Eltern bestaunen ihr Baby im KI-kontrollierten, gläsernen Uterus – das ist zwar (noch) nicht möglich, aber erste klinische Studien sind zum Greifen nah. Ein Kräftemessen zwischen Wissenschaft und Ethik: Was können wir, was sollten wir tun?
Acht Minuten Video haben für reichlich Empörung gesorgt: Auf Youtube wirbt EctoLife für die erste künstliche Uterus-Einrichtung mit 400 vollautomatischen, KI-gesteuerten Einheiten. Jederzeit können die Eltern ihr heranwachsendes Kind sehen oder mit dem Embryo Kontakt aufnehmen. Im Premium-Paket ist auch das Wunsch-Genediting per CRISPR enthalten.
Doch die Firma existiert nicht wirklich. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt von Hashem Al-Ghaili. Der Molekularbiologe und Filmemacher hat seine Vision in Szene gesetzt; als Denkanstoß, vielleicht auch als Provokation.
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Von der Realität ist das (noch) weit entfernt – doch die Wissenschaft schreitet voran. Am 19. und 20. September 2023 hat die US Food and Drug Administration (FDA) eine Sitzung des Pediatric Advisory Committee angesetzt. Das beratende Expertengremium sollte sich zum Status quo der künstlichen Gebärmutter äußern, inklusive Fragen zur Sicherheit, zur Effektivität und zur Ethik.
Thema des Briefings war vor allem EXTEND: ein System, das Forscher des Children’s Hospital of Phialdelphia (CHOP) im Jahr 2017 vorgestellt haben. In einem Beutel aus Polymeren mit künstlichem Fruchtwasser reiften Lammfeten erfolgreich heran. Ein pumpenloser arteriovenöser Kreislauf, eine geschlossene sterile Flüssigkeitsumgebung und ein umbilikaler Gefäßzugang sind wesentliche Komponenten dieses künstlichen Uterus.
Nach ersten Erfolgen schlossen sich mehrere Mitglieder des CHOP-Teams einem Start-up-Unternehmen, Vitara Biomedical in Philadelphia, an, das seither 100 Millionen US-Dollar für die Entwicklung von EXTEND gesammelt hat.
Doch Alan Flake, einer der leitenden Forscher bei CHOP, und Kollegen sind nicht die einzigen Wissenschaftler, die weltweit am künstlichen Uterus arbeiten. Bereits 1955 meldete der US-Forscher Emanuel M. Greenberg ein entsprechendes Patent an. Aktuelle Projekte gibt es unter anderem als Kooperation der Universitäten Eindhoven, Aachen und Mailand (Perinatal Life Support, PLS) sowie in Israel am Weizmann-Institut. Allen Projekten gemeinsam ist, dass sie versuchen, Embryonen außerhalb des natürlichen Uterus bis zu einem gewissen Grad heranreifen zu lassen.
Von allen Projekten ist EXTEND bislang am weitesten fortgeschritten. Die Entscheidung über den Eintritt in die Phase erster Studien am Menschen steht allerdings noch aus.
Eine Anwendung der künstlichen Gebärmutter, um ohne biologische Fortpflanzung Kinder künstlich zu „erbrüten“, sieht Flake nicht als Ziel. Die künstliche Gebärmutter „würde ein extrem zu früh geborenes Baby durch die Tage und Wochen überbrücken, in denen das Risiko für Lungen- und Hirnschäden am größten ist“, sagt auch Kelly Werner, Bioethikerin und Neonatologin am Columbia University Medical Center in New York City.
Guid Oei bestätigt im Namen von PLS: „Es ist unser Ziel, extrem frühgeborenen Babys mit unserer künstlichen Gebärmutter dabei zu helfen, die kritische Zeit von 24 bis 28 Wochen zu überstehen.“ Mit jedem Tag, an dem ein Fötus ab Woche 24 weiter wachse, stiegen auch seine Überlebenschancen. „Wenn wir in der Lage sind, die fetale Entwicklung dieser Kinder in der künstlichen Gebärmutter auf 28 Wochen zu verlängern, können wir das größte Risiko einer vorzeitigen Sterblichkeit auf 15 Prozent reduzieren.“
Ziel aller Ansätze ist, die natürliche Umgebung nachzubilden. In der biologischen Gebärmutter erhält ein Fötus unter anderem Sauerstoff und Kohlendioxid wird abtransportiert. Der künstliche Uterus soll mechanische Beatmungsgeräte ersetzen, die häufig bei Neugeborenen verwendet werden. Sie können die empfindliche, sich entwickelnde Lunge schädigen, die zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch mit Fruchtwasser gefüllt wäre.
Die Idee ist, dass extrem frühgeborene Babys in einen sogenannten Biobag gelegt werden – einen Beutel, der mit einer elektrolythaltigen Flüssigkeit gefüllt ist, um Fruchtwasser nachzuahmen. Chirurgen müssten Blutgefäße in der Nabelschnur mit einem System verbinden, dass das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff versorgt. Der Schritt gilt methodisch als anspruchsvoll, aber nicht als unlösbar. Ein Kaiserschnitt zur Entbindung ist notwendig, da sich die Nabelarterien während der natürlichen Geburt schnell verschließen.
Wie geht es weiter? Forscher der CHOP-Gruppe hoffen, dass die FDA in einem Jahr grünes Licht für klinische Studien gibt. Sie sind jedenfalls optimistisch. Zeitgleich wächst die Skepsis in der Bevölkerung. Gegen das PLS-Projekt wurde bereits eine Online-Petition initiiert, um Fördergelder zu stoppen – speziell aus ethischen Gründen. Bioethiker befassen sich differenzierter mit Chancen und Risiken der neuen Technologie. Eine künstliche Gebärmutter könnte die Definition der Lebensfähigkeit des Fötus verändern – mit enormen Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. In den USA galt zeitenweise die Regel, dass eine Abtreibung so lange möglich war, bis der Fötus außerhalb der Gebärmutter lebensfähig war.
Einige Forscher befürchten auch, dass die künstliche Gebärmutter eine teure technologische Lösung für ein ganz anderes Problem ist. Michael Harrison, ein Fetalchirurg an der University of California in San Francisco, fragt sich, ob es sich lohne, „das ganze Geld und die ganze Technik“ bei Babys einzusetzen, die eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit hätten, anstatt Schwangere besser zu unterstützen oder die Intensivmedizin für Frühchen zu optimieren.
Als größte Sorge – vor allem bei Laien – bleibt, dass „Babyfarmen“ entstehen könnten, wie von EctoLife dargestellt. Die Idee liege aber so weit in der Zukunft, „dass es sich nicht lohnt, ihre Auswirkungen in Bezug auf die aktuelle Technologie zu diskutieren“, sagt Werner.
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