Cola, Pommes und der Hühnereintopf aus der Konserve – viele greifen aus vermeintlichen Zeit- und Preisgründen im Alltag zu Fertigprodukten. In Wahrheit steckt jedoch oft eine Sucht dahinter.
Die Lebensmittelindustrie hat uns fest im Griff. Zwar ist bekannt, dass prozessierte Lebensmittel wie Burger, Tiefkühlpizza und Chips nicht gesund sind, trotzdem greifen weiterhin viele Menschen zu diesen Produkten. Mal eben das Tiefkühlgericht in den Backofen schmeißen – das spart Zeit und ist meist auch günstiger, als das gleiche Gericht frisch selbst zu kochen. Es gibt aber verschiedene Faktoren, die dazu führen, dass hochverarbeitete Lebensmittel (Ultra Processed Foods, UPF) so häufig konsumiert werden – obwohl sie der Gesundheit schaden.
Bei UPF handelt es sich um Lebensmittel, die bei der Herstellung stark verarbeitet werden, um länger haltbar zu sein, einen besseren Geschmack oder eine angenehmere Konsistenz zu haben. Dabei werden oft Zusatzstoffe oder Chemikalien verwendet. Häufig handelt es sich dabei um Fertiggerichte.
Ein mögliches System zur Einordnung von Lebensmitteln nach dem Grad ihrer Verarbeitung ist der NOVA-Score. Er unterteilt Lebensmittel in vier Kategorien:
1
Unverarbeitet oder minimal prozessiert
Frisches Obst und Gemüse, Milch oder Eier (die Lebensmittel können gewaschen, gekocht oder bearbeitet sein, allerdings ohne das Zusetzen von anderen Zutaten, wie z. B. Zucker oder Salz).
2
Verarbeitete kulinarische Zutaten
Produkte aus Gruppe 1 mit einem zusätzlichen Bearbeitungsschritt (küchenübliche Zusätze dürfen enthalten sein, wie etwa Salz oder Kräuter; hierzu zählen z. B. selbstgekochte Suppen, eingelegte Kondimente oder Butter).
3
Prozessiert
Lebensmittel wurden natürlich verarbeitet und mit weiteren Produkten versetzt (z. B. fermentiert). Hierzu zählen z. B. Käse, Gemüsekonserven und gebackenes Brot.
4
Sehr hoch prozessiert (UPF)
Üblicherweise industriell hergestellte Lebensmittel mit mehr als fünf Zutaten. Sie enthalten häufig Zutaten, die nicht in einem normalen Haushalt zu finden sind, wie z. B. Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker oder Süßungsmittel. Nicht nur zählen zu dieser Kategorie Fertigprodukte und Fastfood, sondern auch gesüßte Getränke wie Softdrinks.
Im Vergleich zum Nutri-Score werden Produkte nicht miteinander verglichen, sondern den Kategorien abhängig von ihrer Zusammensetzung zugewiesen. Zwar hat auch dieses System seine Schwachstellen, jedoch veranschaulicht es auf einfache Weise, welche Lebensmittel besonders stark industriell verarbeitet wurden und eher ungesund sind.
In Europa liegt der prozentuale Anteil von UPF in der täglichen Nahrung zwischen 15 und 57 %, wobei Großbritannien Spitzenreiter ist. Auch in Deutschland ist das Geschäft mit Fertigprodukten lukrativ. Der Umsatz in dieser Branche steigt stetig und auch für die kommenden Jahre wird ein ähnlicher Trend prognostiziert. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: angefangen bei Food-Deserts (Lebensmittelwüsten) – also Gebieten, in denen gesunde, frische Lebensmittel nicht einfach zugänglich oder sehr teuer sind – über Geschmack bis hin zum Preis. Fertigprodukte können Zeit und Kosten sparen und sind von Lebensmittelingenieuren so konstruiert, dass sie möglichst vielen Menschen schmecken und wir immer mehr wollen.
Dass man die Chipstüte so schwer weglegen kann, ist nämlich kein Zufall. Denn viele UPF sind so „designed“, dass sie ein perfektes Verhältnis von Fett, Kohlenhydraten und Salz zueinander enthalten – noch ein paar Geschmacksverstärker und das Rezept ist perfekt.
Der hohe Anteil von Kohlenhydraten und Fett in industriell gefertigten Lebensmitteln sorgt für eine Hormonausschüttung im Gehirn. Beim Verzehr dieser Produkte werden Bereiche aktiv, die auch bei Suchterkrankungen eine Rolle spielen, darunter die Belohnungs- und Motivationszentren, sowie das dopaminerge System. Kohlenhydrate und Fett in rauen Mengen können ähnliche Level von extrazellulärem Dopamin im Striatum auslösen, wie beim Konsum von z. B. Nikotin oder Alkohol. Eine Fastfood-Sucht, bzw. eine Sucht nach verarbeiteten Lebensmitteln, ist also nicht weit hergeholt.
In einer aktuellen Übersichtsarbeit, die 281 Studien untersuchte, ermittelten die Autoren, dass etwa 14 % der Erwachsenen und 12 % der Kinder abhängig von UPF sind. Betroffene haben ein starkes Verlangen nach diesen Lebensmitteln, weisen Entzugserscheinungen auf, wenn sie diese nicht konsumieren und haben wenig Kontrolle über ihr Essverhalten. Dabei werden UPF auch immer wieder konsumiert, trotz des Wissens über negative Konsequenzen dieser Ernährung, wie etwa Gewichtszunahme.
Der regelmäßige Konsum von UPF kann sich negativ auf die allgemeine Gesundheit auswirken. Er korreliert mit einem höheren Risiko für kardiometabolische Erkrankungen, Typ-2-Diabetes, Hypertonie, Übergewicht und zerebrovaskuläre Ereignisse. Die Sterblichkeit kardiovaskulärer Events sowie die Gesamtmortalität könnte durch UPF erhöht werden. Außerdem ist der Konsum dieser Lebensmittel mit Krebserkrankungen, entzündlichen Darmerkrankungen, Depression und chronischen Nierenerkrankungen assoziiert. Das liegt nicht nur an der ungesunden Zusammensetzung der Nahrung, sondern auch an Verbindungen, wie etwa Furanen, heterocyklischen Aminen, trans-Fettsäuren oder Acrylamiden, die bei der Prozessierung entstehen können.
Die Gefahr lauert aber auch in der Verpackung: Bei Produkten mit langem Haltbarkeitsdatum steigt das Risiko, dass sich chemische Verbindungen aus Konserven und Plastik lösen und in die Nahrung übergehen – je länger diese Lebensmittel in den Regalen stehen, desto höher auch das Risiko bzw. die Konzentration dieser Stoffe in den Lebensmitteln. So finden sich z. B. Phthalate, Bisphenole oder Mineralöle in vielen Fertigprodukten. Erst vor kurzem testete ÖKO-TEST verschiedene Dosen-Tomaten und konnte in allen Produkten Bisphenol-A nachweisen – und das in Konzentrationen, die oberhalb der Unbedenklichkeitsgrenze liegen. Die einzige Ausnahme waren Tomaten aus Glasbehältern.
Bei dieser Diskussion fällt auch immer wieder der Begriff „Cocktail-Effekt“, denn wenn es auch einige Verbindungen gibt, die zunächst isoliert keine Probleme verursachen, können Wechselwirkungen oder das Zusammenspielen verschiedener Substanzen potenziell toxisch oder gesundheitsschädigend sein – ein Effekt, der häufig wenig beachtet wird.
Manche dieser Toxine, Zusatzstoffe oder chemischen Verbindungen schaden der Gesundheit aber auch indirekt, nämlich über das Mikrobiom. Zusatzstoffe wie Süß- oder Farbstoffe können zu Dysbiosen führen und Entzündungen verursachen. Ein Mikrobiom, das aus der Balance gerät, kann bekannterweise weitreichende gesundheitliche Folgen haben – viele davon sind schwer vorauszusagen oder abschätzbar. Denn es fehlt an großangelegten Langzeitstudien, die die Auswirkungen von UPF-Konsum auf das Mikrobiom untersuchen. Das liegt unter anderem auch daran, dass Ernährungsstudien schwierig durchzuführen sind und häufig ein großer Unsicherheitsfaktor bestehen bleibt. Isolierte Aussagen über den Effekt auf das Mikrobiom sind also schwer zu treffen.
Was jedoch sicher ist: Das Mikrobiom hat mit einer Ernährung reich an UPF ordentlich zu kämpfen. Hochverarbeitete Lebensmittel haben häufig eine höhere Energiedichte als frische Lebensmittel, da sie reich an Fett und Kohlenhydraten, aber arm an Ballaststoffen sind. Das führt nicht nur auf Dauer zu Übergewicht, sondern zieht auch das Mikrobiom in Mitleidenschaft. Obwohl auf der Fertiglasagne Tomaten und frisches Basilikum abgedruckt sind, sucht man Ballaststoffe meist vergeblich. Doch diese braucht unser Mikrobiom als Nahrung. Gesättigte Fettsäuren und kurzkettige Kohlenhydrate sind ebenso nicht mikrobiomfreundlich. Diese werden vom Körper nämlich schnell aufgenommen, ein Teil bereits im Mund, im Magen und im Dünndarm absorbiert – für Mikrobiota im Darm bleibt dann wenig übrig. Auf Dauer führt das zu einem Shift in der Spezies-Zusammensetzung des Mikrobioms.
Na wenn’s so schädlich ist, dann doch einfach verbieten, oder? Auch wenn in großen Mengen ungesund, sind immer noch viele Menschen weltweit auf prozessierte Lebensmittel angewiesen – sowohl finanziell, aus Zeitgründen oder wegen ihres Wohnortes. Viele greifen aber aus Lifestyle-Gründen zu UPF, unter anderem auch, weil die entsprechenden Großkonzerne so stark in unserer Gesellschaft verankert sind, dass sie ein gewisses soziales Standing genießen. Coca Cola und RedBull vermarkten ihre Produkte gekonnt mit Werbestrategien, die immer nah am Puls der Zeit sind. Sie sponsern Sportevents und sind gut auf Social-Media-Plattformen platziert. Musiker und Influencer vermarkten ihre eigenen Tiefkühlpizzen und Eistees – UPF gehören zum guten Ton. Gibt es dennoch einen Weg, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Oft kann schon eine ausreichende Aufklärung zu einem bewussteren Umgang mit UPF führen. Da sind auch Labels wie der NOVA-Score im Alltag hilfreich, sowie Aufklärung über Hausärzte, Ernährungsberater und in Bildungseinrichtungen. Auch werden immer mehr Stimmen laut, die nach einer Zuckersteuer verlangen. In einigen Ländern, in denen es ein solches Besteuerungs-System gibt, konnten auch positive Trends beobachtet werden. So sank z. B. der BMI von adoleszenten Mädchen in Mexiko und der Konsum von Softdrinks verringerte sich um 18 %. Ein Kritikpunkt an der Zuckersteuer: Die Lebensmittelindustrie vermarktet weiterhin ungesunde Produkte, Konsumenten müssen lediglich mehr dafür zahlen. Daher wünschen sich viele eine Regulierung der Industrie durch die Politik. So konnte beispielsweise ein Verbot von Transfetten in New York City eine Reduktion der Mortalität von kardiovaskulären Erkrankungen um 4,2 % erzielen.
Bildquelle: Karolina Grabowski, Unsplash