Erst die Karriere, dann der Nachwuchs. Viele Paare entscheiden sich immer später, Eltern zu werden – das führt häufig zu einem unerfüllten Kinderwunsch. Spermidin könnte da Abhilfe schaffen.
Im vergangenen Jahr haben deutsche Kinderwunschzentren insgesamt 127.920 Kinderwunschbehandlungen dokumentiert. Für das Jahr 2021 wurde dabei eine Schwangerschaftsrate von 31,4 % verzeichnet, die Geburtenrate pro Transfer lag bei 22,6 %.
Für den Erfolg der assistierten Reproduktionstechniken (ART) spielt das Alter des Paars, insbesondere der Mutter, eine wesentliche Rolle. Weiterhin nehmen Faktoren wie die Beschaffenheit der Gebärmutterschleimhaut, eine Embryoselektion oder die individuelle ovarielle Reserve einen hohen Stellenwert für die Erfolgsaussichten ein. Bei letzterem scheint aktuell Bewegung ins Spiel zu kommen: Was hat es auf sich mit Spermidin?
Spermidin ist ein natürliches Polyamin und kommt in nahezu jeder Körperzelle vor. Mit zunehmendem Alter nimmt die Produktion ab. Es gilt als potenzielles Anti-Aging-Produkt, das die Zellerneuerung aktiviert. Altersbedingte Erkrankungen, aber auch ovarielle Funktionsverluste werden mit einem sinkenden Spermidin-Spiegel in Zusammenhang gebracht. Dies könnte der Ausgangspunkt für ein Medikament sein, das für eine steigende Erfolgsrate in der Reproduktionsmedizin sorgt.
Forscher von der Nanjing Agricultural University in China haben eine Studie über den Einfluss von Spermidin bei dem besonders fruchtbaren Mausstamm ICR publiziert. Ein Mäuseweibchen lebt durchschnittlich 2 Jahre, hat keine Menopause und ist die meiste Lebenszeit über fruchtbar.
Im ovariellen Stoffwechsel wurden bei älteren Mäusen geringere Spermidinspiegel gemessen als bei den jüngeren Exemplaren. Wurden den älteren Mäusen zum Ausgleich Spermidin injiziert oder über das Trinkwasser verabreicht, förderte das die Fertilität – insbesondere die Eizellreifung und die Embryonalentwicklung. Sehr hohe Konzentrationen von Spermidin führten allerdings zu schlechteren Ergebnissen. „Nach einem Jahr war der Wurf der ICR-Mäuse ohne Spermidin um 80 % und mit Spermidin um 60 % reduziert“, erläutert Dr. Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster die Ergebnisse. Wurden Methoden der ART genutzt, war die Qualität der Eizellen absolut etwa 10 % höher mit Spermidin.
Auch die Zugabe von Spermidin in die In-vitro-Kulturen von unreifen Eizellen der gealterten Mäuse half, dass mehr Eizellen bis zum Metaphase-II-Stadium heranreiften und ihre Qualität insgesamt verbessert wurde. Ähnliche Ergebnisse konnten bei kultivierten Eizellen älterer Schweine unter Zugabe von Spermidin erzielt werden.
„Insgesamt handelt es sich um eine sehr gute und auch solide Studie. Allerdings muss bedacht werden, dass sich Mäuse sehr stark vom Menschen unterscheiden, insbesondere was den Alterungsprozess betrifft. […] Ob man Frauen, die möglicherweise Einschränkungen in der Fruchtbarkeit haben, Spermidin als Supplement verschreiben sollte, ist schwer zu sagen. Man kennt derzeit weder die notwendige Dosis, noch die notwendige Dauer einer Behandlung, um beim Menschen eine Wirkung auf die Eierstöcke zu erzielen“, gibt Dr. Verena Nordhoff, Laborleiterin des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie der Uniklinik Münster, zu bedenken.
Dr. Sandra Laurentino, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uniklinik Münster, weist darauf hin, dass Spermidin-Präparate bereits rezeptfrei in Deutschland erhältlich sind. Es laufen derzeit klinische Studien, inwiefern die Substanz Alterungsprozessen in Leber, Muskeln und Gehirn entgegenwirkt. Eine gute Verträglichkeit wurde bisher beschrieben, allerdings scheinen sehr hohe Dosen eher zu schaden.
Dr. Laura Wester, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Molekulare Genetik des Alterns am Max-Planck-Institut in Köln, schließt eine grundsätzliche Toxizität zwar aus, da Spermidin als natürliches Polyamin in fast allen Organismen und auch in der menschlichen Nahrung vorkommt. Sie wirft aber ein, dass die langfristige Auswirkung auf die Nachkommen von mit Spermidin substituierten Müttern und die mögliche Beeinflussung von Krebszellen noch offen sei: „So finden sich beispielsweise Polyamine […] in erhöhter Konzentration in Krebszellen. Eine Supplementierung von Spermidin könnte sich daher bei fortgeschrittenem Krebs negativ auswirken. Solche Kontraindikationen müssen in klinischen Studien sorgfältig geprüft werden.“
Ob Spermidin insgesamt einen systemischen positiven Einfluss auf ein gesünderes Altern und damit auch auf die Fertilität hat, oder ob der Effekt durch eine direkte Einwirkung von Spermidin auf die Eizellen zustande kommt, ist für die Wissenschaftlerin noch nicht geklärt. Sobald dies erfolgt ist, könnte ein niederschwelliger erster Schritt sein, Spermidin als Nahrungsergänzungsmittel in der Kinderwunschphase zu empfehlen. Noch einfacher wäre es, Nahrungsmittel mit hohem Spermidingehalt – wie Sojabohnen, Weizen oder Brokkoli – zu bevorzugen.
Aufgrund der positiven Studienergebnisse befürwortet Wester weiterhin an der Übertragbarkeit auf die In-vitro-Kultur und Befruchtung von Eizellen zu forschen, um die Ergebnisse der Reproduktionsmedizin langfristig zu verbessern.
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