Demnächst könnte in Westfalen eine Drohne pendeln, die Schnellschnitte transportiert. Eine andere hat gerade einen Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Was können Drohnen in der Medizin leisten?
Moderne Kriegsführung ist ohne Drohnen nicht mehr vorstellbar. Moderne Medizin schon noch, aber auch hier gibt es immer wieder Versuche, die Flugobjekte in die Versorgung einzubeziehen. Bisher scheiterte das zum einen am Geld, zum anderen aber auch an der deutschen Gründlichkeit. Die Frankfurter Agaplesion-Kliniken beispielsweise wollten schon vor sieben Jahren Laborproben und Blutkonserven zwischen benachbarten Häusern hin und her shuttlen. Am Ende wurde nichts draus, weil der Tower am Frankfurter Flughafen jeden einzelnen Flug genehmigen wollte und die Behörden außerdem für jeden Flug auf einem (Remote-)Piloten bestanden.
Das sei jetzt anders, sagt Dr. Marc Heiderhoff vom Institut für Krankenhausinformationsmanagement (IKiM) der St. Franziskus Stiftung in Münster. Seit Sommer sei eine pilotlose Drohnenlogistik – bei der Piloten mehrere Flüge gleichzeitig überwachen und nur bei Bedarf eingreifen – genehmigungsfähig. Diese Hürde wurde also aus dem Weg geräumt. Grund genug für sie St. Franziskus Stiftung, ein Pilotprojekt zu initiieren.
Angesiedelt ist es im Bereich Schnellschnittlogistik. Intraoperative Schnellschnitte von Krebspatienten, die an dem recht kleinen Krankenhaus in Ahlen operiert werden, sollen in die Pathologie am größeren Krankenhaus Hamm geflogen werden. Die Flugstrecke ist insofern günstig, als sie in wesentlichen Teilen an einem Bach entlanggeht und nur bei An- und Abflug Wohngebiete überquert. Auch das sei genehmigungsfähig, so Heiderhoff beim Meeting am Meer des Beratungsunternehmens Digital Avantgarde in Heiligendamm.
Zum Einsatz kommen soll in Westfalen einen Drohnenungetüm mit 2,5 Metern Spannweite und 13 Kilogramm Leergewicht. Hersteller ist RigiTech, es handelt sich um eine der größten nicht-militärischen Drohnen überhaupt. Die Drohne ist laut bei Start und Landung, aufgrund ihrer speziellen Flügel während des Horizontalflugs aber leiser als andere Drohnen. Partner bei dem Pilotprojekt ist das US-Unternehmen Spright. Deutsche Unternehmen seien beim Thema Drohnenlogistik im Moment noch ziemlich zurückhaltend, so Heiderhoff.
Sinn des ganzen Projekts ist es, die Schnellschnittdiagnostik zu beschleunigen. Bisher werden die Gewebeproben mit dem Taxi nach Hamm und wieder zurück gefahren. Das dauert ab Gewebeentnahme je nach Tageszeit und Straßenverkehr 57 bis 73 Minuten, haben die Münsteraner gemessen. Mit der Drohne sind es 36 Minuten, also plusminus eine halbe Stunde Narkose weniger. Ist schon was. Refinanzieren lässt sich so ein Drohnen-Shuttle allein mit einmal täglichem Schnellschnitttransport allerdings nicht. Die Zusatzkosten liegen, ausgehend von sechs Transporten pro Woche, bei einem mittleren dreistelligen Euro-Betrag pro Operation. Damit das besser wird, will das IKiM weitere Einsatzszenarien evaluieren, darunter – wie einst Agaplesion – den Transport von Laborproben und Blutprodukten.
Die Krankenhauslogistik ist nicht das einzige Einsatzszenario für autonome Drohne im Gesundheitswesen. Am 6. Oktober gab es am Partwitzer See, im Lausitzer Seenland südöstlich von Berlin gelegen, Hilferufe aus dem Wasser. Ein Passant, der die Rufe hörte, drückte auf einen Knopf auf einer Notrufsäule. Sofort erhob sich aus einem kleinen, schwarzen Hangar am Seeufer eine Drohne. Sie lokalisierte den Ertrinkenden und warf ein kleines Päckchen ab, das sich bei Wasserkontakt in ein quietschgelbes Rettungskissen verwandelte, an dem der Ertrinkende sich festhalten konnte. Leben gerettet.
Hätte können. Denn die Sache war nicht „echt“. Es handelte sich um die erste öffentliche Demonstration des vom Bundesverkehrsministerium mit zwei Millionen Euro geförderten RescueFly-Projekts. Das Projekt wird von der Björn Steiger Stiftung koordiniert, die sich seit vielen Jahren um eine Optimierung der Rettungsketten an unterschiedlichsten Stellen bemüht. Die technische Umsetzung des Projekts liegt bei den TUs in Chemnitz, Cottbus und Dresden. Herzstück des Ganzen ist die Automatisierung: Die mit Kameras ausgestattete Rettungsdrohne hat keinen Piloten, sondern sie erkennt den Ertrinkenden automatisch mit Hilfe von Bilderkennungs-Algorithmen und künstlicher Intelligenz.
Tod durch Ertrinken ist nach wie vor ein relevantes Problem. Insgesamt 355 Ertrinkungsopfer waren es im Jahr 2022 deutschlandweit. Anfang der Nullerjahre lag diese Zahl noch zwischen 400 und 650. Die Zahl dürfte absehbar wieder zunehmen, da Kinder seit der Pandemie weniger Schwimmkurse besuchen und auch der Anteil der Erwachsenen, die nicht schwimmen können, tendenziell ansteigt.
Das Hauptproblem bei Ertrinkungsnotfällen ist, dass die Retter an nicht überwachten Badestellen meist nichts mehr ausrichten können. Wenn nicht jemand den Notfall unmittelbar mitbekommt, der sich die Rettung selbst zutraut, dann ist es in der Regel zu spät. Drohnen können Menschen natürlich nicht aus dem Wasser fischen, aber sie verschaffen wertvolle Zeit: „Mit dem Einsatz automatisierter Drohnen erweitern wir die Möglichkeiten in der Wasserrettung und verkürzen für eine in Not geratene Person die Zeit bis zur ersten Hilfestellung“, sagt Joachim von Beesten, Geschäftsführer der Björn Steiger Stiftung.
Billig sind solche Infrastrukturen nicht, aber zumindest sind Drohnen deutlich günstiger als Hubschrauber, die für die Ortung Ertrinkender gelegentlich eingesetzt werden. Die Sache ist aktuell noch ein Forschungsprojekt. Mit der derzeitigen Drohne lassen sich in der Lausitz immerhin zwei große Seen abdecken.
Bildquelle: erstellt mit Midjourney