Ein Nagellack, der K.o.-Tropfen in Partydrinks aufspüren soll, hat in den letzten Tagen einen wahren Pressehype ausgelöst. Was ist dran am vermeintlichen Wunderlack? Wird er Frauen tatsächlich vor Übergriffen schützen können?
In einer Befragung des Bundesfamilienministeriums aus dem Januar 2014 gaben 27 Prozent der Frauen an, sich schon von einer sexuellen Belästigung „ernsthaft bedroht“ gefühlt zu haben. In den USA soll jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer sexuellen Missbrauchs werden – darauf berufen sich vier Amerikaner, die an der Duke University in Durham im US-Bundesstaat North Carolina Materialwissenschaft und Werkstofftechnik studiert haben. Das gemeinsame Interesse am Unternehmertum und die Suche nach einer Lösung für ein universelles Problem brachte die vier ehemaligen Studenten dazu, an einem K.o.-Tropfen-erkennenden Nagellack zu arbeiten. Unter dem Projekttitel „Undercover Colours“ wurde der Nagellack vor allem in den sozialen Medien bereits als innovative Erfindung gepriesen, mit dem sich ein weltumspannendes Problem lösen lässt. Doch kann der Nagellack das tatsächlich?
Das Prinzip ist einfach: Vor dem Besuch einer Party oder Bar trägt die Frau den Nagellack auf, der mit einem Farbwechsel die Stoffe Rohypnol, Xanax oder GHB aufspüren soll. Die im Englischen als „Date-Rape-Drugs“ oder im Deutschen als K.o.-Tropfen bezeichneten Stoffe setzen ihre Opfer außer Gefecht. Wer eine Vergewaltigung und/oder einen Raub plant, hat mit einem so betäubten Opfer leichtes Spiel. Um solche Übergriffe zu vermeiden, soll es in Zukunft genügen, den lackierten Nagel kurz ins Glas zu tauchen. Verfärbt sich der Nagellack, enthält das Getränk zumindest einen der genannten Stoffe.
Die Idee, K.o.-Tropfen in Getränken aufzuspüren, ist nicht neu. Die Firma DrinkSavvy kündigte im letzten Jahr an, Strohhalme und Gläser zu entwickeln, die sich ebenfalls bei Kontakt mit K.o.-Tropfen verfärben. Ebenso wie „Undercover Colours“ blieb das Prinzip dahinter Firmengeheimnis. Auch der Mini-Chip-Stick „pd.id“ soll Frauen sicherer machen, indem er verschiedene Betäubungsmittel in Getränken anzeigt. Momentan sammeln seine Erfinder in einer Crowd-Funding-Kampagne Sponsoren.
Während Presse und soziale Medien bereits heftig debattierten, ob ein solcher Lack Vergewaltigungsopfern zu viel Verantwortung für den eigenen Schutz übertrage, geriet der Aspekt, dass es diesen Lack noch gar nicht gibt – und vielleicht auch nie geben wird – gänzlich aus dem Fokus. Denn bisher haben die vier Tüftler noch nicht öffentlich gezeigt, dass ihr Lack funktioniert. Auch zum Wirkmechanismus gibt es bisher keine Informationen. Die Internetpräsenz der Jungunternehmer besteht bisher nur aus einer Startseite mit Links zu Facebook und Twitter und einem Support-Button, über den Besucher das Projekt finanziell unterstützen können. „Undercover Colours“ scheint dennoch irgendwie zu überzeugen, denn die Firma hat bereits mehrere Gründerpreise gewonnen und damit mehr als 100.000 Dollar eingenommen. Auch auf Facebook gibt es bereits ausreichend Anhänger des schlauen Nagellacks in spe. Die „Undercover Colours“-Seite zählt bereits über 117.000 Fans (Stand: 15.09.2014). Dort sammeln die Tüftler Sponsoren für ihr Projekt, u. a. mit Posts wie: „Wir brauchen noch .000, um einen weiteren Chemiker einstellen zu können und unsere Forschung und Entwicklung zu verdoppeln. Das bedeutet eine Halbierung der Entwicklungszeit unseres ersten Produkts! Wirst Du uns unterstützen?“ Doch allmählich scheint der Pressewirbel die vier Erfinder zu verunsichern. Am 27. August stellten sie auf Facebook klar: „Unser Produkt gibt es noch nicht zu kaufen. Wir befinden uns erst in einer frühen Entwicklungsphase …“ Die „Proof-of Concept“-Forschung sei allerdings sehr vielversprechend gewesen.
Dr. rer. nat. Hilke Andresen-Streichert vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums in Hamburg-Eppendorf steht der Erfindung skeptisch gegenüber: „Eventuell könnte ein solcher Nagellack potentielle Täter davor abschrecken, ein Getränk mit einer der drei testbaren Substanzen zu manipulieren. Denn alle drei Stoffe spielen zwar als K.o.-Tropfen eine Rolle, aber nicht nur diese.“ Wenn allerdings bekannt sei, welche Stoffe sich nachweisen lassen, bedürfe es keiner besonderen Kreativität, auf alternative Substanzen mit gleicher Wirkung auszuweichen, erklärt die Toxikologin. „Jede Substanz, die zentral dämpfend wirkt, eignet sich prinzipiell für einen solchen Übergriff“, so Dr. Andresen-Streichert. Und das sind jede Menge. In den Laboren des UKE lassen sich mehr als 100 derartige Wirkstoffe nachweisen. „Viele Substanzen wirken auch ohne Alkohol, sind aber in Kombination mit Alkohol nicht mehr kontrollierbar“, erklärt die Leiterin des Toxikologischen Labors.
Als mögliches Nachweisprinzip wäre ein Antikörpertest vorstellbar. „Für Rohypnol und Xanax könnte ein solcher Test prinzipiell funktionieren. Das Molekül GHB ist zu klein für einen spezifischen Antikörpernachweis“, so Dr. Andresen-Streichert. Bisherige Tests beruhen auf enzymatischen Reaktionen, die bei schwankenden pH-Werten und Alkoholkonzentrationen in Partydrinks mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr verlässlich funktionieren. „Das könnte Frauen in falscher Sicherheit wiegen“, vermutet Dr. Andresen-Streichert. Die Toxikologin analysiert häufig, durch welche Substanzen Frauen willenlos gemacht werden. Ihre Erfahrung hat gezeigt: „Alkoholhaltige Getränke sind die besten K.o.-Tropfen. Vor allem junge Mädchen, die noch nicht abschätzen können, wieviel Alkohol sie vertragen, sind besonders gefährdet.“ Dieses Problem ließe sich durch ein maßvolles Trinkverhalten vergleichsweise leicht lösen, allerdings nicht mit einem Nagellack.