Die akute myeloische Leukämie (AML) geht von unreifen myeloischen Vorläuferzellen (Progenitorzellen) aus und kann verschiedene myeloische Zelllinien betreffen. Es kommt zu einer unkontrollierten Vermehrung unreifer Blutzellen und es entstehen sogenannte myeloische Blasten. Durch die zunehmende Ansammlung dieser unreifen Zellen wird die normale Blutbildung im Krankheitsverlauf verdrängt und es entsteht ein Mangel an ausgereiften, funktionsfähigen Blutzellen. Die myeloischen Blasten gelangen in den gesamten Organismus und können die Organe infiltrieren.1
Die Zahl der AML-Neuerkrankungen liegt in Deutschland jährlich bei 3,7 Menschen pro 100.000 Einwohner:innen und steigt mit dem Alter an.1 So weist die Patient:innengruppe der über 70-Jährigen eine Inzidenz von über 100 Fällen pro 100.000 Einwohner auf.1 Selten kann die Erkrankungen auch bei Kindern auftreten, am häufigsten bei den unter 2-Jährigen.1,2 Bei etwa einem Viertel aller Leukämie-Neuerkrankungen wird eine AML diagnostiziert (Männer 27 % und Frauen 22 %). Damit ist die AML die häufigste akute Leukämieform bei Erwachsenen.3
Die Symptome einer akuten myeloischen Leukämie treten meist plötzlich auf – in der Regel innerhalb von wenigen Wochen. Häufig macht sich als erste spürbare Auswirkung der AML eine sogenannte Blutarmut (Anämie) aufgrund der gestörten Bildung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) bemerkbar. Die Anämie äußert sich meist durch schnelle Ermüdung, körperliche Schwäche und stark verminderte Leistungsfähigkeit der Betroffenen, die zudem häufig unter Atemnot, Herzrasen, Kopfschmerzen sowie Erschöpfung (Fatigue) leiden. Patient:innen können auch durch den Mangel an weißen Blutkörperchen (Leukozyten), die einen wichtigen Bestandteil des Immunsystems darstellen, anfälliger für verschiedene (fieberhafte) Infektionskrankheiten sein. Auch eine Thrombozytopenie mit punkt- und fleckenförmigen Einblutungen in der Haut, Nasenbluten, verlängerten Blutungen nach Verletzungen und Eingriffen und einer verlängerten Menstruation kann aufgrund verminderter Blutplättchen (Thrombozyten) entstehen.1
Ursachen für eine AML können Exposition gegenüber radioaktiver Strahlung, Benzolen, Tabak, Farben, Mineralölprodukten, Äthylenoxyden, Herbiziden und Pestiziden sein. Auch Radiotherapien und Zytostatika können Jahre später zu einer AML führen.1 Als gesichert gilt ein Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der AML-Entstehung. Das Risiko an einer AML zu erkranken ist bei Rauchern um 40 % und bei ehemaligen Rauchern um 25 % erhöht.4 Genetische Veränderungen, wie die Trisomie 21, können mit einem erhöhten Leukämierisiko verbunden sein5, zudem besteht nicht selten ein Zusammenhang mit dem myelodysplastischen Syndrom (MDS).1
Da es sich bei der AML um eine sehr komplexe Erkrankung mit unterschiedlichen Varianten handelt, spielt die Einteilung in Subtypen eine zunehmend wichtigere Rolle bei der individuellen Krankheitsprognose und den potenziellen Therapiemöglichkeiten. Zur Feststellung werden Untersuchungen von Blut und Knochenmark vorgenommen.1 Zur Klassifizierung werden die zwei aktuellen Systeme der WHO 2022 und ICC 2022 verwendet.6,7 Berücksichtigt werden der Blastenanteil sowie zyto- und molekulargenetische Veränderungen der Blutzellen.6,7
Die Prognoseeinteilung erfolgt in der Regel gemäß den Einteilungen des European Leukemia Net.8 Hierbei handelt es sich um ein modernes genetisches Prognose-System, bei dem unter anderem molekulare bzw. zytogenetische Veränderungen eine Rolle spielen.8
Zu Beginn steht bei neudiagnostizierten Patient:innen die Einschätzung an, ob sie fit für eine kurativ-intendierte intensive Therapie sind oder einer palliativen zytoreduktiven Therapie zugeführt werden.1
Die Induktionstherapie ist bei Patient:innen mit gutem Allgemeinzustand möglich und besteht aus einer zytostatischen Therapie auf der Basis von Cytarabin und eines Anthrazyklins. Auch neuere Substanzen wie Tyrosinkinase-Inhibitoren, Antikörper bzw. Immunkonjugate und neue Formen von Zytostatika-Zubereitungen können eine Rolle bei der Induktionstherapie spielen. Sie werden in der Regel direkt zu Beginn anstatt oder in Kombination mit der Standard-Induktionstherapie verabreicht. Wichtig ist hierbei die Subgruppeneinteilung der Betroffenen vor Behandlungsbeginn, damit eine bestmögliche Behandlung abgestimmt werden kann.1
In den meisten Fällen schließt sich direkt an die Induktionstherapie eine Konsolidierungstherapie an. Je nach Rezidivrisiko, der AML-Subgruppe und dem Allgemeinzustand der Patient:innen wird entweder eine hochdosierte Chemotherapie oder eine allogene Stammzelltransplantation (ASZT) durchgeführt.
Im Anschluss an die Konsolidierungstherapie kann in bestimmten Fällen eine Erhaltungstherapie, mit dem Ziel die Remission zu verlängern, eingesetzt werden. Hierfür kann zum Beispiel bei Patient:innen, die nicht für eine Transplantation infrage kamen, eine orale hypomethylierende Substanz eine Rolle spielen – oder bei Vorliegen einer FLT3-Mutation auch ein FLT3-Inhibitor.
Bei älteren und/oder nicht für eine kurativ intendierte Therapie geeigneten Patient:innen ist das oberste palliative Therapieziel eine Verlängerung der Lebenszeit bei bestmöglicher Lebensqualität. Von der Leitlinie empfohlen werden neben Hydroxyurea zur Senkung der Leukozytenzahl, HMAs oder eine niedrigdosierte Chemotherapie mit Cytarabin. Auch eine Kombinationstherapie aus HMA oder Low-dose-Cytarabin mit einem bcl2-Inhibitor wird für die nicht-intensive Therapie als Option empfohlen.
Für fitte Patient:innen kommt als kurative Rezidivtherapie eine Reinduktionstherapie gefolgt von einer ASZT oder die Gabe eines FTL3-Inhibitors bei Vorliegen einer FTL3-Mutation im Vorfeld einer ASZT in Frage. Eine bereits erfolgte ASZT in der Vergangenheit ist dabei kein unmittelbares Ausschlusskriterium. Bei Patient:innen, die nicht für eine intensive Therapie geeignet sind, kommen als palliative Therapien neben der niedrigdosierten Chemotherapie, hypomethylierende Substanzen sowie zielgerichtete Wirkstoffe, wie bspw. ein FTL3-Inhibitor in Frage. Wichtig ist hierbei erneut die Berücksichtigung des AML-Subtyps.
Eine AML verläuft ohne Behandlung innerhalb weniger Wochen oder Monate nach der Diagnose tödlich. Die 5-Jahres-Überlebensrate in einem schwedischen Register (Erstdiagnosedatum von 1997 bis 2006) betrug für Patient:innen unter 30 Jahren 60 %, zwischen 45 und 54 Jahren 43 % und zwischen 55 und 64 Jahren 23 % – im höheren Alter sank sie weiter ab.1
Den größten Einfluss auf die Prognose hat neben dem Alter, die Art der genetischen Anomalie in den Leukämiezellen. Darüber hinaus weisen Patient:innen, bei denen nach Behandlung einer Chemo- oder Strahlentherapie eine Leukämie diagnostiziert wird, und Patient:innen, die zuvor an MDS gelitten haben, meist eine besonders ungünstige Prognose auf. Auch bei Patient:innen über 65 Jahren oder mit bestimmten Blutuntersuchungsergebnissen, wie einer großen Anzahl an Leukozyten, ist die Prognose besonders ungünstig.9
Doch in den letzten Jahrzehnten haben sich die Behandlungsmöglichkeiten bei bestimmten Formen deutlich verbessert. Galt die akute Promyelozytenleukämie als die bösartigste Form der Leukämie, ist sie heute mit einer über 70-%igen Heilungschance eine der am besten behandelbaren Formen.8
2011-DE-2300024