Mit dem Ruderboot über den Atlantik – in 42 Tagen. Wie der Körper auf eine derartige physische und psychische Belastung reagiert und was passiert, wenn Schlafentzug und Bootskoller dazukommen, zeigt eine aktuelle Studie.
42 Tagen lang sammelte die Studentin Ciara Burns Daten zu ihrer Herzfrequenz und Schlafqualität. Das Außergewöhnliche daran: Burns war Mitglied eines 12-köpfigen Teams, das im Ruderboot den Atlantik überquerte. Neben der körperlichen Belastung interessierte die begleitenden Forscher insbesondere die Auswirkungen des sportlichen Arbeitsplans auf die Schlafqualität. Die Teilnehmer teilten sich in zwei Gruppen, wobei eine Hälfte ruderte und die andere schlief – der Wechsel erfolgte Im 3-Stunden-Takt.
„Aus den Aufzeichnungen der Herzfrequenz lassen sich viele interessante Erkenntnisse ableiten“, sagt Prof. Eugenijus Kaniusas, der an der TU Wien die Forschungsgruppe Biomedical Sensing and Therapy leitet und das Projekt wissenschaftlich begleitet hat. „Die Variabilität der Herzfrequenz ist für uns besonders wichtig. Aus ihr kann man auf den allgemeinen Fitnesszustand, die Schlafqualität und die Regenerationsfähigkeit im Schlaf schließen.“
Dass auch für Rudern das gleiche gilt wie für nahezu alle Sportarten, sind sich die Forscher einig: Es gibt Kipppunkte, ab wann der Sport kontraproduktiv ist und mehr Gefahr denn gesundheitsfördernde Aspekte birgt.
Übertreibt man es nicht, verringert der Sport Bluthochdruck sowie das Risiko der Entwicklung von Diabetes und Herzkrankheiten. Insbesondere verbessert Rudern die kardiorespiratorische Fitness und mildert gleichzeitig altersbedingte Krankheiten wie Sarkopenie oder Osteoporose. Bei mindestens 30-minütiger Aktivität pro Tag stellen Forschern z. B. auch ein verbessertes autonomes Gleichgewicht mit erhöhter parasympathischer Modulation fest.
Doch die Gefahr ist nah – überschreiten Athleten die Grenze der Gesundheitsförderung, warten negative Folgen wie Verletzungen von Muskeln, Sehnen und Gelenken. Neben dem bekannten Ziehen und Stechen rückten zuletzt auch mentale Krankheitsbilder als Folge von Sport in den Mittelpunkt. So konstatierten Forscher, dass Sport in einem exzessiven Umfang, das Risiko für psychische Störungsbilder wie Essstörungen, Substanzmissbrauch sowie Sportabhängigkeit erhöht.
Nun birgt die Überquerung des Atlantiks per Ruderboot neben den allgemeinen Sportgefahren weitere charakteristische Herausforderungen. So warten nicht nur physische Stressoren auf die Athleten, sondern auch Schlafentzug mit gestörter Homöostase, Stoffwechselstress, eingeschränkte Nahrung und Kleidung, Seekrankheit sowie psychische Stressoren wie mentale Ermüdung, Isolation, sensorische Deprivation und Umweltstressoren (Gefahr des Zusammenstoßes mit schwimmenden Containern, schwierige Umweltbedingungen), technische Stressoren (Bootsprobleme, Wasserentsalzung), organisatorische Stressoren (hektischer Zeitplan, COVID-19-Einschränkungen) und persönliche Stressoren (eingeschränkte Kommunikation mit der Familie).
Mit Blick auf die Atlantiküberfahrt war für die Forscher das Zusammenspiel all dieser Faktoren auf den menschlichen Körper sowie besonders die Auswirkungen auf das Herz von besonderem Interesse: „Die Variabilität der Herzfrequenz ist für uns besonders wichtig. Aus ihr kann man auf den allgemeinen Fitnesszustand, die Schlafqualität und die Regenerationsfähigkeit im Schlaf schließen“, beschreibt Kaniusas den Forschungsschwerpunkt.
Normalerweise ist die Herzfrequenz im Wachzustand regelmäßiger, während sie in den Schlafphasen stärker schwankt. Ein großer Unterschied in der Herzfrequenzvariabilität zwischen Schlaf- und Wachphasen deutet darauf hin, dass sich der Körper im Schlaf gut regeneriert. Ist die Variabilität in Schlaf- und Wachphasen sehr ähnlich, ist dies ein Zeichen dafür, dass die körpereigenen Regulations- und Regenerationsmechanismen nicht mehr optimal funktionieren.
Wie die Schlafqualität abnahm und der psychische Zustand und damit auch weitere physiologische Parameter sich bei Extremsport samt Etappen-Schlaf veränderten, zeigt die Übereinstimmung aus Burns subjektivem Bericht und den parallel ermittelten Daten.
In ihrem Bericht gibt Burns an, dass „es drei Phasen gab, in denen es besonders herausfordernd war. Am Anfang natürlich, wenn man sich an die Anstrengung und den neuen Rhythmus gewöhnen muss. Dann etwa nach der Hälfte der Reise, als mir klar wurde, wie groß der Atlantik wirklich ist und wie lang die zweite Hälfte werden würde. Und ganz am Ende war es dann wieder schwierig, als das Ziel zwar schon nahe, aber noch nicht wirklich greifbar war.“
Diese drei schwierigen Phasen lassen sich auch in den Daten ablesen. Das zeigt deutlich, dass der psychische Zustand eng mit messbaren, physiologischen Parametern zusammenhängt. Die Regenerationsfähigkeit während der Schlafphasen wurde sukzessive schlechter, der Körper schafft es nicht mehr, zwischen Wach- und Schlafphasen zu wechseln. Die autonome Erholung des Körpers während kurzer Schlafperioden nimmt während der Reisedauer allmählich ab, während die vagale Aktivität ansteigt und sich das sympathovagale Gleichgewicht in Richtung vagalen Tonus verschiebt. Die Verschiebungen von drei Stunden schwächen den zirkadianen Rhythmus der Herzfrequenzvariabilität.
„Gleichzeitig scheint der Körper in eine Art Schutzmodus zu gehen, um das Herz vor Überlastung zu schützen“, sagt Eugenijus Kaniusas. „Der durchschnittliche Herzschlag verlangsamt sich, und die Aktivität des Parasympathikus, der eine wichtige Rolle bei der Steuerung der inneren Organe spielt, nimmt zu.“
Letztlich raten die Forscher Sportlern und anderen Menschen in langanhaltenden Extremsituationen in erster Linie zu besserer Vorbereitung – vor allem mit Blick auf die Umstellung von Tag-Nacht-Rythmen sollten Übergangsphasen eingeplant werden. Auch sollte die starke körperliche Arbeit nicht zeitgleich zur mental belastenden Situation gestartet werden.
Zusätzlich sollte in der Mitte der Reise, sofern der zeitliche Horizont absehbar ist, eine Art Belohnung in Bezug auf Erholung, mentale Gesundheit, Ernährung und Familie auf die Teilnehmer warten, um dort dem erwarteten Anstieg der empfundenen Müdigkeit und dem Rückgang der Schlaf- und mentalen Wohlbefindenswerte entgegenzuwirken. Zuletzt sollte allen Beteiligten, ob Fitnessbegeisterten, Athleten, Betreuungsteams und Organisatoren ein besseres Bewusstsein für die zu erwartenden Veränderungen des physiologischen und psychologischen Wohlbefindens bei lang andauernden, umweltbelastenden Aktivitäten zu vermitteln.
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