen, die die eigentliche Ursache der Krankheit angehen.
„Die herkömmliche Therapie besteht darin, den Kalziumspiegel im Blut mit Kalziumpräparaten und aktiviertem Vitamin D zu erhöhen“, so die leitende Prüfärztin und pädiatrische Endokrinologin Dr. Rachel Gafni. Die Patienten brauchen bessere Behandlungen, damit wir nicht ständig auf einem schmalen Grat wandeln.“
Es wird angenommen, dass Encaleret seine Wirkung über fehlerhafte Kalziumrezeptoren entfaltet, die überall in den Nieren und in den Nebenschilddrüsen zu finden sind. Bei gesunden Menschen wirken diese Rezeptoren wie Thermostate zur Überwachung und Kontrolle des Kalziumspiegels. Bei Patienten mit ADH1 sind die Rezeptoren jedoch zu empfindlich und interpretieren normale Kalziumwerte im Blut fälschlicherweise als zu hoch. Infolgedessen stellen die Nebenschilddrüsen nicht genügend Parathormon her und die Nieren spülen zu viel Kalzium aus dem Körper. Dies führt zu niedrigen Kalziumwerten im Blut und hohen Werten im Urin.
Encaleret erwies sich als sicher und verursachte keine ernsthaften Nebenwirkungen. Da das Parathormon jedoch den Kalziumspiegel im Blut zum Teil dadurch anhebt, dass es den Knochen Kalzium entzieht, müssen die Forscher die langfristigen Auswirkungen der Behandlung auf das Skelett untersuchen. Die Forscher spekulieren auch darüber, dass Encaleret weiterreichende Auswirkungen haben könnte. In einer laufenden klinischen Studie wird getestet, ob die Behandlung dazu beitragen kann, den Kalziumspiegel bei Menschen zu korrigieren, deren Nebenschilddrüsen durch eine Operation beschädigt wurden.
„Da ADH1 an Nachkommen weitergegeben werden kann, tun die Teilnehmer dies nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Kinder, Enkel und Urenkel“, so Dr. Gafni. „Eines Tages werden wir dank ihnen hoffentlich Rezepte für eine wirksame Behandlung ausstellen können.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des National Institute of Dental and Craniofacial Research. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Rodion Kutsaiev, Unsplash