Es ist ein beliebtes, günstiges und unkompliziertes Schmerzmittel. Doch Paracetamol ist nicht zu unterschätzen – denn es nimmt mehr Einfluss auf das Immunsystem als bisher gedacht.
Paracetamol ist als harmloses und gut verträgliches Medikament bekannt, das bei leichten bis mäßigen Schmerzen und Fieber eingesetzt wird. Es gilt als analgetisch, jedoch nicht als antiinflammatorisch. Der Einfluss auf das Immunsystem ist allerdings nicht zu unterschätzen und kann wichtige klinische Implikationen haben.
Bereits in den 1990ern wurden erste Hinweise darauf publiziert, dass Paracetamol die Immunantwort moduliert. So wurde eine Einnahme von Acetaminophen (APAP) in der Vergangenheit mit einer abgeschwächten Immunantwort auf Impfstoffe in Verbindung gebracht. Das gilt offenbar jedoch vor allem dann, wenn es prophylaktisch gleichzeitig zur Impfung verabreicht oder sogar schon vorher eingenommen wird. Die WHO rät deshalb von einer Verabreichung von APAP vor oder zum Zeitpunkt der Impfung ab. Ebenfalls in den 90er Jahren konnte gezeigt werden, dass die Einnahme von Paracetamol nach einer Infektion mit Rhinoviren zu geringeren Leveln neutralisierender Antikörpern führte. Auch dauerte die Virusausscheidung in der Paracetamolgruppe tendenziell länger. Diese Effekte auf das Immunsystem werfen die Frage auf, wie sich die Einnahme von Paracetamol auf die Wirksamkeit von Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICB) auswirkt, deren Zweck es ist, das Immunsystem zu stimulieren, damit Tumorzellen vermehrt angegriffen werden. Dem ging ein französisches Forscherteam in einer Arbeit nach, die im Journal Annals of Oncology veröffentlicht wurde.
Die untersuchten 628 Probanden gehörten drei verschiedenen Studien an und litten alle unter einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung. Sie waren mit verschiedenen ICB behandelt worden. Retrospektiv wurde ihr Plasma auf APAP-Spiegel untersucht und die Ergebnisse dann mit dem klinischen Outcome korreliert, wobei andere prognostisch bedeutsame Größen statistisch herausgerechnet worden waren. Die Studie kam zu alarmierenden Ergebnissen. Ein APAP-Plasmaspiegel zu Beginn einer Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren war ein unabhängiger Risikofaktor für ein signifikant schlechteres Outcome.
Die 297 Patienten der ersten Studie litten unter einem fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom und waren im Rahmen der CheckMate-025-Studie mit Nivolumab behandelt worden. Die Betroffenen, bei denen zu Beginn der Behandlung APAP-Spiegel im Blut bestanden hatten, wiesen ein signifikant schlechteres Gesamtüberleben auf. Nach 30 Monaten lebten noch ca. 50 % der Betroffenen in der APAP-Gruppe versus ca. 70 % in der Kontrollgruppe. Die wichtigsten Einschlusskriterien für die beiden weiteren Studien waren ein Alter von ≥ 18 Jahren, ein histologisch nachgewiesener bösartiger Tumor (darunter nicht-kleinzelliger Lungenkrebs, Melanom, Weichteilsarkom und Nierenzellkarzinom) in einem inoperablen und/oder metastasierten Stadium und mindestens eine bildgebenden Tumorkontrolle nach Beginn der Immuntherapie. Alle in die Studien eingeschlossenen Patienten wurden mit Anti-PD-L1 entweder als Monotherapie oder in Kombination mit Anti-CTLA-4-Antikörpern behandelt.
Bei 50 % der 34 in BIP eingeschlossenen Patienten konnten in den Plasmaproben, die zu Beginn der Behandlung abgenommen worden waren, Paracetamol oder Metabolite nachgewiesen werden. Diese Patienten zeigten signifikant schlechtere Ansprechraten (0 % vs. 29,4 %), hatten ein kürzeres progressionsfreies (1,87 Monate vs. 4,72 Monate) – und ein kürzeres Gesamtüberleben (7,87 Monate vs. 16,56 Monate). Es handelte sich um eine sehr kleine Stichprobe, weshalb weitere 297 Patienten aus einer der Studien untersucht wurden. Die Ergebnisse konnten in ähnlicher Weise reproduziert werden. Der Nachweis von APAP und seinen Metaboliten im Plasma war mit einer Reduktion des progressionsfreien Überlebens von 5,03 auf 2,63 Monate assoziiert. Das Gesamtüberleben lag in der APAP-Gruppe bei 8,43 Monaten vs. 14,93 Monaten in der Gruppe, die kein Paracetamol eingenommen hatte. Bei der multivariaten Analyse blieben die APAP-Plasmaspiegel unabhängige Risikofaktoren für das (progressionfreie) Gesamtüberleben. Eine Analyse der Zytokine im Blut der Probanden zeigte, dass bei den Patienten bei denen APAP im Blut nachweisbar war, die Interleukin-10-Spiegel erhöht waren. IL-10 ist ein entscheidender Mediator der durch Tregs vermittelten Immunmodulation. Auch fand sich eine erhöhte Konzentration eines Wachstumsfaktors, der für die Entstehung dendritischer Zellen wichtig ist, die mit der Induktion von Tregs in Zusammenhang stehen.
Die Arbeitsgruppe untersuchte die Zusammenhänge eingehender in einem Mausmodell. Die an Darmkrebs erkrankten Tiere erhielten Acetaminophen und einen Checkpoint-Inhibitor oder nur einen Checkpoint-Inhibitor. Die Ansprechraten der mit Acetaminiophen behandelten Mäuse waren signifikant schlechter. Passend dazu war die verringerte ICB-Wirksamkeit mit einer deutlich erhöhten Infiltration der Tumoren durch regulatorische T-Zellen verbunden.
Um den Einfluss von APAP auf menschliche Immunzellen weiter zu ergründen, wurden menschliche PBMC (Peripheral Blood Mononuclear Cells) gesunder Spender durch Checkpoint-Inhibitoren stimuliert, das proinflammatorische Zytokin Interferon-gamma zu sezernieren. Ein Teil der Zellen wurden zudem mit steigenden Dosen von APAP inkubiert. Wie erwartet, verstärkte der Checkpoint-Inhibitor Nivolumab die Interferon-gamma-Antwort. Dieser Effekt war jedoch in Anwesenheit von APAP drastisch reduziert. Im nächsten Versuchsteil erhielten gesunde Spender 1.000 mg APAP alle 6 Stunden für 24 Stunden. APAP führte zu einer Expansion der Treg-Population in allen Spendern. Zudem kam es zu einer gesteigerten Expression koinhibitorischer Rezeptoren, die mit einer starken Immunsuppression in Verbindung stehen.
Zusammenfassend wurde durch die retrospektive Analyse von drei Kohortenstudien festgestellt, dass Patienten mit fortgeschrittenem Krebs, die während der Immuntherapie APAP einnahmen, schlechtere klinische Ergebnisse erzielten. Dieser Effekt ist möglicherweise auf eine verringerte T-Zell-vermittelte Antitumor-Immunität zurückzuführen. Eine Schlüsselrolle spielt offenbar die Expansion regulatorischer T-Zellen durch APAP, die unter anderem Tumorgewebe infiltrieren, sowie erhöhte IL-10-Spiegel. Die Daten deuten darauf hin, dass Paracetamol bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung und Behandlung mit ICB nur mit großer Zurückhaltung eingesetzt werden sollte. Ob das für alle Antipyretika gilt und nur zur Beginn der Immuntherapie oder über den gesamten Behandlungszeitraum und was die Ergebnisse für Paracetamol in Bezug auf Tumoren ganz allgemein bedeuten, muss weiter untersucht werden.
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